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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Antrags, die Opposition auf. die man in dieser Beziehung bisher noch immer
hier in Dresden zu finden gefürchtet hatte.

Genug, wenn Herr Abeken neulich bei seiner ersten Erklärung über diese
Frage an Offenheit und an reichsfreundlicher Gesinnung hinter Hrn. v. Mitt¬
nacht zurückzubleiben schien, so machte er bei dieser zweiten Erklärung den Un¬
terschied quitt, ja ging in gewisser Beziehung über seinen württembergischen
Collegen hinaus.

Dabei dürfen Sie Eines nicht vergessen. Es liegt in der Tradition der
altsächsischen Politik, wie sie (mit Ausnahme der Zeit, wo Herr von Beust
hier schaltete), fast immer streng festgehalten worden, und es liegt noch ganz
besonders in dem allerpersönlichsten Charakter des jetztregierenden Königs, daß
wenn man sich hier schwer zu etwas entschließt oder von etwas lossagt, man
dann, einmal entschlossen oder einmal resignirt, auch wiederum festhält und
nicht von Neuem wankt und schwankt. Das eigenthümliche Spiel des Naseus
und Fliehens, mit all den Unberechenbarkeiten in seinem Gefolge, was die
Politik des süddeutschen Königreichs kennzeichnet, dürfte von hier aus weder
nachgeahmt noch ermuntert werden. Insofern hat diese neueste Kundgebung
des sächsischen Justizministers eine weiterreichende Bedeutung als die des
Herrn von Mittnacht.

Interessant war das Schauspiel, das sich nach der Erklärung Abeken's
in der II. Kammer abspielte. Man erinnert sich noch der Scene, welche beim
vorigen Landtage der Abgeordnete Sachße, die zweifellos stärkste Jncarnation
des sächsischen Particularismus in der II. Kammer dem Vorgänger Abeken's,
dem Justizminister Dr. Schneider, machte, indem er die Gelegenheit vom Zaune
brach, diesem wegen des sächsischen Antrags im Bundesrathe auf Errichtung
eines Bundesoberhandelsgerichts förmlich den Text zu lesen, ja ihn nahezu
des Landesverrats zu beschuldigen, weil er die Justizhoheit Sachsens geschmä¬
lert habe. Man erinnert sich auch, wie damals Schneider diesem brüsten An¬
griff, zwar im ersten Augenblick ebenso derb, begegnete und den Angreifer --
unter dem Beifall der nationalen Linken -- in seine Schranken zurückwies,
wie er aber Tags darauf, eingeschüchtert durch die Drohungen der particula-
ristischen Rechten und ihre damals noch übermächtigen Verbindungen am Hofe,
für seine harten Worte dem Abgeordneten Sachße nahezu Abbitte that.

Dießmal beschränkte sich eben dieser Abgeordnete im Tone größter Resig¬
nation darauf, an seine damalige Verwahrung zu erinnern und die düstre
Prophezeiung auszusprechen, das Opfer, welches man mit Dahingabe eines
Theils der sächsischen Justizhoheit gebracht, um das Oberhandelsgericht für
Leipzig zu gewinnen, werde ein vergebliches gewesen sein, denn das zu einem
allgemeinen Reichsgerichtshof erweiterte Oberhandelsgericht werde von Leipzig
hinweg nach Berlin wandern.


Antrags, die Opposition auf. die man in dieser Beziehung bisher noch immer
hier in Dresden zu finden gefürchtet hatte.

Genug, wenn Herr Abeken neulich bei seiner ersten Erklärung über diese
Frage an Offenheit und an reichsfreundlicher Gesinnung hinter Hrn. v. Mitt¬
nacht zurückzubleiben schien, so machte er bei dieser zweiten Erklärung den Un¬
terschied quitt, ja ging in gewisser Beziehung über seinen württembergischen
Collegen hinaus.

Dabei dürfen Sie Eines nicht vergessen. Es liegt in der Tradition der
altsächsischen Politik, wie sie (mit Ausnahme der Zeit, wo Herr von Beust
hier schaltete), fast immer streng festgehalten worden, und es liegt noch ganz
besonders in dem allerpersönlichsten Charakter des jetztregierenden Königs, daß
wenn man sich hier schwer zu etwas entschließt oder von etwas lossagt, man
dann, einmal entschlossen oder einmal resignirt, auch wiederum festhält und
nicht von Neuem wankt und schwankt. Das eigenthümliche Spiel des Naseus
und Fliehens, mit all den Unberechenbarkeiten in seinem Gefolge, was die
Politik des süddeutschen Königreichs kennzeichnet, dürfte von hier aus weder
nachgeahmt noch ermuntert werden. Insofern hat diese neueste Kundgebung
des sächsischen Justizministers eine weiterreichende Bedeutung als die des
Herrn von Mittnacht.

Interessant war das Schauspiel, das sich nach der Erklärung Abeken's
in der II. Kammer abspielte. Man erinnert sich noch der Scene, welche beim
vorigen Landtage der Abgeordnete Sachße, die zweifellos stärkste Jncarnation
des sächsischen Particularismus in der II. Kammer dem Vorgänger Abeken's,
dem Justizminister Dr. Schneider, machte, indem er die Gelegenheit vom Zaune
brach, diesem wegen des sächsischen Antrags im Bundesrathe auf Errichtung
eines Bundesoberhandelsgerichts förmlich den Text zu lesen, ja ihn nahezu
des Landesverrats zu beschuldigen, weil er die Justizhoheit Sachsens geschmä¬
lert habe. Man erinnert sich auch, wie damals Schneider diesem brüsten An¬
griff, zwar im ersten Augenblick ebenso derb, begegnete und den Angreifer —
unter dem Beifall der nationalen Linken — in seine Schranken zurückwies,
wie er aber Tags darauf, eingeschüchtert durch die Drohungen der particula-
ristischen Rechten und ihre damals noch übermächtigen Verbindungen am Hofe,
für seine harten Worte dem Abgeordneten Sachße nahezu Abbitte that.

Dießmal beschränkte sich eben dieser Abgeordnete im Tone größter Resig¬
nation darauf, an seine damalige Verwahrung zu erinnern und die düstre
Prophezeiung auszusprechen, das Opfer, welches man mit Dahingabe eines
Theils der sächsischen Justizhoheit gebracht, um das Oberhandelsgericht für
Leipzig zu gewinnen, werde ein vergebliches gewesen sein, denn das zu einem
allgemeinen Reichsgerichtshof erweiterte Oberhandelsgericht werde von Leipzig
hinweg nach Berlin wandern.


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[0397] Antrags, die Opposition auf. die man in dieser Beziehung bisher noch immer hier in Dresden zu finden gefürchtet hatte. Genug, wenn Herr Abeken neulich bei seiner ersten Erklärung über diese Frage an Offenheit und an reichsfreundlicher Gesinnung hinter Hrn. v. Mitt¬ nacht zurückzubleiben schien, so machte er bei dieser zweiten Erklärung den Un¬ terschied quitt, ja ging in gewisser Beziehung über seinen württembergischen Collegen hinaus. Dabei dürfen Sie Eines nicht vergessen. Es liegt in der Tradition der altsächsischen Politik, wie sie (mit Ausnahme der Zeit, wo Herr von Beust hier schaltete), fast immer streng festgehalten worden, und es liegt noch ganz besonders in dem allerpersönlichsten Charakter des jetztregierenden Königs, daß wenn man sich hier schwer zu etwas entschließt oder von etwas lossagt, man dann, einmal entschlossen oder einmal resignirt, auch wiederum festhält und nicht von Neuem wankt und schwankt. Das eigenthümliche Spiel des Naseus und Fliehens, mit all den Unberechenbarkeiten in seinem Gefolge, was die Politik des süddeutschen Königreichs kennzeichnet, dürfte von hier aus weder nachgeahmt noch ermuntert werden. Insofern hat diese neueste Kundgebung des sächsischen Justizministers eine weiterreichende Bedeutung als die des Herrn von Mittnacht. Interessant war das Schauspiel, das sich nach der Erklärung Abeken's in der II. Kammer abspielte. Man erinnert sich noch der Scene, welche beim vorigen Landtage der Abgeordnete Sachße, die zweifellos stärkste Jncarnation des sächsischen Particularismus in der II. Kammer dem Vorgänger Abeken's, dem Justizminister Dr. Schneider, machte, indem er die Gelegenheit vom Zaune brach, diesem wegen des sächsischen Antrags im Bundesrathe auf Errichtung eines Bundesoberhandelsgerichts förmlich den Text zu lesen, ja ihn nahezu des Landesverrats zu beschuldigen, weil er die Justizhoheit Sachsens geschmä¬ lert habe. Man erinnert sich auch, wie damals Schneider diesem brüsten An¬ griff, zwar im ersten Augenblick ebenso derb, begegnete und den Angreifer — unter dem Beifall der nationalen Linken — in seine Schranken zurückwies, wie er aber Tags darauf, eingeschüchtert durch die Drohungen der particula- ristischen Rechten und ihre damals noch übermächtigen Verbindungen am Hofe, für seine harten Worte dem Abgeordneten Sachße nahezu Abbitte that. Dießmal beschränkte sich eben dieser Abgeordnete im Tone größter Resig¬ nation darauf, an seine damalige Verwahrung zu erinnern und die düstre Prophezeiung auszusprechen, das Opfer, welches man mit Dahingabe eines Theils der sächsischen Justizhoheit gebracht, um das Oberhandelsgericht für Leipzig zu gewinnen, werde ein vergebliches gewesen sein, denn das zu einem allgemeinen Reichsgerichtshof erweiterte Oberhandelsgericht werde von Leipzig hinweg nach Berlin wandern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/397>, abgerufen am 24.08.2024.