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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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habe, sich sogar des Scheines eines solchen Particularismus zu entkleiden.
Ob vielleicht gar der Grenzboten-Artikel dazu ein wenig beigetragen, will ich
nicht behaupten, um Sie nicht allzustolz', auf die Wirkungen Ihres Blattes
zu machen. Genug, der sächsische Justizminister hat Gelegenheit genommen,
in eben jener Frage des Reichsgerichts, in der er damals so zurückhaltend und
diplomatisirend verfuhr, jetzt offen Farbe zu bekennen.

Und, man muß gerecht sein, gerade dießmal war für ihn keine Nöthigung
vorhanden, so, was man sagt, ins Zeug zu gehen. Der Biedermann'sche An¬
trag wegen des Reichsgerichts war von der Freitagstagesordnung, weil die
Debatte über den Schassrath'schen Antrag wegen der Schwurgerichte ganze 4
Stunden dauerte, abgesetzt und auf den Sonnabend vertagt worden. Der
Sonnabend ist aber nach einer alten, wenn schon nicht guten Regel hier in
Dresden fast jedesmal ein Feiertag für die Abgeordneten, ein Tag, wo diese
nach allen Seiten der Windrose auseinanderstieben, nach Hause zu ihren Ge¬
schäften eilen, und so kam es, daß, da dießmal ganz ungewöhnlicher Weise
doch am Sonnabend Sitzung war, die Kammer ein Bild trostloser Oede und
Verlassenheit bot. Von der Linken waren keine ^/z vorhanden; das Centrum
war fast ganz leer; nur die Rechte saß leidlich geschlossen aus ihren Plätzen.
Der Minister hätte es vielleicht darauf ankommen, hätte den Biedermann'schen
Antrag durch die allzeit getreuen Mitglieder der ministeriellen Partei hat bekäm¬
pfen, wer weiß, ob nicht abvotiren lassen können. In den Reihen der Freunde
des Antrags schien sich eine gewisse Unruhe zu verrathen: man sah dieselben
die Köpfe zusammenstecken und berathen; man hörte, daß an eine abermalige
Vertagung der Sache gedacht worden war.

Allein dem Minister schien es wirklich darum zu thun, sich selbst und die
Regierung von dem Verdachte des Particularismus so bald als möglich zu
reinigen. Er zögerte keinen Augenblick, nach der Begründung des Antrags
durch den Antragsteller alsbald seine principielle Uebereinstimmung mit dem¬
selben zu erklären, das Bedürfniß einer Gemeinsamkeit der Rechtspflege in
ihrer obersten Spitze, soweit die Gemeinsamkeit des Rechtes selbst reiche, rück¬
haltlos anzuerkennen, endlich auch jenes Phantom eines blos theoretischen
"Rechts- oder Präjudicienhoses," welches man bayerischerseits der realen Ge¬
staltung eines wirklichen Gerichtshofes unterschieben zu wollen geneigt schien,
offen zu desavouiren und preiszugeben. Der einzige Vorbehalt, den er machte,
bestand darin, daß er meinte, eine einheitliche oberste Instanz für das Civil
recht werde so lange nicht wohl möglich sein, als nicht das Civilrecht selbst
einheitlich gestaltet sei, als noch eine Mannigfaltigkeit von Particularrechten
fortbestehe. Dabei deutete er aber an, daß dieser Zustand hoffentlich nicht
mehr von langer Dauer sein werde, gab also auch nach dieser Seite hin, nach
der Seite einer Erweiterung der Reichscompetenz im Sinne des Laster'schen


habe, sich sogar des Scheines eines solchen Particularismus zu entkleiden.
Ob vielleicht gar der Grenzboten-Artikel dazu ein wenig beigetragen, will ich
nicht behaupten, um Sie nicht allzustolz', auf die Wirkungen Ihres Blattes
zu machen. Genug, der sächsische Justizminister hat Gelegenheit genommen,
in eben jener Frage des Reichsgerichts, in der er damals so zurückhaltend und
diplomatisirend verfuhr, jetzt offen Farbe zu bekennen.

Und, man muß gerecht sein, gerade dießmal war für ihn keine Nöthigung
vorhanden, so, was man sagt, ins Zeug zu gehen. Der Biedermann'sche An¬
trag wegen des Reichsgerichts war von der Freitagstagesordnung, weil die
Debatte über den Schassrath'schen Antrag wegen der Schwurgerichte ganze 4
Stunden dauerte, abgesetzt und auf den Sonnabend vertagt worden. Der
Sonnabend ist aber nach einer alten, wenn schon nicht guten Regel hier in
Dresden fast jedesmal ein Feiertag für die Abgeordneten, ein Tag, wo diese
nach allen Seiten der Windrose auseinanderstieben, nach Hause zu ihren Ge¬
schäften eilen, und so kam es, daß, da dießmal ganz ungewöhnlicher Weise
doch am Sonnabend Sitzung war, die Kammer ein Bild trostloser Oede und
Verlassenheit bot. Von der Linken waren keine ^/z vorhanden; das Centrum
war fast ganz leer; nur die Rechte saß leidlich geschlossen aus ihren Plätzen.
Der Minister hätte es vielleicht darauf ankommen, hätte den Biedermann'schen
Antrag durch die allzeit getreuen Mitglieder der ministeriellen Partei hat bekäm¬
pfen, wer weiß, ob nicht abvotiren lassen können. In den Reihen der Freunde
des Antrags schien sich eine gewisse Unruhe zu verrathen: man sah dieselben
die Köpfe zusammenstecken und berathen; man hörte, daß an eine abermalige
Vertagung der Sache gedacht worden war.

Allein dem Minister schien es wirklich darum zu thun, sich selbst und die
Regierung von dem Verdachte des Particularismus so bald als möglich zu
reinigen. Er zögerte keinen Augenblick, nach der Begründung des Antrags
durch den Antragsteller alsbald seine principielle Uebereinstimmung mit dem¬
selben zu erklären, das Bedürfniß einer Gemeinsamkeit der Rechtspflege in
ihrer obersten Spitze, soweit die Gemeinsamkeit des Rechtes selbst reiche, rück¬
haltlos anzuerkennen, endlich auch jenes Phantom eines blos theoretischen
„Rechts- oder Präjudicienhoses," welches man bayerischerseits der realen Ge¬
staltung eines wirklichen Gerichtshofes unterschieben zu wollen geneigt schien,
offen zu desavouiren und preiszugeben. Der einzige Vorbehalt, den er machte,
bestand darin, daß er meinte, eine einheitliche oberste Instanz für das Civil
recht werde so lange nicht wohl möglich sein, als nicht das Civilrecht selbst
einheitlich gestaltet sei, als noch eine Mannigfaltigkeit von Particularrechten
fortbestehe. Dabei deutete er aber an, daß dieser Zustand hoffentlich nicht
mehr von langer Dauer sein werde, gab also auch nach dieser Seite hin, nach
der Seite einer Erweiterung der Reichscompetenz im Sinne des Laster'schen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/396>, abgerufen am 24.08.2024.