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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Staatsrath Rindfleisch und bei Dabelow selbst, das jene Gerüchte durchaus
begründet seien. Er sah selbst die von Dresden eingegangenen Briefe voll
ehrenrühriger Ausdrücke über den Herzog, voll Drohungen von der französi¬
schen Gesandtschaft in Dresden, worunter sich sogar die Drohung einer Ab¬
setzung des Herzogs befand. Herausgeben wollte Dabelow die Briefe nicht,
er wolle, sagte er, dieselben Nachmittags dem Herzoge selbst vorlegen. Tief
bekümmert traf Albert wieder bei dem Herzoge ein. Der Herzog sah ihm seine
Sorgen an, und Albert mußte ihm die Beschwerde der Stände und zum Theil
den Inhalt der eingetroffenen Briefe entdecken. Wieder erfolgten heftige, bittere
Reden über die Stände, dann aber, besänftigt durch Albert, fuhr der Herzog
fort: "Aber warum kommt man nicht zu mir? Ich will sogleich 10,000 Thlr.
von meinem Etat jährlich fallen lassen, auch auf die Getreidelieferungen Ver¬
zicht leisten, damit meine Unterthanen nur nicht gedrückt werden. -- Meinem
Lande will ich gern jedes Opfer bringen!" Von mächtigen Gefühlen über¬
wältigt erklärte Albert dem Herzoge, daß er ihn um diesen Moment freiwil¬
liger Aufopferung beneide. "Ja, Albert," erwiederte dieser, "noch nie ist mir
auch so wohl gewesen: Auch Sie, Albert, haben mich verkannt! Glauben Sie
denn, daß mir pecuniäres Interesse am Herzen liegt? Nein, das Wohl meiner
Unterthanen geht mir über Alles, und von heute an will ich sogleich Ein¬
schränkungen bei meinem Hofe machen. Die Chasseurs will ich bis auf zwei
Mann abschaffen."

Diesen Moment glaubte Albert benutzen zu müssen, auch die Abschaffung
des Thiergartens und die Einschränkung der Jagd in Vorschlag zu bringen.
"Aber mein Gott", lautete die Antwort "dann hätte ich ja gar kein Ver¬
gnügen mehr!" und in diesem Punkte konnte auch ein weiteres Zugeständniß
nicht erlangt werden, als daß der Herzog ein früheres Versprechen, den Thier¬
garten abzuschaffen, erneuerte und möglichst umfassende Wildschaden-Vergü¬
tung verhieß.

Bei Tafel zeigte sich der Herzog froher als seit langer Zeit. Er ver
langte eine Flasche Champagner, in demselben Augenblick wandte er jedoch
selbst ein, er dürfe jetzt keinen Wein mehr trinken und er blieb auch trotz
allen Zuredens dabei, es sollte an seiner Tafel kein Wein mehr getrunken
werden, weil er den Unterthanen zeigen wolle, daß ihm kein Opfer für ihr
Wohl zu schwer sei. Nachmittags sollte Dabelow seinen Vortrag bei dem
Herzoge halten, blieb aber ungewöhnlich lange aus. Er mochte sich, wie
auch der Herzog zu verstehen gab, schämen, heute anders zu diesem sprechen
zu müssen, als er seit Jahr und Tag gethan. Endlich erschien er und blieb
3 Stunden mit dem Herzoge allein. Nochmals täuschte er den Herzog, ver¬
heimlichte die Dresdner Briefe, die, wie er vorgab, nur ganz unbedeutende
Dinge enthielten, und suchte die vom Herzoge eben beschlossenen Maßregeln


Staatsrath Rindfleisch und bei Dabelow selbst, das jene Gerüchte durchaus
begründet seien. Er sah selbst die von Dresden eingegangenen Briefe voll
ehrenrühriger Ausdrücke über den Herzog, voll Drohungen von der französi¬
schen Gesandtschaft in Dresden, worunter sich sogar die Drohung einer Ab¬
setzung des Herzogs befand. Herausgeben wollte Dabelow die Briefe nicht,
er wolle, sagte er, dieselben Nachmittags dem Herzoge selbst vorlegen. Tief
bekümmert traf Albert wieder bei dem Herzoge ein. Der Herzog sah ihm seine
Sorgen an, und Albert mußte ihm die Beschwerde der Stände und zum Theil
den Inhalt der eingetroffenen Briefe entdecken. Wieder erfolgten heftige, bittere
Reden über die Stände, dann aber, besänftigt durch Albert, fuhr der Herzog
fort: „Aber warum kommt man nicht zu mir? Ich will sogleich 10,000 Thlr.
von meinem Etat jährlich fallen lassen, auch auf die Getreidelieferungen Ver¬
zicht leisten, damit meine Unterthanen nur nicht gedrückt werden. — Meinem
Lande will ich gern jedes Opfer bringen!" Von mächtigen Gefühlen über¬
wältigt erklärte Albert dem Herzoge, daß er ihn um diesen Moment freiwil¬
liger Aufopferung beneide. „Ja, Albert," erwiederte dieser, „noch nie ist mir
auch so wohl gewesen: Auch Sie, Albert, haben mich verkannt! Glauben Sie
denn, daß mir pecuniäres Interesse am Herzen liegt? Nein, das Wohl meiner
Unterthanen geht mir über Alles, und von heute an will ich sogleich Ein¬
schränkungen bei meinem Hofe machen. Die Chasseurs will ich bis auf zwei
Mann abschaffen."

Diesen Moment glaubte Albert benutzen zu müssen, auch die Abschaffung
des Thiergartens und die Einschränkung der Jagd in Vorschlag zu bringen.
„Aber mein Gott", lautete die Antwort „dann hätte ich ja gar kein Ver¬
gnügen mehr!" und in diesem Punkte konnte auch ein weiteres Zugeständniß
nicht erlangt werden, als daß der Herzog ein früheres Versprechen, den Thier¬
garten abzuschaffen, erneuerte und möglichst umfassende Wildschaden-Vergü¬
tung verhieß.

Bei Tafel zeigte sich der Herzog froher als seit langer Zeit. Er ver
langte eine Flasche Champagner, in demselben Augenblick wandte er jedoch
selbst ein, er dürfe jetzt keinen Wein mehr trinken und er blieb auch trotz
allen Zuredens dabei, es sollte an seiner Tafel kein Wein mehr getrunken
werden, weil er den Unterthanen zeigen wolle, daß ihm kein Opfer für ihr
Wohl zu schwer sei. Nachmittags sollte Dabelow seinen Vortrag bei dem
Herzoge halten, blieb aber ungewöhnlich lange aus. Er mochte sich, wie
auch der Herzog zu verstehen gab, schämen, heute anders zu diesem sprechen
zu müssen, als er seit Jahr und Tag gethan. Endlich erschien er und blieb
3 Stunden mit dem Herzoge allein. Nochmals täuschte er den Herzog, ver¬
heimlichte die Dresdner Briefe, die, wie er vorgab, nur ganz unbedeutende
Dinge enthielten, und suchte die vom Herzoge eben beschlossenen Maßregeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/392>, abgerufen am 24.08.2024.