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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Und das war -- so unglaublich es klingt, -- dahin zu verstehen, daß
die Mitglieder der Ständeversammlung für ihre Per¬
sonen mit Execution wegen der Monatsrate der Herzoglichen Civilliste be¬
legt werden sollten, und auf die betroffene Anfrage der Stände, was denn
sie an dem schlechten Zustande der Finanzen verschuldet hätten, die nicht
einmal unter ihrer Leitung ständen, ob nicht vielmehr die Unordnung in der
früheren Finanzwirthschaft, die neuentdeckten Schuldposten, die Verarmung
der Unterthanen, die Höhe der Civilliste einzig die Schuld trügen, und auf
ihren feierlichen Protest gegen die unerhörte, die Unverletzlichkeit der Volks¬
repräsentanten wahrhaft verhöhnende Drohung schrieb ihnen der Freiherr von
Dabelow zurück, daß die Stände bei Abschluß des Vertrags mit dem Herzoge
gar nicht als Volksrepräsentanten, sondern als gewöhnliche Paciscanten ohne
jeden konstitutionellen Character in Betracht kämen, welche die übernommenen
Verpflichtungen persönlich erfüllen müßten, und setzte dieser himmelschrei¬
enden, dem Sinn und Wortlaut des Vertrags gradezu in das Gesicht schla¬
genden Deduction in hochfahrenden Tone hinzu: "Sehen Sie, meine Herren,
so verhält sich die Sache, wenn ich als Jurist mit Ihnen spreche und, Ihnen
zeigen soll, daß ich, indem ich Sie mit Execution bedrohete, wohl wußte,
wie weit ich zu gehen bemächtigt war."

Den Ständen blieb kein Ausweg als die directe Beschwerde bet dem
wohlwollenden frühern Vermittler, dem König von Sachsen. Inzwischen
wiederholte Dabelow seine Drohung, zu deren Ausführung er, wie er schrieb,
seiner Vorstellungen ungeachtet, die Herzogliche Ordre in jedem Augenblick zu
erwarten habe. Da, in einem Moment, wo die gegenseitige Spannung den
höchsten Punkt erreicht hatte, wo stündlich entweder die sächsische Intervention
oder zum Skandal vor der ganzen gebildeten Welt die Execution gegen die
Volksvertreter zu erwarten stand, in diesem Moment griff die Vorsehung mit
fester Hand ein -- -- der Herzog starb. Er starb unerwartet, nach
kurzer Krankheit, am 6. Mai, grade 9 Jahr früher als sein Vorbild Napoleon,
mitten unter seinen Unterthanen, und doch fast so einsam wie Jener.

Der Tod des Herzogs hat ganz besonders tragische Momente, und die
Gerechtigkeit macht es zur Pflicht, nachdem vorher die dunkeln Stellen in dem
Leben des Herzogs nicht verschwiegen sind, an dieser Stelle auch an sein
Sterbebett zu treten, welches nach dem gewiß treuen Bericht des schon er¬
wähnten Finanzraths Albert*) von einem helleren Licht bestrahlt wird, als es
auf die Summe seiner Lebenstage gefallen war. -- Der Herzog starb mit
klarer Einsicht in sein verfehltes Leben, in seine verfehlte Regierung, vielleicht
getödtet von der Krisis, welche ihm diese Einsicht gegeben hatte. Am Abend



") "Erinnerungen" S. 47. ff.

Und das war — so unglaublich es klingt, — dahin zu verstehen, daß
die Mitglieder der Ständeversammlung für ihre Per¬
sonen mit Execution wegen der Monatsrate der Herzoglichen Civilliste be¬
legt werden sollten, und auf die betroffene Anfrage der Stände, was denn
sie an dem schlechten Zustande der Finanzen verschuldet hätten, die nicht
einmal unter ihrer Leitung ständen, ob nicht vielmehr die Unordnung in der
früheren Finanzwirthschaft, die neuentdeckten Schuldposten, die Verarmung
der Unterthanen, die Höhe der Civilliste einzig die Schuld trügen, und auf
ihren feierlichen Protest gegen die unerhörte, die Unverletzlichkeit der Volks¬
repräsentanten wahrhaft verhöhnende Drohung schrieb ihnen der Freiherr von
Dabelow zurück, daß die Stände bei Abschluß des Vertrags mit dem Herzoge
gar nicht als Volksrepräsentanten, sondern als gewöhnliche Paciscanten ohne
jeden konstitutionellen Character in Betracht kämen, welche die übernommenen
Verpflichtungen persönlich erfüllen müßten, und setzte dieser himmelschrei¬
enden, dem Sinn und Wortlaut des Vertrags gradezu in das Gesicht schla¬
genden Deduction in hochfahrenden Tone hinzu: „Sehen Sie, meine Herren,
so verhält sich die Sache, wenn ich als Jurist mit Ihnen spreche und, Ihnen
zeigen soll, daß ich, indem ich Sie mit Execution bedrohete, wohl wußte,
wie weit ich zu gehen bemächtigt war."

Den Ständen blieb kein Ausweg als die directe Beschwerde bet dem
wohlwollenden frühern Vermittler, dem König von Sachsen. Inzwischen
wiederholte Dabelow seine Drohung, zu deren Ausführung er, wie er schrieb,
seiner Vorstellungen ungeachtet, die Herzogliche Ordre in jedem Augenblick zu
erwarten habe. Da, in einem Moment, wo die gegenseitige Spannung den
höchsten Punkt erreicht hatte, wo stündlich entweder die sächsische Intervention
oder zum Skandal vor der ganzen gebildeten Welt die Execution gegen die
Volksvertreter zu erwarten stand, in diesem Moment griff die Vorsehung mit
fester Hand ein — — der Herzog starb. Er starb unerwartet, nach
kurzer Krankheit, am 6. Mai, grade 9 Jahr früher als sein Vorbild Napoleon,
mitten unter seinen Unterthanen, und doch fast so einsam wie Jener.

Der Tod des Herzogs hat ganz besonders tragische Momente, und die
Gerechtigkeit macht es zur Pflicht, nachdem vorher die dunkeln Stellen in dem
Leben des Herzogs nicht verschwiegen sind, an dieser Stelle auch an sein
Sterbebett zu treten, welches nach dem gewiß treuen Bericht des schon er¬
wähnten Finanzraths Albert*) von einem helleren Licht bestrahlt wird, als es
auf die Summe seiner Lebenstage gefallen war. — Der Herzog starb mit
klarer Einsicht in sein verfehltes Leben, in seine verfehlte Regierung, vielleicht
getödtet von der Krisis, welche ihm diese Einsicht gegeben hatte. Am Abend



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/390>, abgerufen am 24.08.2024.