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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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französischen Gesandten in Dresden (Baron von Bourgoing) mit einer an
Napoleon als Protector des Rheinbunds gerichteten Beschwerde gewandt. In
Folge dessen hatte der König von Sachsen sich zur Vermittelung bereit ge¬
funden, und ein Abgeordneter desselben hatte ein Schreiben an den Herzog über¬
bracht. Der Inhalt dieses Schreibens ist den bisherigen Geschichtsschreibern
nicht bekannt geworden, sie glauben, daß es bloß eine Abweisung der Be¬
schwerde der Ritterschaft enthalten habe; aus einer eigenhändigen Notiz Da-
belows in den Acten über die ministerielle Correspondenz mit den Ständen
läßt sich jedoch entnehmen, daß in jenem Schreiben der Herzog von dem König
von Sachsen darauf hingewiesen wurde, vor allen Dingen die Stände zu-
sammenzuberufen, und eigenmächtig keine Steuern aufzulegen. Das Jnsleben-
treten der Stände war daher zur Nothwendigkeit geworden. Noch kurz vor
dem Zusammentritt derselben, unter dem 19. Mai 1811, erfolgte jedoch in
Bezug auf die Stände ein neues Edict Behufs genauerer Bestimmung der
Regierungsverhältnisse, ein Edict von unerreichbaren Wortschwall und vollen¬
deter Nachahmung der französischen Muster auf und zwischen den Zeilen.

"Wir allein sind die Quelle aller Einrichtungen und Gesetze im Staate" hebt
es an. "In Unseren früheren Constitutionen hatten wir", heißt eS dann später,
"den neuen Ständen Unseres Herzogthums bei den Bestenenmgsgesetzcn eine bloß be"
rathenne Stimme ertheilt nur waren dazu um so mehr befugt, als wir durch Unsern
Beitritt zu der Rhein-Conföderation (!) die völlige Souveränität in Unserm Herzog¬
tum erworben hatten und es ganz von Uns abhing, ob Wir fortan noch Stände
wollten oder nicht. Um aber Unseren lieben getreuen Unterthanen zu beweisen,
welches Vertrauen Wir in sie setzen und wie sehr Wir die Liebe und Zuneigung,
mit welcher sie uns von jeher zugethan waren, zu achten wissen, ertheilen Wir hier¬
durch den neuen von Uns ernannten Ständen Unseres Herzogthums in den für sie
gehörigen Geschäften einen vollständigen Repräsentations - Ch aracter in dem
Maße, wie er nach der französischen bei Uns eingeführten Verfassung nur immer
statthaben mag."

Diese Stelle muß sehr auffallen, wenn man sich aus unserm ersten Ar¬
tikel erinnert, daß nach dem Edict vom 19. Februar 1811 (Art. 14.) die
Stände zur Discussion der im Staatsrath entworfenen, also aller zu er¬
lassenden Gesetze berufen sein sollten. Das neue Edict spricht dagegen nur von
einer Stimme der Stände bei den Besteuerungsgesetzen. Zur Lösung
dieses Widerspruchs wurde behauptet, daß der Art. 14 des Edicts vom
29. Febr. 1811 unbestimmt gefaßt und nur von Besteuerungsgesetzen zu
verstehen sei. So hatte man mit der einen Hand unter volltönenden Worten
gegeben, mit der andern mehr und Wichtigeres genommen. Das Geschenk der
ersten Hand, das Steuerbewilligungsrecht wäre, bei der trostlosen Lage
des Landes aber in der That auch nur ein Danaer-Geschenk gewesen. Denn


Vrenzbottn 1873. I. 48

französischen Gesandten in Dresden (Baron von Bourgoing) mit einer an
Napoleon als Protector des Rheinbunds gerichteten Beschwerde gewandt. In
Folge dessen hatte der König von Sachsen sich zur Vermittelung bereit ge¬
funden, und ein Abgeordneter desselben hatte ein Schreiben an den Herzog über¬
bracht. Der Inhalt dieses Schreibens ist den bisherigen Geschichtsschreibern
nicht bekannt geworden, sie glauben, daß es bloß eine Abweisung der Be¬
schwerde der Ritterschaft enthalten habe; aus einer eigenhändigen Notiz Da-
belows in den Acten über die ministerielle Correspondenz mit den Ständen
läßt sich jedoch entnehmen, daß in jenem Schreiben der Herzog von dem König
von Sachsen darauf hingewiesen wurde, vor allen Dingen die Stände zu-
sammenzuberufen, und eigenmächtig keine Steuern aufzulegen. Das Jnsleben-
treten der Stände war daher zur Nothwendigkeit geworden. Noch kurz vor
dem Zusammentritt derselben, unter dem 19. Mai 1811, erfolgte jedoch in
Bezug auf die Stände ein neues Edict Behufs genauerer Bestimmung der
Regierungsverhältnisse, ein Edict von unerreichbaren Wortschwall und vollen¬
deter Nachahmung der französischen Muster auf und zwischen den Zeilen.

„Wir allein sind die Quelle aller Einrichtungen und Gesetze im Staate" hebt
es an. „In Unseren früheren Constitutionen hatten wir", heißt eS dann später,
„den neuen Ständen Unseres Herzogthums bei den Bestenenmgsgesetzcn eine bloß be«
rathenne Stimme ertheilt nur waren dazu um so mehr befugt, als wir durch Unsern
Beitritt zu der Rhein-Conföderation (!) die völlige Souveränität in Unserm Herzog¬
tum erworben hatten und es ganz von Uns abhing, ob Wir fortan noch Stände
wollten oder nicht. Um aber Unseren lieben getreuen Unterthanen zu beweisen,
welches Vertrauen Wir in sie setzen und wie sehr Wir die Liebe und Zuneigung,
mit welcher sie uns von jeher zugethan waren, zu achten wissen, ertheilen Wir hier¬
durch den neuen von Uns ernannten Ständen Unseres Herzogthums in den für sie
gehörigen Geschäften einen vollständigen Repräsentations - Ch aracter in dem
Maße, wie er nach der französischen bei Uns eingeführten Verfassung nur immer
statthaben mag."

Diese Stelle muß sehr auffallen, wenn man sich aus unserm ersten Ar¬
tikel erinnert, daß nach dem Edict vom 19. Februar 1811 (Art. 14.) die
Stände zur Discussion der im Staatsrath entworfenen, also aller zu er¬
lassenden Gesetze berufen sein sollten. Das neue Edict spricht dagegen nur von
einer Stimme der Stände bei den Besteuerungsgesetzen. Zur Lösung
dieses Widerspruchs wurde behauptet, daß der Art. 14 des Edicts vom
29. Febr. 1811 unbestimmt gefaßt und nur von Besteuerungsgesetzen zu
verstehen sei. So hatte man mit der einen Hand unter volltönenden Worten
gegeben, mit der andern mehr und Wichtigeres genommen. Das Geschenk der
ersten Hand, das Steuerbewilligungsrecht wäre, bei der trostlosen Lage
des Landes aber in der That auch nur ein Danaer-Geschenk gewesen. Denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/385>, abgerufen am 24.08.2024.