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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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dauer und Metallarbeiter beschlossen, den Strike mit allen Kräften zu unter¬
stützen." Diese Fassung bedarf keines Commentars. Ebensowenig das weitere
Verhalten des "Organs" während dieses Strikes. Denn selbst als die Sin¬
kenden jenes famose Pronuneiamento an die Actionäre erließen, in welchem
sie -- eine "versöhnliche" Sprache redend, wie sie selbst sich bezeugten -- den
Actionären riethen, L Procenr von ihren 10 herzugeben, 60 Procent aus dem
Reservefonds (!) zu nehmen, und die unverschämten Gehälter ihrer Directoren
und Verwaltungsräthe zu beschränken, um den Forderungen der Sinkenden
genügen zu können, da hatte der "Gewerkverein" des Herrn Hirsch kein Wort
der Mißbilligung, nicht einmal ein Wort der Erwähnung für diese Verwir¬
rung. Er gab bloß die Versicherung, daß auch bei dieser Gelegenheit die Or¬
ganisation der Gewerkvereine sich "glänzend bewährt" habe -- während ^
der Sinkenden die Arbeit nach Monatsfrist unter den alten Bedingungen
wieder aufnahmen.

Es giebt noch weitere Strikeerfahrungen der deutschen Gewerkvereine in
Fülle, aber es ist an den obigen genug, um zu zeigen, daß Mittel und Zwecke
des Verbandes im Wesentlichen in Strikes culminiren und verbraucht werden.
Die englischen Unions, die viel weniger anspruchsvoll und hochtrabend --
und vor Allem durchaus nicht so mit politischer Agitation durchwebt sind, wie
die deutschen, gestehen das unumwunden ein. Die deutschen haben aber auch
selbst nothgedrungen wiederholt dasselbe Geständniß abgelegt. Auf dem Ver¬
bandstage 1871 sagt Herr Hirsch wörtlich: "Wenn ich gesagt habe, wir
brauchen die Arbeitseinstellungen dennoch, obgleich ich sie im Princip ver¬
werfe, so bin ich der Meinung, daß wir die Arbeitseinstellungen haben
müssen, um unsern Forderungen einen Nachdruck zu geben". Außerdem ver¬
schlingt die "Agitation", nach den eigenen Kassenberichten des Verbandes,
b/g des gesammten Budgets! Und nun erwäge man noch, wie sehr die Bei¬
mischung des politischen Elements in den deutschen Gewerkvereinen alle ohne¬
hin zu excentrischen Beschlüssen hinneigenden Kräfte verstärkt und einer unbe¬
fangenen Beurtheilung der Sachlage unzugänglich macht.

So flüchtig dieser Einblick in das Wesen der Gewerkvereine sein muß:
soviel wird sie uns doch zeigen, daß eine staatliche Anerkennung derselben
ohne große Vorsicht und Garantien gegen Mißbrauch nicht gerathen erscheint.
Diese Bedenken werden aber noch erhöht, wenn'wir einen Blick werfen auf
die bunten und wirren Kassenverhältnisse dieser Vereinigungen. Daß alle
Kassen des Verbandes Gemeingut sind, ist wiederholt bemerkt worden. Selbstver¬
ständlich kann die Verfügung über dieses Gesammtvermögen auch mürber Gesammt-
leitung, dem Berliner Centralrath (event, dem Verbandstag), zustehen. In Betreff
der Gelder, welche mit dem Hintergedanken, sie zu Strikes zu verausgaben von
den Ortsvereinen im häuslichen Kreise gesammelt, und in Betreff der Quar-


dauer und Metallarbeiter beschlossen, den Strike mit allen Kräften zu unter¬
stützen." Diese Fassung bedarf keines Commentars. Ebensowenig das weitere
Verhalten des „Organs" während dieses Strikes. Denn selbst als die Sin¬
kenden jenes famose Pronuneiamento an die Actionäre erließen, in welchem
sie — eine „versöhnliche" Sprache redend, wie sie selbst sich bezeugten — den
Actionären riethen, L Procenr von ihren 10 herzugeben, 60 Procent aus dem
Reservefonds (!) zu nehmen, und die unverschämten Gehälter ihrer Directoren
und Verwaltungsräthe zu beschränken, um den Forderungen der Sinkenden
genügen zu können, da hatte der „Gewerkverein" des Herrn Hirsch kein Wort
der Mißbilligung, nicht einmal ein Wort der Erwähnung für diese Verwir¬
rung. Er gab bloß die Versicherung, daß auch bei dieser Gelegenheit die Or¬
ganisation der Gewerkvereine sich „glänzend bewährt" habe — während ^
der Sinkenden die Arbeit nach Monatsfrist unter den alten Bedingungen
wieder aufnahmen.

Es giebt noch weitere Strikeerfahrungen der deutschen Gewerkvereine in
Fülle, aber es ist an den obigen genug, um zu zeigen, daß Mittel und Zwecke
des Verbandes im Wesentlichen in Strikes culminiren und verbraucht werden.
Die englischen Unions, die viel weniger anspruchsvoll und hochtrabend —
und vor Allem durchaus nicht so mit politischer Agitation durchwebt sind, wie
die deutschen, gestehen das unumwunden ein. Die deutschen haben aber auch
selbst nothgedrungen wiederholt dasselbe Geständniß abgelegt. Auf dem Ver¬
bandstage 1871 sagt Herr Hirsch wörtlich: „Wenn ich gesagt habe, wir
brauchen die Arbeitseinstellungen dennoch, obgleich ich sie im Princip ver¬
werfe, so bin ich der Meinung, daß wir die Arbeitseinstellungen haben
müssen, um unsern Forderungen einen Nachdruck zu geben". Außerdem ver¬
schlingt die „Agitation", nach den eigenen Kassenberichten des Verbandes,
b/g des gesammten Budgets! Und nun erwäge man noch, wie sehr die Bei¬
mischung des politischen Elements in den deutschen Gewerkvereinen alle ohne¬
hin zu excentrischen Beschlüssen hinneigenden Kräfte verstärkt und einer unbe¬
fangenen Beurtheilung der Sachlage unzugänglich macht.

So flüchtig dieser Einblick in das Wesen der Gewerkvereine sein muß:
soviel wird sie uns doch zeigen, daß eine staatliche Anerkennung derselben
ohne große Vorsicht und Garantien gegen Mißbrauch nicht gerathen erscheint.
Diese Bedenken werden aber noch erhöht, wenn'wir einen Blick werfen auf
die bunten und wirren Kassenverhältnisse dieser Vereinigungen. Daß alle
Kassen des Verbandes Gemeingut sind, ist wiederholt bemerkt worden. Selbstver¬
ständlich kann die Verfügung über dieses Gesammtvermögen auch mürber Gesammt-
leitung, dem Berliner Centralrath (event, dem Verbandstag), zustehen. In Betreff
der Gelder, welche mit dem Hintergedanken, sie zu Strikes zu verausgaben von
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[0379] dauer und Metallarbeiter beschlossen, den Strike mit allen Kräften zu unter¬ stützen." Diese Fassung bedarf keines Commentars. Ebensowenig das weitere Verhalten des „Organs" während dieses Strikes. Denn selbst als die Sin¬ kenden jenes famose Pronuneiamento an die Actionäre erließen, in welchem sie — eine „versöhnliche" Sprache redend, wie sie selbst sich bezeugten — den Actionären riethen, L Procenr von ihren 10 herzugeben, 60 Procent aus dem Reservefonds (!) zu nehmen, und die unverschämten Gehälter ihrer Directoren und Verwaltungsräthe zu beschränken, um den Forderungen der Sinkenden genügen zu können, da hatte der „Gewerkverein" des Herrn Hirsch kein Wort der Mißbilligung, nicht einmal ein Wort der Erwähnung für diese Verwir¬ rung. Er gab bloß die Versicherung, daß auch bei dieser Gelegenheit die Or¬ ganisation der Gewerkvereine sich „glänzend bewährt" habe — während ^ der Sinkenden die Arbeit nach Monatsfrist unter den alten Bedingungen wieder aufnahmen. Es giebt noch weitere Strikeerfahrungen der deutschen Gewerkvereine in Fülle, aber es ist an den obigen genug, um zu zeigen, daß Mittel und Zwecke des Verbandes im Wesentlichen in Strikes culminiren und verbraucht werden. Die englischen Unions, die viel weniger anspruchsvoll und hochtrabend — und vor Allem durchaus nicht so mit politischer Agitation durchwebt sind, wie die deutschen, gestehen das unumwunden ein. Die deutschen haben aber auch selbst nothgedrungen wiederholt dasselbe Geständniß abgelegt. Auf dem Ver¬ bandstage 1871 sagt Herr Hirsch wörtlich: „Wenn ich gesagt habe, wir brauchen die Arbeitseinstellungen dennoch, obgleich ich sie im Princip ver¬ werfe, so bin ich der Meinung, daß wir die Arbeitseinstellungen haben müssen, um unsern Forderungen einen Nachdruck zu geben". Außerdem ver¬ schlingt die „Agitation", nach den eigenen Kassenberichten des Verbandes, b/g des gesammten Budgets! Und nun erwäge man noch, wie sehr die Bei¬ mischung des politischen Elements in den deutschen Gewerkvereinen alle ohne¬ hin zu excentrischen Beschlüssen hinneigenden Kräfte verstärkt und einer unbe¬ fangenen Beurtheilung der Sachlage unzugänglich macht. So flüchtig dieser Einblick in das Wesen der Gewerkvereine sein muß: soviel wird sie uns doch zeigen, daß eine staatliche Anerkennung derselben ohne große Vorsicht und Garantien gegen Mißbrauch nicht gerathen erscheint. Diese Bedenken werden aber noch erhöht, wenn'wir einen Blick werfen auf die bunten und wirren Kassenverhältnisse dieser Vereinigungen. Daß alle Kassen des Verbandes Gemeingut sind, ist wiederholt bemerkt worden. Selbstver¬ ständlich kann die Verfügung über dieses Gesammtvermögen auch mürber Gesammt- leitung, dem Berliner Centralrath (event, dem Verbandstag), zustehen. In Betreff der Gelder, welche mit dem Hintergedanken, sie zu Strikes zu verausgaben von den Ortsvereinen im häuslichen Kreise gesammelt, und in Betreff der Quar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/379>, abgerufen am 24.08.2024.