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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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beseitigt. So würde denn in der That ein solches Gesetz, außer der unzählbaren
Menge von "unschuldigen" Vereinen, vornehmlich nur den Gewerkvereinen nach
Hirsch-Duncker'sehen Muster und ähnlichen Gebilden zu Gute kommen. Dürfen
wir ihnen die nun schon so oft erbetene gesetzliche Anerkennung unbedenklich gewäh¬
ren? Verdienen wir nicht die proseribirende Verachtung der "Volkszeitung" des
Herrn Duncker und des "Gewerkvereins" des Herrn Hirsch, wenn wir uns nach
wie vor argwöhnisch und kritisch zu dieser Forderung verhalten? Ist nicht auch
das gelehrte Votum der Professoren Schmoller und Brentano zu Gunsten der
Gewerkvereine in hohem Grade überzeugend dafür, daß der Reichstag die
Pflicht hat, schleunigst den Erzeugern und Berathern der Gewerkvereine durch
staatliche Anerkennung zu willfahren? Und erfreuen die Herren Schmoller
und Brentano -- nach der Versicherung ihrer Freunde -- sich nicht der aus¬
gesprochenen Patronirung Seiten der maßgebendsten Regierungskreise?

Auf alle diese Fragen -- mit Ausnahme etwa der letzten -- gibt eine
Schrift Antwort, die Ludwig Bamberger in diesen Tagen herausgegeben
hat.*) Ihr folgen wir hauptsächlich in den nachstehenden Zeilen. Bamber¬
ger ist ja aus mannigfachen Gründen einer der competentesten Beurtheiler
der Natur und des Charakters der deutschen Gewerkvereine wie ihrer englischen
Vorbilder. Er hat die ersteren von Anbeginn studirt in ihren leiblichen Vätern,
ihrem Organ, ihren Resultaten; er kennt die englischen Gracie Amors und die
ihnen gewidmete englische Gesetzgebung aus eigenem Augenschein und eigenen
englischen Nechtsstudien. Ihm kommt bei der wirthschaftlichen, geschichtlichen
und juristischen Würdigung aller dieser Strebungen eine ebenso große Bele¬
senheit zu Gute in der einschlagenden Literatur und allen verwandten Wissen¬
schaften als eine ungewöhnlich gründliche praktische Erfahrung im großen mo¬
dernen Geschäftsleben. Endlich ist Bamberger der Referent des Reichstages
über den Schulze'schen Vereinsgesetzentwurf im Jahr 1872 gewesen, und hat
als solcher eine Menge Material über diese Frage gesammelt, welches wirk¬
lich ein besseres Schicksal verdient, als ungekannt wieder in die Atome sich
aufzulösen. Der Wunsch, "in Form einer freien und selbständigen Verar¬
beitung der vielerwogenen Materie, etwas von der aufgewandten Mühe für
die Denkarbeit der Zukunft zu erhalten," hat dem vorliegenden Werke den
Anlaß der Entstehung gegeben. Der reiche Geist, die immer lebendige fesselnde
Darstellungsweise, das tiefe Wissen des Verfassers macht es zu einer der be¬
deutendsten Leistungen auf dem Gebiete der socialen Literatur unserer Tage.

Wir beschränken uns darauf, an der Hand des reichhaltigen Materials,
welches Bamberger bietet, die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten.



') "Die Arbeiterfrage unter dem Gesichtspunkt des Vereinsrcchtes ' von Ludw. Bamberger,
Stuttgart I. G. Cotta, 1873.

beseitigt. So würde denn in der That ein solches Gesetz, außer der unzählbaren
Menge von „unschuldigen" Vereinen, vornehmlich nur den Gewerkvereinen nach
Hirsch-Duncker'sehen Muster und ähnlichen Gebilden zu Gute kommen. Dürfen
wir ihnen die nun schon so oft erbetene gesetzliche Anerkennung unbedenklich gewäh¬
ren? Verdienen wir nicht die proseribirende Verachtung der „Volkszeitung" des
Herrn Duncker und des „Gewerkvereins" des Herrn Hirsch, wenn wir uns nach
wie vor argwöhnisch und kritisch zu dieser Forderung verhalten? Ist nicht auch
das gelehrte Votum der Professoren Schmoller und Brentano zu Gunsten der
Gewerkvereine in hohem Grade überzeugend dafür, daß der Reichstag die
Pflicht hat, schleunigst den Erzeugern und Berathern der Gewerkvereine durch
staatliche Anerkennung zu willfahren? Und erfreuen die Herren Schmoller
und Brentano — nach der Versicherung ihrer Freunde — sich nicht der aus¬
gesprochenen Patronirung Seiten der maßgebendsten Regierungskreise?

Auf alle diese Fragen — mit Ausnahme etwa der letzten — gibt eine
Schrift Antwort, die Ludwig Bamberger in diesen Tagen herausgegeben
hat.*) Ihr folgen wir hauptsächlich in den nachstehenden Zeilen. Bamber¬
ger ist ja aus mannigfachen Gründen einer der competentesten Beurtheiler
der Natur und des Charakters der deutschen Gewerkvereine wie ihrer englischen
Vorbilder. Er hat die ersteren von Anbeginn studirt in ihren leiblichen Vätern,
ihrem Organ, ihren Resultaten; er kennt die englischen Gracie Amors und die
ihnen gewidmete englische Gesetzgebung aus eigenem Augenschein und eigenen
englischen Nechtsstudien. Ihm kommt bei der wirthschaftlichen, geschichtlichen
und juristischen Würdigung aller dieser Strebungen eine ebenso große Bele¬
senheit zu Gute in der einschlagenden Literatur und allen verwandten Wissen¬
schaften als eine ungewöhnlich gründliche praktische Erfahrung im großen mo¬
dernen Geschäftsleben. Endlich ist Bamberger der Referent des Reichstages
über den Schulze'schen Vereinsgesetzentwurf im Jahr 1872 gewesen, und hat
als solcher eine Menge Material über diese Frage gesammelt, welches wirk¬
lich ein besseres Schicksal verdient, als ungekannt wieder in die Atome sich
aufzulösen. Der Wunsch, „in Form einer freien und selbständigen Verar¬
beitung der vielerwogenen Materie, etwas von der aufgewandten Mühe für
die Denkarbeit der Zukunft zu erhalten," hat dem vorliegenden Werke den
Anlaß der Entstehung gegeben. Der reiche Geist, die immer lebendige fesselnde
Darstellungsweise, das tiefe Wissen des Verfassers macht es zu einer der be¬
deutendsten Leistungen auf dem Gebiete der socialen Literatur unserer Tage.

Wir beschränken uns darauf, an der Hand des reichhaltigen Materials,
welches Bamberger bietet, die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten.



') „Die Arbeiterfrage unter dem Gesichtspunkt des Vereinsrcchtes ' von Ludw. Bamberger,
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[0372] beseitigt. So würde denn in der That ein solches Gesetz, außer der unzählbaren Menge von „unschuldigen" Vereinen, vornehmlich nur den Gewerkvereinen nach Hirsch-Duncker'sehen Muster und ähnlichen Gebilden zu Gute kommen. Dürfen wir ihnen die nun schon so oft erbetene gesetzliche Anerkennung unbedenklich gewäh¬ ren? Verdienen wir nicht die proseribirende Verachtung der „Volkszeitung" des Herrn Duncker und des „Gewerkvereins" des Herrn Hirsch, wenn wir uns nach wie vor argwöhnisch und kritisch zu dieser Forderung verhalten? Ist nicht auch das gelehrte Votum der Professoren Schmoller und Brentano zu Gunsten der Gewerkvereine in hohem Grade überzeugend dafür, daß der Reichstag die Pflicht hat, schleunigst den Erzeugern und Berathern der Gewerkvereine durch staatliche Anerkennung zu willfahren? Und erfreuen die Herren Schmoller und Brentano — nach der Versicherung ihrer Freunde — sich nicht der aus¬ gesprochenen Patronirung Seiten der maßgebendsten Regierungskreise? Auf alle diese Fragen — mit Ausnahme etwa der letzten — gibt eine Schrift Antwort, die Ludwig Bamberger in diesen Tagen herausgegeben hat.*) Ihr folgen wir hauptsächlich in den nachstehenden Zeilen. Bamber¬ ger ist ja aus mannigfachen Gründen einer der competentesten Beurtheiler der Natur und des Charakters der deutschen Gewerkvereine wie ihrer englischen Vorbilder. Er hat die ersteren von Anbeginn studirt in ihren leiblichen Vätern, ihrem Organ, ihren Resultaten; er kennt die englischen Gracie Amors und die ihnen gewidmete englische Gesetzgebung aus eigenem Augenschein und eigenen englischen Nechtsstudien. Ihm kommt bei der wirthschaftlichen, geschichtlichen und juristischen Würdigung aller dieser Strebungen eine ebenso große Bele¬ senheit zu Gute in der einschlagenden Literatur und allen verwandten Wissen¬ schaften als eine ungewöhnlich gründliche praktische Erfahrung im großen mo¬ dernen Geschäftsleben. Endlich ist Bamberger der Referent des Reichstages über den Schulze'schen Vereinsgesetzentwurf im Jahr 1872 gewesen, und hat als solcher eine Menge Material über diese Frage gesammelt, welches wirk¬ lich ein besseres Schicksal verdient, als ungekannt wieder in die Atome sich aufzulösen. Der Wunsch, „in Form einer freien und selbständigen Verar¬ beitung der vielerwogenen Materie, etwas von der aufgewandten Mühe für die Denkarbeit der Zukunft zu erhalten," hat dem vorliegenden Werke den Anlaß der Entstehung gegeben. Der reiche Geist, die immer lebendige fesselnde Darstellungsweise, das tiefe Wissen des Verfassers macht es zu einer der be¬ deutendsten Leistungen auf dem Gebiete der socialen Literatur unserer Tage. Wir beschränken uns darauf, an der Hand des reichhaltigen Materials, welches Bamberger bietet, die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten. ') „Die Arbeiterfrage unter dem Gesichtspunkt des Vereinsrcchtes ' von Ludw. Bamberger, Stuttgart I. G. Cotta, 1873.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/372>, abgerufen am 23.07.2024.