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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Entwürfe Stipa iLäactionv als eine unschuldige Nothwendigkeit betrachtete.
Nirgends tritt der Argwohn zu Tage, daß die ganze Campagne von Anfang
an Seiten der sogenannten deutschen Fortschrittspartei klug und geschickt, unter
Vorschiebung der achtbarsten Autoritäten, und unter der Maske größter
Harmlosigkeit, eingeleitet war im wesentlichen zu Gunsten der "Gewerkvereine",
die seit 1869 unter den Auspickn der Herren Franz Duncker und Max Hirsch
ins Leben gerufen worden waren. Ebensowenig war bis dahin der Verdacht
rege geworden, daß außer den Gewerkvereinen noch ganz andere Vereinigungen
sich die Privilegien der Schulze'schen Entwürfe zu Nutze machen könnten. Als
der "Reichsgreil" die socialen Besorgnisse zur Sprache brachte, die aus dem
Entwürfe drohend hervorschauten, lohnte ihn die übliche Heiterkeit des Hauses.
Daß das zurückhaltende Schweigen des Bundesrathes der fortschrittlichen Presse
den Anlaß zu glänzenden Manifestationen des Mißtrauens gegen die volks¬
feindlichen Regungen der Regierungen gab, ist selbstverständlich. Die Anwälte
des Volkswohls bedürfen der häufigen Erneuerung ihrer Legitimationen.

Durchaus anders verhielt sich aber der Reichstag zu diesem stereotypen
Pensum seiner jährlichen Berathungen, als am 17. April 1872 der nämliche
Antrag abermals bei ihm eingebracht wurde. Die Väter des Antrages selbst
hatten inzwischen in dem Autodafe' über die ketzerischen Abgeordneten und
Bundesrathsmitglieder, welche die Vollendung dieses gesetzgeberischen Werkes
bisher verschleppt haben sollten, mit der wünschenswerthesten Offenheit bekannt,
daß das neue Vereinsgesetz im wesentlichen den Hirsch-Duncker'schen Gewerk-
vereinen zu Gute kommen solle. Diese Vereine aber hatten sich je länger je
wehr als eine so prägnante Species social-politischer Agitation dargethan, sie
waren den Nichteingeweihten so wenig bekannt, sie prahlten in allen ihren
officiellen Schriften so zuversichtlich mit ihrer Prosperität und Dispositions¬
freiheit auch ohne das Neichsgesetz, daß der Reichstag dießmal vor Allem die
Dringlichkeit der gesetzgeberischen Beschlußfassung in Zweifel zog und die
sociale Seite des Problems in seinen Berathungen über den Entwurf durch¬
aus in den Vordergrund stellte. Die Sache wurde -- trotz aller vorausge¬
henden Entwürfe und Beschlüsse früherer Reichstage abermals an eine Com¬
mission gewiesen, und diese konnte, trotz eifrigster Berathungen erst drei Tage
vor Schluß der Session ihre Beschlüsse im Druck vertheilen. So war -- wenn
wir einen Antrag Schulze's im preußischen Abgeordnetenhause im Januar 1869
dazu rechnen -- auch der vierte Versuch gescheitert, den Gewerkvereinen die
goldne Medaille der staatlichen Anerkennung zu erringen.

Zum fünften Male wird zweifellos in diesem Jahre der Gesetzentwurf
"betreffend die privatrechtliche Stellung von Vereinen" dem Reichstag vorge¬
legt werden. Die Bedenken, daß die ultramontanen Verbrüderungen daraus
Vortheil ziehen könnten, sind schon in allen bisherigen Entwürfen sorgfältig


Entwürfe Stipa iLäactionv als eine unschuldige Nothwendigkeit betrachtete.
Nirgends tritt der Argwohn zu Tage, daß die ganze Campagne von Anfang
an Seiten der sogenannten deutschen Fortschrittspartei klug und geschickt, unter
Vorschiebung der achtbarsten Autoritäten, und unter der Maske größter
Harmlosigkeit, eingeleitet war im wesentlichen zu Gunsten der „Gewerkvereine",
die seit 1869 unter den Auspickn der Herren Franz Duncker und Max Hirsch
ins Leben gerufen worden waren. Ebensowenig war bis dahin der Verdacht
rege geworden, daß außer den Gewerkvereinen noch ganz andere Vereinigungen
sich die Privilegien der Schulze'schen Entwürfe zu Nutze machen könnten. Als
der „Reichsgreil" die socialen Besorgnisse zur Sprache brachte, die aus dem
Entwürfe drohend hervorschauten, lohnte ihn die übliche Heiterkeit des Hauses.
Daß das zurückhaltende Schweigen des Bundesrathes der fortschrittlichen Presse
den Anlaß zu glänzenden Manifestationen des Mißtrauens gegen die volks¬
feindlichen Regungen der Regierungen gab, ist selbstverständlich. Die Anwälte
des Volkswohls bedürfen der häufigen Erneuerung ihrer Legitimationen.

Durchaus anders verhielt sich aber der Reichstag zu diesem stereotypen
Pensum seiner jährlichen Berathungen, als am 17. April 1872 der nämliche
Antrag abermals bei ihm eingebracht wurde. Die Väter des Antrages selbst
hatten inzwischen in dem Autodafe' über die ketzerischen Abgeordneten und
Bundesrathsmitglieder, welche die Vollendung dieses gesetzgeberischen Werkes
bisher verschleppt haben sollten, mit der wünschenswerthesten Offenheit bekannt,
daß das neue Vereinsgesetz im wesentlichen den Hirsch-Duncker'schen Gewerk-
vereinen zu Gute kommen solle. Diese Vereine aber hatten sich je länger je
wehr als eine so prägnante Species social-politischer Agitation dargethan, sie
waren den Nichteingeweihten so wenig bekannt, sie prahlten in allen ihren
officiellen Schriften so zuversichtlich mit ihrer Prosperität und Dispositions¬
freiheit auch ohne das Neichsgesetz, daß der Reichstag dießmal vor Allem die
Dringlichkeit der gesetzgeberischen Beschlußfassung in Zweifel zog und die
sociale Seite des Problems in seinen Berathungen über den Entwurf durch¬
aus in den Vordergrund stellte. Die Sache wurde — trotz aller vorausge¬
henden Entwürfe und Beschlüsse früherer Reichstage abermals an eine Com¬
mission gewiesen, und diese konnte, trotz eifrigster Berathungen erst drei Tage
vor Schluß der Session ihre Beschlüsse im Druck vertheilen. So war — wenn
wir einen Antrag Schulze's im preußischen Abgeordnetenhause im Januar 1869
dazu rechnen — auch der vierte Versuch gescheitert, den Gewerkvereinen die
goldne Medaille der staatlichen Anerkennung zu erringen.

Zum fünften Male wird zweifellos in diesem Jahre der Gesetzentwurf
„betreffend die privatrechtliche Stellung von Vereinen" dem Reichstag vorge¬
legt werden. Die Bedenken, daß die ultramontanen Verbrüderungen daraus
Vortheil ziehen könnten, sind schon in allen bisherigen Entwürfen sorgfältig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/371>, abgerufen am 23.07.2024.