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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gemeinen Welkheit zu vergrößern den Erlaß eines Reichsgesetzes über die
privatrechtliche Stellung von Vereinen, d. h. die staatliche Anerken¬
nung dieser Bereine und ihre Ausstattung mit gewissen gesetzlichen Privilegien.

Dieses Verlangen ist ursprünglich so allgemein zu Gunsten aller Privat¬
vereine gestellt, das Recht der staatlichen Anerkennung dieser Vereine als ein
so selbstverständliches Urrecht menschlicher Geselligkeit reclamirt worden, daß
der norddeutsche Reichstag, als ihm zuerst im Wonnemonat 1869 von Schulze-
Delitzsch der Entwurf eines derartigen Gesetzes überreicht wurde, schon am
21. Juni 1869, nach dreimaliger Berathung und einem ausführlichen Com¬
missionsbericht, zu diesem Entwürfe Ja und Amen sagte. Dem Reichstag er¬
schien damals die Annahme eines derartigen Gesetzes ebenso harmlos als billig.
Harmlos, weil man sich als Nutznießer der neuen Rechtsvortheile jene un¬
schuldigen Gesang-, Schützen- und Turnvereine und jene nützlichen Arbeiter-
bildungs-, Gewerbe-, Stenographenvereine u. s. w. dachte, und ein Mißbrauch
der neuen Freiheit Seiten der eeelssi-i allions und ihrer frommen Bereine
außer aller Berechnung und Möglichkeit lag. Billig und gerecht aber erschien
die Verleihung von Corporationsrechten an Privatvereine, nachdem damals
soeben der norddeutsche Reichstag, gleichfalls auf den Antrag Schulze's, das
preußische Genossenschaftsgesetz fast wortgetreu für den Bund übernommen
hatte. -- Indessen weit schwieriger und spröder erwiesen sich dem Vereinsgesetz
gegenüber die Regierungsvertreter im Bundesrathe. Die Session von 1869
ging zu Ende, ohne einen Bundesrathsbeschluß über diesen Gesetzentwurf her¬
beizuführen. Die Berathungen des Bundesrathes im Jahr 1870 wurden
durch den französischen Krieg unterbrochen. Das deutsche Reich trat an Stelle
des norddeutschen Bundes, der deutsche Reichstag an Stelle des norddeutschen.
Doch schon in der ersten Session der gesammtdeutschen Volksvertretung (am 18.
April 1871) brachte Schulze-Delitzsch seinen Antrag von Neuem ein, dießmal
in der Fassung, die vom norddeutschen Reichstag dem Gesetzentwurf gegeben
war. So hatte der Antrag in doppelter Hinsicht die denkbar beste Empfeh¬
lung: diejenige des älteren erfahrenen Vorgängers des jungen gesammtdeut¬
schen Parlaments, und diejenige der ersten Autorität, des gewiegtesten
Praktikers auf dem Gebiete genossenschaftlichen Wirkens und Rechtes. Aber¬
mals empfahl deßhalb auch die Commission des Reichstags den Schulze'schen
Entwurf mit unwesentlichen Abänderungen zur Annahme. Abermals hüllten
sich die Vertreter der Bundesregierungen in tiefes dilatorisches Dunkel der
Entschließung. Und seltsamerweise -- wegen Beschlußunfähigkeit und weit¬
vorgerückter Session -- kam dießmal der Reichstag selbst nicht mehr zu einem
Beschluß über die Vorschläge seiner Commission.

Bis dahin geben die Verhandlungen und Berichte unserer Volksvertretung
davon lautes Zeugniß, daß sie die Annahme der verschiedenen Schulze'schen


gemeinen Welkheit zu vergrößern den Erlaß eines Reichsgesetzes über die
privatrechtliche Stellung von Vereinen, d. h. die staatliche Anerken¬
nung dieser Bereine und ihre Ausstattung mit gewissen gesetzlichen Privilegien.

Dieses Verlangen ist ursprünglich so allgemein zu Gunsten aller Privat¬
vereine gestellt, das Recht der staatlichen Anerkennung dieser Vereine als ein
so selbstverständliches Urrecht menschlicher Geselligkeit reclamirt worden, daß
der norddeutsche Reichstag, als ihm zuerst im Wonnemonat 1869 von Schulze-
Delitzsch der Entwurf eines derartigen Gesetzes überreicht wurde, schon am
21. Juni 1869, nach dreimaliger Berathung und einem ausführlichen Com¬
missionsbericht, zu diesem Entwürfe Ja und Amen sagte. Dem Reichstag er¬
schien damals die Annahme eines derartigen Gesetzes ebenso harmlos als billig.
Harmlos, weil man sich als Nutznießer der neuen Rechtsvortheile jene un¬
schuldigen Gesang-, Schützen- und Turnvereine und jene nützlichen Arbeiter-
bildungs-, Gewerbe-, Stenographenvereine u. s. w. dachte, und ein Mißbrauch
der neuen Freiheit Seiten der eeelssi-i allions und ihrer frommen Bereine
außer aller Berechnung und Möglichkeit lag. Billig und gerecht aber erschien
die Verleihung von Corporationsrechten an Privatvereine, nachdem damals
soeben der norddeutsche Reichstag, gleichfalls auf den Antrag Schulze's, das
preußische Genossenschaftsgesetz fast wortgetreu für den Bund übernommen
hatte. — Indessen weit schwieriger und spröder erwiesen sich dem Vereinsgesetz
gegenüber die Regierungsvertreter im Bundesrathe. Die Session von 1869
ging zu Ende, ohne einen Bundesrathsbeschluß über diesen Gesetzentwurf her¬
beizuführen. Die Berathungen des Bundesrathes im Jahr 1870 wurden
durch den französischen Krieg unterbrochen. Das deutsche Reich trat an Stelle
des norddeutschen Bundes, der deutsche Reichstag an Stelle des norddeutschen.
Doch schon in der ersten Session der gesammtdeutschen Volksvertretung (am 18.
April 1871) brachte Schulze-Delitzsch seinen Antrag von Neuem ein, dießmal
in der Fassung, die vom norddeutschen Reichstag dem Gesetzentwurf gegeben
war. So hatte der Antrag in doppelter Hinsicht die denkbar beste Empfeh¬
lung: diejenige des älteren erfahrenen Vorgängers des jungen gesammtdeut¬
schen Parlaments, und diejenige der ersten Autorität, des gewiegtesten
Praktikers auf dem Gebiete genossenschaftlichen Wirkens und Rechtes. Aber¬
mals empfahl deßhalb auch die Commission des Reichstags den Schulze'schen
Entwurf mit unwesentlichen Abänderungen zur Annahme. Abermals hüllten
sich die Vertreter der Bundesregierungen in tiefes dilatorisches Dunkel der
Entschließung. Und seltsamerweise — wegen Beschlußunfähigkeit und weit¬
vorgerückter Session — kam dießmal der Reichstag selbst nicht mehr zu einem
Beschluß über die Vorschläge seiner Commission.

Bis dahin geben die Verhandlungen und Berichte unserer Volksvertretung
davon lautes Zeugniß, daß sie die Annahme der verschiedenen Schulze'schen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/370>, abgerufen am 23.07.2024.