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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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veranlaßte. Das Centrum, die Fortschrittspartei und die Rechte suchten so
lange als möglich ihrem Candidaten die Ernennung zu sichern. Endlich ver¬
einigte sich die Fortschrittspartei mit den Liberalen und Freiconservativen,
denen auch die sogenannten Neuconservativen hinzutraten, während die äußerste
Rechte (Kreuzzeitungspartei) mit den Ultramontanen stimmte, jedoch in der
Minorität blieb.

Am 19. Februar gelangte das Herrenhaus unter lebhaftem Widerspruch
seiner äußersten Rechten zu dem Beschluß, das vom Abgeordnetenhaus herüber¬
gelangte Gesetz über die Artikel Is und 18 der Verfassung ohne Commissions¬
wahl durch Vor- und Schlußberathung im Plenum zu erledigen.

Am 20. Februar theilte der Finanzminister dem Abgeordnetenhause die
angenehme Nachricht mit, daß die Einnahmeüberschüsse für das Jahr 1872
mindestens 20 Millionen Thaler betragen würden. Das wird wieder reich¬
lichen Anlaß geben und, wenn Ihre Leser diese Zeilen zu Gesicht bekommen,
vermuthlich schon gegeben haben, die Verringerung der Staatseinnahmen zu
verlangen. Und doch ist mit Händen zu greifen, daß dieser ungewöhnliche
Ueberschuß, der, wie der Finanzminister nachwies, hauptsächlich auf Rechnung
der Stempelsteuer kommt, seinen Grund in der Gründungsepoche hat, die wir
Nichtgründer doch sämmtlich lieber heute als morgen auf Nimmerwiederkehr
geschlossen sehen möchten. Gründerschweiß! ertönte es von den Abgeordneten¬
bänken. Es ist aber vielmehr der Schweiß der Gegründeten, der diese Millionen
herbeigeschafft. Möge die Lehre dem deutschen Publikum wohl bekommen!
Das Lehrgeld war theuer genug. In Folge der hohen Ueberschüsse des Vor¬
jahres beantragte der Minister theils gewisse Veränderungen in dem Voran¬
schlag des Staatshaushaltes für das Jahr 1873, theils eine erhöhte Tilgung
der Staatsschulden auf Grund eines besonderen Gesetzes, dessen Inhalt wir
bei seiner Berathung näher darlegen werden.

In derselben Sitzung gelangte der Gesetzentwurf über die Dotation der
Provinzialverbände zur zweiten Berathung. Das Resultat der ersten Be¬
rathung war die Verweisung an eine Commission gewesen, deren Antrag nun
vorlag. Im ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Negierung vorgeschlagen,
denjenigen Provinzialverbänden, welche nicht, wie Hannover und Hessen-Nassau,
Fonds für die Kosten der sogenannten Selbstverwaltung bereits überwiesen
erhielten, nunmehr solche zu überweisen, aber nicht, wie es bei den beiden ge¬
nannten Provinzen geschehen, in Gestalt individueller Ertragsquellen, sondern
in Gestalt eines Jahresbeitrags aus dem allgemeinen Fonds, in welchen alle
Staatseinnahmen zusammenfließen. Zu dem genannten Zweck sollten 3
Millionen Thaler vom Jahre 1873 ab zur Verfügung gestellt, ein Theil
dieser Summe jedoch zur Durchführung der Kreisordnung, und zwar in
allen Provinzen, verwendet werden. Also nicht bloß in den sechs Provinzen,


veranlaßte. Das Centrum, die Fortschrittspartei und die Rechte suchten so
lange als möglich ihrem Candidaten die Ernennung zu sichern. Endlich ver¬
einigte sich die Fortschrittspartei mit den Liberalen und Freiconservativen,
denen auch die sogenannten Neuconservativen hinzutraten, während die äußerste
Rechte (Kreuzzeitungspartei) mit den Ultramontanen stimmte, jedoch in der
Minorität blieb.

Am 19. Februar gelangte das Herrenhaus unter lebhaftem Widerspruch
seiner äußersten Rechten zu dem Beschluß, das vom Abgeordnetenhaus herüber¬
gelangte Gesetz über die Artikel Is und 18 der Verfassung ohne Commissions¬
wahl durch Vor- und Schlußberathung im Plenum zu erledigen.

Am 20. Februar theilte der Finanzminister dem Abgeordnetenhause die
angenehme Nachricht mit, daß die Einnahmeüberschüsse für das Jahr 1872
mindestens 20 Millionen Thaler betragen würden. Das wird wieder reich¬
lichen Anlaß geben und, wenn Ihre Leser diese Zeilen zu Gesicht bekommen,
vermuthlich schon gegeben haben, die Verringerung der Staatseinnahmen zu
verlangen. Und doch ist mit Händen zu greifen, daß dieser ungewöhnliche
Ueberschuß, der, wie der Finanzminister nachwies, hauptsächlich auf Rechnung
der Stempelsteuer kommt, seinen Grund in der Gründungsepoche hat, die wir
Nichtgründer doch sämmtlich lieber heute als morgen auf Nimmerwiederkehr
geschlossen sehen möchten. Gründerschweiß! ertönte es von den Abgeordneten¬
bänken. Es ist aber vielmehr der Schweiß der Gegründeten, der diese Millionen
herbeigeschafft. Möge die Lehre dem deutschen Publikum wohl bekommen!
Das Lehrgeld war theuer genug. In Folge der hohen Ueberschüsse des Vor¬
jahres beantragte der Minister theils gewisse Veränderungen in dem Voran¬
schlag des Staatshaushaltes für das Jahr 1873, theils eine erhöhte Tilgung
der Staatsschulden auf Grund eines besonderen Gesetzes, dessen Inhalt wir
bei seiner Berathung näher darlegen werden.

In derselben Sitzung gelangte der Gesetzentwurf über die Dotation der
Provinzialverbände zur zweiten Berathung. Das Resultat der ersten Be¬
rathung war die Verweisung an eine Commission gewesen, deren Antrag nun
vorlag. Im ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Negierung vorgeschlagen,
denjenigen Provinzialverbänden, welche nicht, wie Hannover und Hessen-Nassau,
Fonds für die Kosten der sogenannten Selbstverwaltung bereits überwiesen
erhielten, nunmehr solche zu überweisen, aber nicht, wie es bei den beiden ge¬
nannten Provinzen geschehen, in Gestalt individueller Ertragsquellen, sondern
in Gestalt eines Jahresbeitrags aus dem allgemeinen Fonds, in welchen alle
Staatseinnahmen zusammenfließen. Zu dem genannten Zweck sollten 3
Millionen Thaler vom Jahre 1873 ab zur Verfügung gestellt, ein Theil
dieser Summe jedoch zur Durchführung der Kreisordnung, und zwar in
allen Provinzen, verwendet werden. Also nicht bloß in den sechs Provinzen,


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[0366] veranlaßte. Das Centrum, die Fortschrittspartei und die Rechte suchten so lange als möglich ihrem Candidaten die Ernennung zu sichern. Endlich ver¬ einigte sich die Fortschrittspartei mit den Liberalen und Freiconservativen, denen auch die sogenannten Neuconservativen hinzutraten, während die äußerste Rechte (Kreuzzeitungspartei) mit den Ultramontanen stimmte, jedoch in der Minorität blieb. Am 19. Februar gelangte das Herrenhaus unter lebhaftem Widerspruch seiner äußersten Rechten zu dem Beschluß, das vom Abgeordnetenhaus herüber¬ gelangte Gesetz über die Artikel Is und 18 der Verfassung ohne Commissions¬ wahl durch Vor- und Schlußberathung im Plenum zu erledigen. Am 20. Februar theilte der Finanzminister dem Abgeordnetenhause die angenehme Nachricht mit, daß die Einnahmeüberschüsse für das Jahr 1872 mindestens 20 Millionen Thaler betragen würden. Das wird wieder reich¬ lichen Anlaß geben und, wenn Ihre Leser diese Zeilen zu Gesicht bekommen, vermuthlich schon gegeben haben, die Verringerung der Staatseinnahmen zu verlangen. Und doch ist mit Händen zu greifen, daß dieser ungewöhnliche Ueberschuß, der, wie der Finanzminister nachwies, hauptsächlich auf Rechnung der Stempelsteuer kommt, seinen Grund in der Gründungsepoche hat, die wir Nichtgründer doch sämmtlich lieber heute als morgen auf Nimmerwiederkehr geschlossen sehen möchten. Gründerschweiß! ertönte es von den Abgeordneten¬ bänken. Es ist aber vielmehr der Schweiß der Gegründeten, der diese Millionen herbeigeschafft. Möge die Lehre dem deutschen Publikum wohl bekommen! Das Lehrgeld war theuer genug. In Folge der hohen Ueberschüsse des Vor¬ jahres beantragte der Minister theils gewisse Veränderungen in dem Voran¬ schlag des Staatshaushaltes für das Jahr 1873, theils eine erhöhte Tilgung der Staatsschulden auf Grund eines besonderen Gesetzes, dessen Inhalt wir bei seiner Berathung näher darlegen werden. In derselben Sitzung gelangte der Gesetzentwurf über die Dotation der Provinzialverbände zur zweiten Berathung. Das Resultat der ersten Be¬ rathung war die Verweisung an eine Commission gewesen, deren Antrag nun vorlag. Im ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Negierung vorgeschlagen, denjenigen Provinzialverbänden, welche nicht, wie Hannover und Hessen-Nassau, Fonds für die Kosten der sogenannten Selbstverwaltung bereits überwiesen erhielten, nunmehr solche zu überweisen, aber nicht, wie es bei den beiden ge¬ nannten Provinzen geschehen, in Gestalt individueller Ertragsquellen, sondern in Gestalt eines Jahresbeitrags aus dem allgemeinen Fonds, in welchen alle Staatseinnahmen zusammenfließen. Zu dem genannten Zweck sollten 3 Millionen Thaler vom Jahre 1873 ab zur Verfügung gestellt, ein Theil dieser Summe jedoch zur Durchführung der Kreisordnung, und zwar in allen Provinzen, verwendet werden. Also nicht bloß in den sechs Provinzen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/366>, abgerufen am 22.07.2024.