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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Selbst ihre Führer machten auf dem so zahlreich besuchten Tag von Otter,
den 1. December 1872, nicht den mindesten Hehl daraus, daß es sich viel
weniger um eine Auflehnung gegen die päpstliche Unfehlbarkeit handle, als
vielmehr darum, die Gemeinden kirchlich so mündig und selbständig zu machen,
wie sie es politisch schon sind. Endlich haben unsere Leute als ein Grund¬
übel in unserm Volsleben den Widerspruch erkennen lernen, daß im Staat
der Einzelne wie die Gemeinschaft den Behörden gegenüber gewisse schützende
Rechte besitze, in der Kirche dagegen gar keine. Bereits sind denn auch ein¬
zelne Kantone, wie gerade Bern, entschlossen, den Gemeinden die von ihnen aus
der Zahl der wissenschaftlich gebildeten und vom Staat wahlfähig erklärten
Bewerber freigewählten Geistlichen auch zu besolden, unbekümmert darum, ob
dieselben die kirchlichen Weihen empfangen haben oder nicht. Diese Aussicht
giebt unserer altkatholischen Bewegung ihren frischen Schwung. Umgekehrt wie
in Deutschland haben wir schon jetzt mehr altkatholische Gemeinden, als Geist¬
liche, die sich zu dieser Sache zu bekennen wagen. Fassen diese nur einmal
das Vertrauen, daß in den selbstständig gewordenen Gemeinden ein neuer
Boden und ein fester Rückhalt gegen die bischöfliche Gewalt gegeben sei, so
wird es uns auch an Geistlichen nicht mehr so fehlen wie gegenwärtig und
wieder nach einer Weile auch nicht an einem Nachwuchs von Geistlichen eben
aus diesen Gemeinden heraus. Vielleicht kehrt dann Herzog, früher Professor
von Solothurn, jetzt altkatholischer Pfarrer von Crefeld, als Bischof von Solo-
thurn in sein Vaterland zurück. (Geschieht. D. Red.)

> Aber allerdings bis dahin hat es gute Weile und sind noch viele Schwierig¬
keiten zu überwinden. Die größte ist wohl der geschlossene und politische
Widerstand sämmtlicher sieben früheren Sonderbundskantone.

Doch wir gehen nicht ab -- ist doch das der Weg zur Trennung von Kirche
und Staat, wie wir sie verstehen: in die Hände der Gemeinden kann der Staat
seine kirchlichen Rechte zurücklegen, aber niemals in die Hände einer nach
unten unumschränkten, nach oben willenlosen Hierarchie, wie in Belgien. --


K. t.


Dom preußischen Landtag.

Am 18. Februar erledigte das Herrenhaus einige technische Angelegen¬
heiten, dasselbe geschah im Abgeordnetenhaus. In letzterem erfolgte jedoch in
derselben Sitzung die wichtige Wahl der beiden, vom Abgeordnetenhaus in
die königliche Specialuntersuchungscommission über die Eisenbahnangelegen¬
heiten zu entsendenden Mitglieder. Es wurden Herr Laster und von Koller
gewählt, nicht ohne daß die zweite Ernennung einen hartnäckigen Wahlkampf


Selbst ihre Führer machten auf dem so zahlreich besuchten Tag von Otter,
den 1. December 1872, nicht den mindesten Hehl daraus, daß es sich viel
weniger um eine Auflehnung gegen die päpstliche Unfehlbarkeit handle, als
vielmehr darum, die Gemeinden kirchlich so mündig und selbständig zu machen,
wie sie es politisch schon sind. Endlich haben unsere Leute als ein Grund¬
übel in unserm Volsleben den Widerspruch erkennen lernen, daß im Staat
der Einzelne wie die Gemeinschaft den Behörden gegenüber gewisse schützende
Rechte besitze, in der Kirche dagegen gar keine. Bereits sind denn auch ein¬
zelne Kantone, wie gerade Bern, entschlossen, den Gemeinden die von ihnen aus
der Zahl der wissenschaftlich gebildeten und vom Staat wahlfähig erklärten
Bewerber freigewählten Geistlichen auch zu besolden, unbekümmert darum, ob
dieselben die kirchlichen Weihen empfangen haben oder nicht. Diese Aussicht
giebt unserer altkatholischen Bewegung ihren frischen Schwung. Umgekehrt wie
in Deutschland haben wir schon jetzt mehr altkatholische Gemeinden, als Geist¬
liche, die sich zu dieser Sache zu bekennen wagen. Fassen diese nur einmal
das Vertrauen, daß in den selbstständig gewordenen Gemeinden ein neuer
Boden und ein fester Rückhalt gegen die bischöfliche Gewalt gegeben sei, so
wird es uns auch an Geistlichen nicht mehr so fehlen wie gegenwärtig und
wieder nach einer Weile auch nicht an einem Nachwuchs von Geistlichen eben
aus diesen Gemeinden heraus. Vielleicht kehrt dann Herzog, früher Professor
von Solothurn, jetzt altkatholischer Pfarrer von Crefeld, als Bischof von Solo-
thurn in sein Vaterland zurück. (Geschieht. D. Red.)

> Aber allerdings bis dahin hat es gute Weile und sind noch viele Schwierig¬
keiten zu überwinden. Die größte ist wohl der geschlossene und politische
Widerstand sämmtlicher sieben früheren Sonderbundskantone.

Doch wir gehen nicht ab — ist doch das der Weg zur Trennung von Kirche
und Staat, wie wir sie verstehen: in die Hände der Gemeinden kann der Staat
seine kirchlichen Rechte zurücklegen, aber niemals in die Hände einer nach
unten unumschränkten, nach oben willenlosen Hierarchie, wie in Belgien. —


K. t.


Dom preußischen Landtag.

Am 18. Februar erledigte das Herrenhaus einige technische Angelegen¬
heiten, dasselbe geschah im Abgeordnetenhaus. In letzterem erfolgte jedoch in
derselben Sitzung die wichtige Wahl der beiden, vom Abgeordnetenhaus in
die königliche Specialuntersuchungscommission über die Eisenbahnangelegen¬
heiten zu entsendenden Mitglieder. Es wurden Herr Laster und von Koller
gewählt, nicht ohne daß die zweite Ernennung einen hartnäckigen Wahlkampf


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[0365] Selbst ihre Führer machten auf dem so zahlreich besuchten Tag von Otter, den 1. December 1872, nicht den mindesten Hehl daraus, daß es sich viel weniger um eine Auflehnung gegen die päpstliche Unfehlbarkeit handle, als vielmehr darum, die Gemeinden kirchlich so mündig und selbständig zu machen, wie sie es politisch schon sind. Endlich haben unsere Leute als ein Grund¬ übel in unserm Volsleben den Widerspruch erkennen lernen, daß im Staat der Einzelne wie die Gemeinschaft den Behörden gegenüber gewisse schützende Rechte besitze, in der Kirche dagegen gar keine. Bereits sind denn auch ein¬ zelne Kantone, wie gerade Bern, entschlossen, den Gemeinden die von ihnen aus der Zahl der wissenschaftlich gebildeten und vom Staat wahlfähig erklärten Bewerber freigewählten Geistlichen auch zu besolden, unbekümmert darum, ob dieselben die kirchlichen Weihen empfangen haben oder nicht. Diese Aussicht giebt unserer altkatholischen Bewegung ihren frischen Schwung. Umgekehrt wie in Deutschland haben wir schon jetzt mehr altkatholische Gemeinden, als Geist¬ liche, die sich zu dieser Sache zu bekennen wagen. Fassen diese nur einmal das Vertrauen, daß in den selbstständig gewordenen Gemeinden ein neuer Boden und ein fester Rückhalt gegen die bischöfliche Gewalt gegeben sei, so wird es uns auch an Geistlichen nicht mehr so fehlen wie gegenwärtig und wieder nach einer Weile auch nicht an einem Nachwuchs von Geistlichen eben aus diesen Gemeinden heraus. Vielleicht kehrt dann Herzog, früher Professor von Solothurn, jetzt altkatholischer Pfarrer von Crefeld, als Bischof von Solo- thurn in sein Vaterland zurück. (Geschieht. D. Red.) > Aber allerdings bis dahin hat es gute Weile und sind noch viele Schwierig¬ keiten zu überwinden. Die größte ist wohl der geschlossene und politische Widerstand sämmtlicher sieben früheren Sonderbundskantone. Doch wir gehen nicht ab — ist doch das der Weg zur Trennung von Kirche und Staat, wie wir sie verstehen: in die Hände der Gemeinden kann der Staat seine kirchlichen Rechte zurücklegen, aber niemals in die Hände einer nach unten unumschränkten, nach oben willenlosen Hierarchie, wie in Belgien. — K. t. Dom preußischen Landtag. Am 18. Februar erledigte das Herrenhaus einige technische Angelegen¬ heiten, dasselbe geschah im Abgeordnetenhaus. In letzterem erfolgte jedoch in derselben Sitzung die wichtige Wahl der beiden, vom Abgeordnetenhaus in die königliche Specialuntersuchungscommission über die Eisenbahnangelegen¬ heiten zu entsendenden Mitglieder. Es wurden Herr Laster und von Koller gewählt, nicht ohne daß die zweite Ernennung einen hartnäckigen Wahlkampf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/365>, abgerufen am 22.07.2024.