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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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unangenehme Aufsehen schüchterte den Bischof ein und er vermied lange Zeit
jeden offenen Streit. Nur seine Meute, eine Schaar junger, in völlig jesui¬
tischen, vaterlandslosen Geist erzogener Geistlicher kläfften nach einem Wild.
Dieses fand sich in der Person Paulin Gschwinds, Pfarrers von Starrkirch
und Dulliken bei Otter. Der Mann war ultramontan bis l870, dazu aber
gelehrter, wissenschaftlicher und gewissenhafter als die Mehrzahl seiner jüngern
Amtsbruder; so sträubte und empörte denn gegen die letzte Folgerung aus
der Lehre seiner Kirche sich der ganze Mann. Bischof Eugen Lachat trug
Geduld mit ihm, auch mit seinem Trotz. Es ward versucht, Gschwinds
Stellung von der Seite zu nehmen, ihn zu einem Wechsel seiner Pfarrei zu
bewegen, seine Gemeinde gegen ihn aufzuwiegeln -- Beides umsonst! Schon
war seine Absetzung eine zwar ungern beschlossene Sache, als der gehetzte
Gschwind am letzten 20. October auf der Kanzel in die blutigen, leider nur
zu wahren Worte ausbrach: "Würde ich ebenso sehr ins Glas gucken, als
in die Bücher, ich würde unangefochten bleiben; oder würde ich sonst ein
ausschweifendes, schweres Aergerniß gehendes Leben führen, man würde mich
höchstens von diesem Altar wegnehmen und mich an einem entfernten Orte
(etwa in den kleinen Kantonen) an einen andern stellen. Warum denn läßt
man mir seit einiger Zeit keine Ruhe? Weil ich nicht zur Lüge Ja und
Amen sage". Jetzt erfolgte, vom Bischof allein ausgehend, die Absetzung
Gschwinds, welche eben deßhalb gegen einzelne Bestimmungen der solothur-
nischen Gesetzgebung verstieß. Zugleich war aber auch der Diöcesankonferenz
ein Anlaß zur Einmischung dargeboten. Diese besteht aus Abgeordneten der
Kantone Solothurn, Luzern, Zug, Aargau, Baselland, Bern und Thurgau,
deren katholische Bevölkerungen das alte Bisthum Basel bilden. Gleich zu
Anfang hatte nämlich diese Konferenz erklärt, das Dogma von der päpstlichen
Unfehlbarkeit nicht anzuerkennen und ihm innerhalb der Diöcese durchaus
keine Rechtsfolge zu geben. Sie verlangte daher am 29. November vom
Bischof neben Anderem (so der Entlassung vom Kanzler Duret) unbedingte
Zurücknahme aller Maßregeln gegen Egli und Gschwind, und als nun Lachat,
wie er kaum anders konnte, jedes Zugeständniß ablehnte, nahm eine neue
Konferenz am 28. und 29. Januar, die Lachat im Spätjahre 1863 ertheilte
Bewilligung zur Besitzergreifung des bischöflichen Stuhls zurück und sprach
damit die Amtserledigung aus. Dabei soll jedoch nicht verschwiegen bleiben,
daß dieser wichtige Entschluß bloß mit fünf gegen zwei Stimmen, d. h.
gegen Luzern und Zug, gefaßt wurde, daß das dafür angerufene Dom¬
kapitel sich weigert, einen Verweser zu ernennen und daß die Mehrzahl der
Diöcesanen vom Recht der Konferenz, den Bischof abzusetzen, noch nicht über¬
zeugt ist. Uebrigens hat dieser nun den Recurs an den Bundesrath er¬
griffen.


unangenehme Aufsehen schüchterte den Bischof ein und er vermied lange Zeit
jeden offenen Streit. Nur seine Meute, eine Schaar junger, in völlig jesui¬
tischen, vaterlandslosen Geist erzogener Geistlicher kläfften nach einem Wild.
Dieses fand sich in der Person Paulin Gschwinds, Pfarrers von Starrkirch
und Dulliken bei Otter. Der Mann war ultramontan bis l870, dazu aber
gelehrter, wissenschaftlicher und gewissenhafter als die Mehrzahl seiner jüngern
Amtsbruder; so sträubte und empörte denn gegen die letzte Folgerung aus
der Lehre seiner Kirche sich der ganze Mann. Bischof Eugen Lachat trug
Geduld mit ihm, auch mit seinem Trotz. Es ward versucht, Gschwinds
Stellung von der Seite zu nehmen, ihn zu einem Wechsel seiner Pfarrei zu
bewegen, seine Gemeinde gegen ihn aufzuwiegeln — Beides umsonst! Schon
war seine Absetzung eine zwar ungern beschlossene Sache, als der gehetzte
Gschwind am letzten 20. October auf der Kanzel in die blutigen, leider nur
zu wahren Worte ausbrach: „Würde ich ebenso sehr ins Glas gucken, als
in die Bücher, ich würde unangefochten bleiben; oder würde ich sonst ein
ausschweifendes, schweres Aergerniß gehendes Leben führen, man würde mich
höchstens von diesem Altar wegnehmen und mich an einem entfernten Orte
(etwa in den kleinen Kantonen) an einen andern stellen. Warum denn läßt
man mir seit einiger Zeit keine Ruhe? Weil ich nicht zur Lüge Ja und
Amen sage". Jetzt erfolgte, vom Bischof allein ausgehend, die Absetzung
Gschwinds, welche eben deßhalb gegen einzelne Bestimmungen der solothur-
nischen Gesetzgebung verstieß. Zugleich war aber auch der Diöcesankonferenz
ein Anlaß zur Einmischung dargeboten. Diese besteht aus Abgeordneten der
Kantone Solothurn, Luzern, Zug, Aargau, Baselland, Bern und Thurgau,
deren katholische Bevölkerungen das alte Bisthum Basel bilden. Gleich zu
Anfang hatte nämlich diese Konferenz erklärt, das Dogma von der päpstlichen
Unfehlbarkeit nicht anzuerkennen und ihm innerhalb der Diöcese durchaus
keine Rechtsfolge zu geben. Sie verlangte daher am 29. November vom
Bischof neben Anderem (so der Entlassung vom Kanzler Duret) unbedingte
Zurücknahme aller Maßregeln gegen Egli und Gschwind, und als nun Lachat,
wie er kaum anders konnte, jedes Zugeständniß ablehnte, nahm eine neue
Konferenz am 28. und 29. Januar, die Lachat im Spätjahre 1863 ertheilte
Bewilligung zur Besitzergreifung des bischöflichen Stuhls zurück und sprach
damit die Amtserledigung aus. Dabei soll jedoch nicht verschwiegen bleiben,
daß dieser wichtige Entschluß bloß mit fünf gegen zwei Stimmen, d. h.
gegen Luzern und Zug, gefaßt wurde, daß das dafür angerufene Dom¬
kapitel sich weigert, einen Verweser zu ernennen und daß die Mehrzahl der
Diöcesanen vom Recht der Konferenz, den Bischof abzusetzen, noch nicht über¬
zeugt ist. Uebrigens hat dieser nun den Recurs an den Bundesrath er¬
griffen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/363>, abgerufen am 22.07.2024.