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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Augen der Welt unabhängig von allem Einflüsse der Regierung erscheinen
müsse. Diese Stelle muß auch dem Herzoge in irgend einer Art auffällig ge¬
wesen sein, denn sie ist mit einem großen NL. von seiner Hand bezeichnet. --

Zwei Monate seiner Amtsthätigkeit hatten Dalebow überzeugt, daß die
Organisation des Staatsraths unzweckmäßig sei. Ueberdies hatte während
dieses Zeitraums der Staatsrath Berghauer -- wie man sagt in Folge einer
für ihn körperlich fühlbar gewordenen Meinungsverschiedenheit mit dem Her¬
zoge -- seine Entlassung aus dem Cöthenschen Staatsdienst genommen, und
das Finanz-Portefeuille war mithin vacant geworden. Daher war ein neu es
Edict nöthig, welches am 15. Mai erschien.

Hiernach soll Dabelow, der zugleich im Gesetze selbst zum geheimen
Staats rath und perpetuirlich vicarirenden Präsidenten des Staatsraths
ernannt wird, den Vorsitz im Staatsrath regelmäßig auch in denjenigen Fällen
haben, in denen derselbe dem Landesherrn vorbehalten war; doch sollen die
Beschlüsse des Staatsraths in den Fällen, in welchen der Vorsitz dem Herzoge
vorbehalten gewesen, demselben zur Bestätigung vorgelegt werden. Zu neuen
Staatsrathsmitgliedern werden ernannt der Präsident des Tribunals erster
Instanz, Vierthaler, und der Kammerrath Rindfleisch, jedoch unter gleichzei¬
tiger Beibehaltung ihrer bisherigen Aemter und ohne daß sie ein eigenes
Portefeuille bekommen, indem vielmehr Dabelow in allen Departements des
Ministeriums alleiniger Minister sein und ein besonderes herzogliches Mini¬
sterium bilden soll! Am Schluß folgt die Bestimmung, daß das Rechtsmittel
der Cassation, da es mehrere Tribunale erster Instanz und mehrere Ap¬
pellationshöfe voraussetze/) als incompatibel mit dem Herzogthum aufgehoben
und dafür ,das Rechtsmittel der Revision (welches neben der Aufhebung des
früheren Erkenntnisses auch den eigenen, abändernden materiellen Rechtsspruch
des höchsten Gerichtshofs gestattet) eingeführt werde, dergestalt, daß der
Staats rath zugleich der Revisionschef sein solle. -- Das Letztere wurde nach
mannigfachen, noch zu erwähnenden Abänderungen in der Justizverfassung
unter dem 24. Septbr. 1811 schon wieder abgeschafft und das reine französi¬
sche Rechtsmittel der Cassation wieder eingeführt mit der Bestimmung, daß,
wenn nach Cassation eines Urtheils ein gleichstehendes inländisches Gericht,
von welchem die Sache zum zweiten Male zu entscheiden, nicht vorhanden sei,
eine ausländische Juristenfacultät anstatt eines solchen entscheiden solle, wozu
man die Juristenfacultät Halle ausersah. --

Während dem hatte die weitere Einführung der französischen Einrichtung



") Weil, wenn ein Erkenntniß der rintercn Tribunale casstrt war, die Sache nach franzö¬
sischem Recht nicht wieder an dasselbe Gericht zurückgehen konnte, sondern an ein anderes Ge¬
richt gleichen Ranges gelangen mußte.

Augen der Welt unabhängig von allem Einflüsse der Regierung erscheinen
müsse. Diese Stelle muß auch dem Herzoge in irgend einer Art auffällig ge¬
wesen sein, denn sie ist mit einem großen NL. von seiner Hand bezeichnet. —

Zwei Monate seiner Amtsthätigkeit hatten Dalebow überzeugt, daß die
Organisation des Staatsraths unzweckmäßig sei. Ueberdies hatte während
dieses Zeitraums der Staatsrath Berghauer — wie man sagt in Folge einer
für ihn körperlich fühlbar gewordenen Meinungsverschiedenheit mit dem Her¬
zoge — seine Entlassung aus dem Cöthenschen Staatsdienst genommen, und
das Finanz-Portefeuille war mithin vacant geworden. Daher war ein neu es
Edict nöthig, welches am 15. Mai erschien.

Hiernach soll Dabelow, der zugleich im Gesetze selbst zum geheimen
Staats rath und perpetuirlich vicarirenden Präsidenten des Staatsraths
ernannt wird, den Vorsitz im Staatsrath regelmäßig auch in denjenigen Fällen
haben, in denen derselbe dem Landesherrn vorbehalten war; doch sollen die
Beschlüsse des Staatsraths in den Fällen, in welchen der Vorsitz dem Herzoge
vorbehalten gewesen, demselben zur Bestätigung vorgelegt werden. Zu neuen
Staatsrathsmitgliedern werden ernannt der Präsident des Tribunals erster
Instanz, Vierthaler, und der Kammerrath Rindfleisch, jedoch unter gleichzei¬
tiger Beibehaltung ihrer bisherigen Aemter und ohne daß sie ein eigenes
Portefeuille bekommen, indem vielmehr Dabelow in allen Departements des
Ministeriums alleiniger Minister sein und ein besonderes herzogliches Mini¬
sterium bilden soll! Am Schluß folgt die Bestimmung, daß das Rechtsmittel
der Cassation, da es mehrere Tribunale erster Instanz und mehrere Ap¬
pellationshöfe voraussetze/) als incompatibel mit dem Herzogthum aufgehoben
und dafür ,das Rechtsmittel der Revision (welches neben der Aufhebung des
früheren Erkenntnisses auch den eigenen, abändernden materiellen Rechtsspruch
des höchsten Gerichtshofs gestattet) eingeführt werde, dergestalt, daß der
Staats rath zugleich der Revisionschef sein solle. — Das Letztere wurde nach
mannigfachen, noch zu erwähnenden Abänderungen in der Justizverfassung
unter dem 24. Septbr. 1811 schon wieder abgeschafft und das reine französi¬
sche Rechtsmittel der Cassation wieder eingeführt mit der Bestimmung, daß,
wenn nach Cassation eines Urtheils ein gleichstehendes inländisches Gericht,
von welchem die Sache zum zweiten Male zu entscheiden, nicht vorhanden sei,
eine ausländische Juristenfacultät anstatt eines solchen entscheiden solle, wozu
man die Juristenfacultät Halle ausersah. —

Während dem hatte die weitere Einführung der französischen Einrichtung



") Weil, wenn ein Erkenntniß der rintercn Tribunale casstrt war, die Sache nach franzö¬
sischem Recht nicht wieder an dasselbe Gericht zurückgehen konnte, sondern an ein anderes Ge¬
richt gleichen Ranges gelangen mußte.
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[0351] Augen der Welt unabhängig von allem Einflüsse der Regierung erscheinen müsse. Diese Stelle muß auch dem Herzoge in irgend einer Art auffällig ge¬ wesen sein, denn sie ist mit einem großen NL. von seiner Hand bezeichnet. — Zwei Monate seiner Amtsthätigkeit hatten Dalebow überzeugt, daß die Organisation des Staatsraths unzweckmäßig sei. Ueberdies hatte während dieses Zeitraums der Staatsrath Berghauer — wie man sagt in Folge einer für ihn körperlich fühlbar gewordenen Meinungsverschiedenheit mit dem Her¬ zoge — seine Entlassung aus dem Cöthenschen Staatsdienst genommen, und das Finanz-Portefeuille war mithin vacant geworden. Daher war ein neu es Edict nöthig, welches am 15. Mai erschien. Hiernach soll Dabelow, der zugleich im Gesetze selbst zum geheimen Staats rath und perpetuirlich vicarirenden Präsidenten des Staatsraths ernannt wird, den Vorsitz im Staatsrath regelmäßig auch in denjenigen Fällen haben, in denen derselbe dem Landesherrn vorbehalten war; doch sollen die Beschlüsse des Staatsraths in den Fällen, in welchen der Vorsitz dem Herzoge vorbehalten gewesen, demselben zur Bestätigung vorgelegt werden. Zu neuen Staatsrathsmitgliedern werden ernannt der Präsident des Tribunals erster Instanz, Vierthaler, und der Kammerrath Rindfleisch, jedoch unter gleichzei¬ tiger Beibehaltung ihrer bisherigen Aemter und ohne daß sie ein eigenes Portefeuille bekommen, indem vielmehr Dabelow in allen Departements des Ministeriums alleiniger Minister sein und ein besonderes herzogliches Mini¬ sterium bilden soll! Am Schluß folgt die Bestimmung, daß das Rechtsmittel der Cassation, da es mehrere Tribunale erster Instanz und mehrere Ap¬ pellationshöfe voraussetze/) als incompatibel mit dem Herzogthum aufgehoben und dafür ,das Rechtsmittel der Revision (welches neben der Aufhebung des früheren Erkenntnisses auch den eigenen, abändernden materiellen Rechtsspruch des höchsten Gerichtshofs gestattet) eingeführt werde, dergestalt, daß der Staats rath zugleich der Revisionschef sein solle. — Das Letztere wurde nach mannigfachen, noch zu erwähnenden Abänderungen in der Justizverfassung unter dem 24. Septbr. 1811 schon wieder abgeschafft und das reine französi¬ sche Rechtsmittel der Cassation wieder eingeführt mit der Bestimmung, daß, wenn nach Cassation eines Urtheils ein gleichstehendes inländisches Gericht, von welchem die Sache zum zweiten Male zu entscheiden, nicht vorhanden sei, eine ausländische Juristenfacultät anstatt eines solchen entscheiden solle, wozu man die Juristenfacultät Halle ausersah. — Während dem hatte die weitere Einführung der französischen Einrichtung ") Weil, wenn ein Erkenntniß der rintercn Tribunale casstrt war, die Sache nach franzö¬ sischem Recht nicht wieder an dasselbe Gericht zurückgehen konnte, sondern an ein anderes Ge¬ richt gleichen Ranges gelangen mußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/351>, abgerufen am 24.08.2024.