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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gegen das Vaterland gehalten. Wol schlug dann nach der Katastrophe in
Rußland auch für uns die Stunde der Befreiung. Und mit Strömen seines
edelsten Blutes hat alsbald Preußen seine Schmach abgewaschen, hat das
e'gue Joch zerbrochen und das Beste gethan zur Befreiung auch des übrigen
Deutschlands, zum zweimaligen Sturz des schrecklichen Mannes, der Europa
so lange geknechtet. Als dann Napoleon auf das öde Felseneiland Se. Helena
gebracht und seine Familie durch das verbündete Europa für immer vom
Boden Frankreichs verbannt war, da wähnte man in Zukunft sicher zu sein
vor diesem Geschlecht. Ente Hoffnung! Das französische Volk, das, wie es
scheint, nicht mehr zur Nuhe kommen kann, nachdem es einmal in der großen
Revolution mit seiner ganzen geschichtlichen Vergangenheit gebrochen hat, ver¬
jagt in zweimaliger Revolution seine alte und seine neue Königsdynastie, ver¬
sucht es eine Weile mit der Republik und wirft sich endlich einem Manne in
die Arme, der damals noch Nichts, aber auch gar Nichts für sich aufzuweisen
hatte, was ihn als Beherrscher einer großen Nation legitimiren konnte, aus¬
genommen seinen Namen Napoleon Bonaparte. Denn dieser Name ist nun
doch einmal für die Franzosen der des Siegers in hundert Schlachten; es
knüpfen sich an ihn ihre ruhmvollsten Erinnerungen, ihre höchste Gloire, das
Andenken an die größte Uebermacht über alle Völker des Continents! Bei
allem sonstigen Wechsel der Dinge in Frankreich aber scheint Ruhmsucht und
Herrschsucht nun einmal das unveräußerliche Erbtheil dieser Nation zu sein.
Mit schlau berechnender Vorsicht und nicht ohne Geschick hat dann Napo¬
leon III. daran gearbeitet, seinem Volke die ihm angeblich gebührende?r6-
IwiMrimee in Europa und außerdem von Zeit zu Zeit die Gelegenheit zu
verschaffen, frische Kriegslorbeern sich zu pflücken. Rußland und Oesterreich
n>arm gedemüthigt; England wie ein Trabant in die Bahn der französischen
Politik hineingezogen. - Es blieb nur noch Preußen übrig. Lange hat Napo¬
leon gezögert auch diese Macht anzugreifen; er fürchtete sich, den vor den
Bädern ererbten und in der Tiefe nur schlummernden Haß des preußischen
Volkes zu wecken. Denn er wußte besser als sein Volk, wer eigentlich die
treibende und leitende Kraft der Befreiungskriege gewesen war; er wußte
sicher besser als Herr Thiers und die andern Geschichtsschreiber seiner Nation,
daß bei Waterloo zwar Wellington tapfer gefochten und sich gewehrt hat,
daß dann aber den vernichtenden Schlag von Belle Alliance, der Napoleons I.
Thron zertrümmerte, allein Blücher und seine Preußen geführt haben. --
Darum seine scheue Vorsicht. Jedoch nach 1866, nach Sadowä, nach Grün¬
dung des norddeutschen Bundes und Abschluß der Allianz-Verträge Preußens
wie den süddeutschen Staaten, konnte Napoleon nicht länger zaudern. Nicht
dazu hatte ihn sein Volk gewählt, daß es unter seiner Regierung ruhig mit
ansehen sollte, wie ein anderes Volk höhern Kriegsruhm erwirbt, und Deutsch-


gegen das Vaterland gehalten. Wol schlug dann nach der Katastrophe in
Rußland auch für uns die Stunde der Befreiung. Und mit Strömen seines
edelsten Blutes hat alsbald Preußen seine Schmach abgewaschen, hat das
e'gue Joch zerbrochen und das Beste gethan zur Befreiung auch des übrigen
Deutschlands, zum zweimaligen Sturz des schrecklichen Mannes, der Europa
so lange geknechtet. Als dann Napoleon auf das öde Felseneiland Se. Helena
gebracht und seine Familie durch das verbündete Europa für immer vom
Boden Frankreichs verbannt war, da wähnte man in Zukunft sicher zu sein
vor diesem Geschlecht. Ente Hoffnung! Das französische Volk, das, wie es
scheint, nicht mehr zur Nuhe kommen kann, nachdem es einmal in der großen
Revolution mit seiner ganzen geschichtlichen Vergangenheit gebrochen hat, ver¬
jagt in zweimaliger Revolution seine alte und seine neue Königsdynastie, ver¬
sucht es eine Weile mit der Republik und wirft sich endlich einem Manne in
die Arme, der damals noch Nichts, aber auch gar Nichts für sich aufzuweisen
hatte, was ihn als Beherrscher einer großen Nation legitimiren konnte, aus¬
genommen seinen Namen Napoleon Bonaparte. Denn dieser Name ist nun
doch einmal für die Franzosen der des Siegers in hundert Schlachten; es
knüpfen sich an ihn ihre ruhmvollsten Erinnerungen, ihre höchste Gloire, das
Andenken an die größte Uebermacht über alle Völker des Continents! Bei
allem sonstigen Wechsel der Dinge in Frankreich aber scheint Ruhmsucht und
Herrschsucht nun einmal das unveräußerliche Erbtheil dieser Nation zu sein.
Mit schlau berechnender Vorsicht und nicht ohne Geschick hat dann Napo¬
leon III. daran gearbeitet, seinem Volke die ihm angeblich gebührende?r6-
IwiMrimee in Europa und außerdem von Zeit zu Zeit die Gelegenheit zu
verschaffen, frische Kriegslorbeern sich zu pflücken. Rußland und Oesterreich
n>arm gedemüthigt; England wie ein Trabant in die Bahn der französischen
Politik hineingezogen. - Es blieb nur noch Preußen übrig. Lange hat Napo¬
leon gezögert auch diese Macht anzugreifen; er fürchtete sich, den vor den
Bädern ererbten und in der Tiefe nur schlummernden Haß des preußischen
Volkes zu wecken. Denn er wußte besser als sein Volk, wer eigentlich die
treibende und leitende Kraft der Befreiungskriege gewesen war; er wußte
sicher besser als Herr Thiers und die andern Geschichtsschreiber seiner Nation,
daß bei Waterloo zwar Wellington tapfer gefochten und sich gewehrt hat,
daß dann aber den vernichtenden Schlag von Belle Alliance, der Napoleons I.
Thron zertrümmerte, allein Blücher und seine Preußen geführt haben. —
Darum seine scheue Vorsicht. Jedoch nach 1866, nach Sadowä, nach Grün¬
dung des norddeutschen Bundes und Abschluß der Allianz-Verträge Preußens
wie den süddeutschen Staaten, konnte Napoleon nicht länger zaudern. Nicht
dazu hatte ihn sein Volk gewählt, daß es unter seiner Regierung ruhig mit
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/343>, abgerufen am 24.08.2024.