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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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historische Lüge, die einmal in Fleisch und Blut eines Volkes übergangen ist
und die Köpfe beherrscht, den allerverderblichsten Einfluß üben kann. Diese
Leute, vor Allem der fanatische Gambetta, glaubten noch immer an das von
der deutschen Wissenschaft längst widerlegte Märchen, als wenn in den Coa-
litions-Kriegen die frisch ausgehobenen jungen Truppen Frankreichs bloß
darum über die Soldaten der verbündeten Monarchien gesiegt hätten, weil
sie für die großen republikanischen Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüder¬
lichkeit stritten. -

Was aber damals sich trefflich bewährt, mußte doch auch jetzt wieder helfen.
Also nur frisch ans Werk mit Massenaufgebot und republikanischen Enthu¬
siasmus, allenfalls auch erzwungenem, wenn er sich nicht freiwillig einstellen
wollte! Man mag die Opferfreudigkeit und den, freilich verkehrt geleiteten,
Patriotismus des französischen Volkes immerhin mit Staunen betrachten;
hoffnungslos war dieser Kampf der Republik, nachdem die Heere des Kaiser¬
reichs erlegen, von Anfang an. Sie hätten nur an Napoleons I. Erfahrungen
von 1813 und 14 und an seinen Ausspruch: "Iss vremiör es yuglitös du so!-
etat food la äiseivlins et ig, eonswvee, la valeur v'sse pu<z ig. seeonüo" als
Autorität denken sollen! Tapferkeit mochten sie ja bei Franzosen, die zur
Vertheidigung des Vaterlandes aufgerufen wurden, immerhin voraussetzen;
al8eix1in6 und oonstaneö aber lassen sich durch keine noch so schönen Procla-
mationen und Decrete einer Truppe in den Kampf mitgeben, sondern sie
müssen vorher eingeübt, eingewöhnt und eingelebt werden!

Wie Sedan also der Glanzpunkt der deutschen Kriegsleitung und die
eigentliche Entscheidung des ganzen Krieges, so ist es endlich auch das popu¬
lärste Ereigniß, und zwar deshalb, weil am 2. September Kaiser Napoleon
mit in die Kriegsgefangenschaft gerieth.

Hoch und niedrig, alt und jung, in der Heimath wie in der Fremde
jubelten alle deutsche Herzen auf bei der Kunde von diesem Ereigniß. Am
tiefsten freilich ging die Freude und der Dank über das göttliche Strafgericht,
das Napoleon III. ereilt, bei uns Preußen. Ganz natürlich! Denn was
für Gedanken knüpfen sich doch für uns an den Namen Napoleon Bonaparte!
Napoleon I. war es, der bei Jena und bei Friedland Preußens Macht zer¬
schmetterte. Jahre der schwersten Heimsuchung und Demüthigung kamen da
über unser Königshaus und unser Volk. Da war kein Unterschied; Alle
erlitten wir gleichmäßig den furchtbaren Druck der übermüthigsten Fremd¬
herrschaft und fühlten die Schande unsrer Erniedrigung. In jener Zeit
sammelte sich in unserm niedergetretenen, ausgeplünderten Volk jenes uner¬
meßliche Capital von Ingrimm und Haß gegen Napoleon Bonaparte und
die Franzosen an; auch noch Kindern und Enkelkindern einen reichlichen An¬
theil daran zu überliefern, hat das damalige Geschlecht für eine heilige Pflicht


historische Lüge, die einmal in Fleisch und Blut eines Volkes übergangen ist
und die Köpfe beherrscht, den allerverderblichsten Einfluß üben kann. Diese
Leute, vor Allem der fanatische Gambetta, glaubten noch immer an das von
der deutschen Wissenschaft längst widerlegte Märchen, als wenn in den Coa-
litions-Kriegen die frisch ausgehobenen jungen Truppen Frankreichs bloß
darum über die Soldaten der verbündeten Monarchien gesiegt hätten, weil
sie für die großen republikanischen Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüder¬
lichkeit stritten. -

Was aber damals sich trefflich bewährt, mußte doch auch jetzt wieder helfen.
Also nur frisch ans Werk mit Massenaufgebot und republikanischen Enthu¬
siasmus, allenfalls auch erzwungenem, wenn er sich nicht freiwillig einstellen
wollte! Man mag die Opferfreudigkeit und den, freilich verkehrt geleiteten,
Patriotismus des französischen Volkes immerhin mit Staunen betrachten;
hoffnungslos war dieser Kampf der Republik, nachdem die Heere des Kaiser¬
reichs erlegen, von Anfang an. Sie hätten nur an Napoleons I. Erfahrungen
von 1813 und 14 und an seinen Ausspruch: „Iss vremiör es yuglitös du so!-
etat food la äiseivlins et ig, eonswvee, la valeur v'sse pu<z ig. seeonüo" als
Autorität denken sollen! Tapferkeit mochten sie ja bei Franzosen, die zur
Vertheidigung des Vaterlandes aufgerufen wurden, immerhin voraussetzen;
al8eix1in6 und oonstaneö aber lassen sich durch keine noch so schönen Procla-
mationen und Decrete einer Truppe in den Kampf mitgeben, sondern sie
müssen vorher eingeübt, eingewöhnt und eingelebt werden!

Wie Sedan also der Glanzpunkt der deutschen Kriegsleitung und die
eigentliche Entscheidung des ganzen Krieges, so ist es endlich auch das popu¬
lärste Ereigniß, und zwar deshalb, weil am 2. September Kaiser Napoleon
mit in die Kriegsgefangenschaft gerieth.

Hoch und niedrig, alt und jung, in der Heimath wie in der Fremde
jubelten alle deutsche Herzen auf bei der Kunde von diesem Ereigniß. Am
tiefsten freilich ging die Freude und der Dank über das göttliche Strafgericht,
das Napoleon III. ereilt, bei uns Preußen. Ganz natürlich! Denn was
für Gedanken knüpfen sich doch für uns an den Namen Napoleon Bonaparte!
Napoleon I. war es, der bei Jena und bei Friedland Preußens Macht zer¬
schmetterte. Jahre der schwersten Heimsuchung und Demüthigung kamen da
über unser Königshaus und unser Volk. Da war kein Unterschied; Alle
erlitten wir gleichmäßig den furchtbaren Druck der übermüthigsten Fremd¬
herrschaft und fühlten die Schande unsrer Erniedrigung. In jener Zeit
sammelte sich in unserm niedergetretenen, ausgeplünderten Volk jenes uner¬
meßliche Capital von Ingrimm und Haß gegen Napoleon Bonaparte und
die Franzosen an; auch noch Kindern und Enkelkindern einen reichlichen An¬
theil daran zu überliefern, hat das damalige Geschlecht für eine heilige Pflicht


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[0342] historische Lüge, die einmal in Fleisch und Blut eines Volkes übergangen ist und die Köpfe beherrscht, den allerverderblichsten Einfluß üben kann. Diese Leute, vor Allem der fanatische Gambetta, glaubten noch immer an das von der deutschen Wissenschaft längst widerlegte Märchen, als wenn in den Coa- litions-Kriegen die frisch ausgehobenen jungen Truppen Frankreichs bloß darum über die Soldaten der verbündeten Monarchien gesiegt hätten, weil sie für die großen republikanischen Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüder¬ lichkeit stritten. - Was aber damals sich trefflich bewährt, mußte doch auch jetzt wieder helfen. Also nur frisch ans Werk mit Massenaufgebot und republikanischen Enthu¬ siasmus, allenfalls auch erzwungenem, wenn er sich nicht freiwillig einstellen wollte! Man mag die Opferfreudigkeit und den, freilich verkehrt geleiteten, Patriotismus des französischen Volkes immerhin mit Staunen betrachten; hoffnungslos war dieser Kampf der Republik, nachdem die Heere des Kaiser¬ reichs erlegen, von Anfang an. Sie hätten nur an Napoleons I. Erfahrungen von 1813 und 14 und an seinen Ausspruch: „Iss vremiör es yuglitös du so!- etat food la äiseivlins et ig, eonswvee, la valeur v'sse pu<z ig. seeonüo" als Autorität denken sollen! Tapferkeit mochten sie ja bei Franzosen, die zur Vertheidigung des Vaterlandes aufgerufen wurden, immerhin voraussetzen; al8eix1in6 und oonstaneö aber lassen sich durch keine noch so schönen Procla- mationen und Decrete einer Truppe in den Kampf mitgeben, sondern sie müssen vorher eingeübt, eingewöhnt und eingelebt werden! Wie Sedan also der Glanzpunkt der deutschen Kriegsleitung und die eigentliche Entscheidung des ganzen Krieges, so ist es endlich auch das popu¬ lärste Ereigniß, und zwar deshalb, weil am 2. September Kaiser Napoleon mit in die Kriegsgefangenschaft gerieth. Hoch und niedrig, alt und jung, in der Heimath wie in der Fremde jubelten alle deutsche Herzen auf bei der Kunde von diesem Ereigniß. Am tiefsten freilich ging die Freude und der Dank über das göttliche Strafgericht, das Napoleon III. ereilt, bei uns Preußen. Ganz natürlich! Denn was für Gedanken knüpfen sich doch für uns an den Namen Napoleon Bonaparte! Napoleon I. war es, der bei Jena und bei Friedland Preußens Macht zer¬ schmetterte. Jahre der schwersten Heimsuchung und Demüthigung kamen da über unser Königshaus und unser Volk. Da war kein Unterschied; Alle erlitten wir gleichmäßig den furchtbaren Druck der übermüthigsten Fremd¬ herrschaft und fühlten die Schande unsrer Erniedrigung. In jener Zeit sammelte sich in unserm niedergetretenen, ausgeplünderten Volk jenes uner¬ meßliche Capital von Ingrimm und Haß gegen Napoleon Bonaparte und die Franzosen an; auch noch Kindern und Enkelkindern einen reichlichen An¬ theil daran zu überliefern, hat das damalige Geschlecht für eine heilige Pflicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/342>, abgerufen am 24.08.2024.