Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

richten können. Die Artillerie hat bekanntlich bei Königgrätz lange nicht das¬
jenige geleistet, wie bei Sedan; das Geschütz Material war zum Theil noch
mangelhaft, vor Allem aber auch ihre Gefechtsinstructionen noch nicht den
neuen Verhältnissen entsprechend abgeändert. Dafür besaß aber die dritte
Waffe, die preußische Infanterie ein ganz ungeheures, schon durch die voran¬
gehenden Kämpfe erprobtes Uebergewicht . . Mit ihr wäre es daher unter den
obigen Voraussetzungen vielleicht möglich gewesen, das Centrum der feindlichen
Schlachtstellung bei Sadowa auseinanderzusprengen und seine Flügel dann
aufzurollen. Napoleon I., der in solchen Fällen Opfer nicht scheute, hätte
möglicher Weise so gehandelt; der sparsameren preußischen Kriegsführung aber
war es angemessener, während der Kampf im Centrum entbrannte, mit den
Flügeln, zumal mit dem rechten, immer weiter aufzugreifen und die feindlichen
Flügel einzudrücken. So ist ja in Wirklichkeit auch verfahren worden; nur
konnte es dann bei der Eid-Armee mit größern Truppenmassen und mehr
Nachdruck geschehen; auch behielt dann der Oberfeldherr mehr die Leitung der
ganzen Schlacht in der Hand, so daß die noch vorhandenen intacter Trup¬
pentheile zur sofortigen Ausnutzung des Sieges hätten verwandt werden
können. Unter solchen Umständen würde die Niederlage der Oesterreicher, ihr
Verlust an Gefangenen, die Deroute der Nord-Armee noch unendlich größer
geworden, bei scharfer Verfolgung der Feldzug in wenigen Tagen beendet ge¬
wesen sein. Doch so geschah es nicht. Weil eben auf Preußens Seite noch
nicht Alles klappte und in einander griff, so erlitt Benedek zwar eine furcht¬
bare Niederlage, aber er konnte trotzdem immer noch weitaus die Hauptmasse
seiner Armee retten und sie auch kampfestüchtig erhalten.

Anders bei Sedan. Da saßt die Heeresleitung des preußischen Haupt¬
quartiers gleich von vorn herein die vollständige Vernichtung des Gegners
ins Auge; man kennt sich und kennt die eignen Truppen; und so gelingt denn
das glänzendste Meisterstück moderner Kriegskunst. Vollständiger als hier,
kann überhaupt keine Kriegsoperation gelingen, und in diesem Sinne eben
glaube ich Sedan den Höhepunkt der deutschen Kriegsführung nennen zu
dürfen.

Aber Sedan ist auch zweitens die eigentliche Krisis des ganzen Kampfes;
ich meine Krisis in dem Sinne, daß durch jene Schlacht schon unwiderruflich
festgestellt war: wenn auch die bald darauf erfolgende Rundreise des Herrn
Thiers zur Erbettelung fremden Beistandes ohne Erfolg blieb und das Aus¬
land in seiner bisherigen Neutralität verharrte, so war Deutschland definitiv
der Sieger, Frankreich der Besiegte; eine Fortsetzung des Kampfes konnte
auf die folgenden Friedensbedingungen noch von Einfluß sein, nimmermehr
aber das einmal gesicherte Resultat in Frage stellen.

Denn zunächst: Frankreich hatte durch Sedan und die damit zusammen-


richten können. Die Artillerie hat bekanntlich bei Königgrätz lange nicht das¬
jenige geleistet, wie bei Sedan; das Geschütz Material war zum Theil noch
mangelhaft, vor Allem aber auch ihre Gefechtsinstructionen noch nicht den
neuen Verhältnissen entsprechend abgeändert. Dafür besaß aber die dritte
Waffe, die preußische Infanterie ein ganz ungeheures, schon durch die voran¬
gehenden Kämpfe erprobtes Uebergewicht . . Mit ihr wäre es daher unter den
obigen Voraussetzungen vielleicht möglich gewesen, das Centrum der feindlichen
Schlachtstellung bei Sadowa auseinanderzusprengen und seine Flügel dann
aufzurollen. Napoleon I., der in solchen Fällen Opfer nicht scheute, hätte
möglicher Weise so gehandelt; der sparsameren preußischen Kriegsführung aber
war es angemessener, während der Kampf im Centrum entbrannte, mit den
Flügeln, zumal mit dem rechten, immer weiter aufzugreifen und die feindlichen
Flügel einzudrücken. So ist ja in Wirklichkeit auch verfahren worden; nur
konnte es dann bei der Eid-Armee mit größern Truppenmassen und mehr
Nachdruck geschehen; auch behielt dann der Oberfeldherr mehr die Leitung der
ganzen Schlacht in der Hand, so daß die noch vorhandenen intacter Trup¬
pentheile zur sofortigen Ausnutzung des Sieges hätten verwandt werden
können. Unter solchen Umständen würde die Niederlage der Oesterreicher, ihr
Verlust an Gefangenen, die Deroute der Nord-Armee noch unendlich größer
geworden, bei scharfer Verfolgung der Feldzug in wenigen Tagen beendet ge¬
wesen sein. Doch so geschah es nicht. Weil eben auf Preußens Seite noch
nicht Alles klappte und in einander griff, so erlitt Benedek zwar eine furcht¬
bare Niederlage, aber er konnte trotzdem immer noch weitaus die Hauptmasse
seiner Armee retten und sie auch kampfestüchtig erhalten.

Anders bei Sedan. Da saßt die Heeresleitung des preußischen Haupt¬
quartiers gleich von vorn herein die vollständige Vernichtung des Gegners
ins Auge; man kennt sich und kennt die eignen Truppen; und so gelingt denn
das glänzendste Meisterstück moderner Kriegskunst. Vollständiger als hier,
kann überhaupt keine Kriegsoperation gelingen, und in diesem Sinne eben
glaube ich Sedan den Höhepunkt der deutschen Kriegsführung nennen zu
dürfen.

Aber Sedan ist auch zweitens die eigentliche Krisis des ganzen Kampfes;
ich meine Krisis in dem Sinne, daß durch jene Schlacht schon unwiderruflich
festgestellt war: wenn auch die bald darauf erfolgende Rundreise des Herrn
Thiers zur Erbettelung fremden Beistandes ohne Erfolg blieb und das Aus¬
land in seiner bisherigen Neutralität verharrte, so war Deutschland definitiv
der Sieger, Frankreich der Besiegte; eine Fortsetzung des Kampfes konnte
auf die folgenden Friedensbedingungen noch von Einfluß sein, nimmermehr
aber das einmal gesicherte Resultat in Frage stellen.

Denn zunächst: Frankreich hatte durch Sedan und die damit zusammen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129332"/>
          <p xml:id="ID_1104" prev="#ID_1103"> richten können. Die Artillerie hat bekanntlich bei Königgrätz lange nicht das¬<lb/>
jenige geleistet, wie bei Sedan; das Geschütz Material war zum Theil noch<lb/>
mangelhaft, vor Allem aber auch ihre Gefechtsinstructionen noch nicht den<lb/>
neuen Verhältnissen entsprechend abgeändert. Dafür besaß aber die dritte<lb/>
Waffe, die preußische Infanterie ein ganz ungeheures, schon durch die voran¬<lb/>
gehenden Kämpfe erprobtes Uebergewicht . . Mit ihr wäre es daher unter den<lb/>
obigen Voraussetzungen vielleicht möglich gewesen, das Centrum der feindlichen<lb/>
Schlachtstellung bei Sadowa auseinanderzusprengen und seine Flügel dann<lb/>
aufzurollen. Napoleon I., der in solchen Fällen Opfer nicht scheute, hätte<lb/>
möglicher Weise so gehandelt; der sparsameren preußischen Kriegsführung aber<lb/>
war es angemessener, während der Kampf im Centrum entbrannte, mit den<lb/>
Flügeln, zumal mit dem rechten, immer weiter aufzugreifen und die feindlichen<lb/>
Flügel einzudrücken. So ist ja in Wirklichkeit auch verfahren worden; nur<lb/>
konnte es dann bei der Eid-Armee mit größern Truppenmassen und mehr<lb/>
Nachdruck geschehen; auch behielt dann der Oberfeldherr mehr die Leitung der<lb/>
ganzen Schlacht in der Hand, so daß die noch vorhandenen intacter Trup¬<lb/>
pentheile zur sofortigen Ausnutzung des Sieges hätten verwandt werden<lb/>
können. Unter solchen Umständen würde die Niederlage der Oesterreicher, ihr<lb/>
Verlust an Gefangenen, die Deroute der Nord-Armee noch unendlich größer<lb/>
geworden, bei scharfer Verfolgung der Feldzug in wenigen Tagen beendet ge¬<lb/>
wesen sein. Doch so geschah es nicht. Weil eben auf Preußens Seite noch<lb/>
nicht Alles klappte und in einander griff, so erlitt Benedek zwar eine furcht¬<lb/>
bare Niederlage, aber er konnte trotzdem immer noch weitaus die Hauptmasse<lb/>
seiner Armee retten und sie auch kampfestüchtig erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> Anders bei Sedan. Da saßt die Heeresleitung des preußischen Haupt¬<lb/>
quartiers gleich von vorn herein die vollständige Vernichtung des Gegners<lb/>
ins Auge; man kennt sich und kennt die eignen Truppen; und so gelingt denn<lb/>
das glänzendste Meisterstück moderner Kriegskunst. Vollständiger als hier,<lb/>
kann überhaupt keine Kriegsoperation gelingen, und in diesem Sinne eben<lb/>
glaube ich Sedan den Höhepunkt der deutschen Kriegsführung nennen zu<lb/>
dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106"> Aber Sedan ist auch zweitens die eigentliche Krisis des ganzen Kampfes;<lb/>
ich meine Krisis in dem Sinne, daß durch jene Schlacht schon unwiderruflich<lb/>
festgestellt war: wenn auch die bald darauf erfolgende Rundreise des Herrn<lb/>
Thiers zur Erbettelung fremden Beistandes ohne Erfolg blieb und das Aus¬<lb/>
land in seiner bisherigen Neutralität verharrte, so war Deutschland definitiv<lb/>
der Sieger, Frankreich der Besiegte; eine Fortsetzung des Kampfes konnte<lb/>
auf die folgenden Friedensbedingungen noch von Einfluß sein, nimmermehr<lb/>
aber das einmal gesicherte Resultat in Frage stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107" next="#ID_1108"> Denn zunächst: Frankreich hatte durch Sedan und die damit zusammen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] richten können. Die Artillerie hat bekanntlich bei Königgrätz lange nicht das¬ jenige geleistet, wie bei Sedan; das Geschütz Material war zum Theil noch mangelhaft, vor Allem aber auch ihre Gefechtsinstructionen noch nicht den neuen Verhältnissen entsprechend abgeändert. Dafür besaß aber die dritte Waffe, die preußische Infanterie ein ganz ungeheures, schon durch die voran¬ gehenden Kämpfe erprobtes Uebergewicht . . Mit ihr wäre es daher unter den obigen Voraussetzungen vielleicht möglich gewesen, das Centrum der feindlichen Schlachtstellung bei Sadowa auseinanderzusprengen und seine Flügel dann aufzurollen. Napoleon I., der in solchen Fällen Opfer nicht scheute, hätte möglicher Weise so gehandelt; der sparsameren preußischen Kriegsführung aber war es angemessener, während der Kampf im Centrum entbrannte, mit den Flügeln, zumal mit dem rechten, immer weiter aufzugreifen und die feindlichen Flügel einzudrücken. So ist ja in Wirklichkeit auch verfahren worden; nur konnte es dann bei der Eid-Armee mit größern Truppenmassen und mehr Nachdruck geschehen; auch behielt dann der Oberfeldherr mehr die Leitung der ganzen Schlacht in der Hand, so daß die noch vorhandenen intacter Trup¬ pentheile zur sofortigen Ausnutzung des Sieges hätten verwandt werden können. Unter solchen Umständen würde die Niederlage der Oesterreicher, ihr Verlust an Gefangenen, die Deroute der Nord-Armee noch unendlich größer geworden, bei scharfer Verfolgung der Feldzug in wenigen Tagen beendet ge¬ wesen sein. Doch so geschah es nicht. Weil eben auf Preußens Seite noch nicht Alles klappte und in einander griff, so erlitt Benedek zwar eine furcht¬ bare Niederlage, aber er konnte trotzdem immer noch weitaus die Hauptmasse seiner Armee retten und sie auch kampfestüchtig erhalten. Anders bei Sedan. Da saßt die Heeresleitung des preußischen Haupt¬ quartiers gleich von vorn herein die vollständige Vernichtung des Gegners ins Auge; man kennt sich und kennt die eignen Truppen; und so gelingt denn das glänzendste Meisterstück moderner Kriegskunst. Vollständiger als hier, kann überhaupt keine Kriegsoperation gelingen, und in diesem Sinne eben glaube ich Sedan den Höhepunkt der deutschen Kriegsführung nennen zu dürfen. Aber Sedan ist auch zweitens die eigentliche Krisis des ganzen Kampfes; ich meine Krisis in dem Sinne, daß durch jene Schlacht schon unwiderruflich festgestellt war: wenn auch die bald darauf erfolgende Rundreise des Herrn Thiers zur Erbettelung fremden Beistandes ohne Erfolg blieb und das Aus¬ land in seiner bisherigen Neutralität verharrte, so war Deutschland definitiv der Sieger, Frankreich der Besiegte; eine Fortsetzung des Kampfes konnte auf die folgenden Friedensbedingungen noch von Einfluß sein, nimmermehr aber das einmal gesicherte Resultat in Frage stellen. Denn zunächst: Frankreich hatte durch Sedan und die damit zusammen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/340>, abgerufen am 24.08.2024.