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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Fluß nach Norden, um je nach Umständen dem Feinde den Weg zu verlegen
oder ihm in seine rechte Flanke zu fallen; das XI., V. Armee-Corps und die
württembergische Division rücken links vom Aisne-Thal vor, um dem Mar¬
schall auch seine Rückzugslinie zu verlegen; Cavallerie auf den Flügeln und
in der Front, sichert den Marsch und klärt das Terrain auf. Bald constatiren
kleinere Gefechte und der Ueberfall von Beaumont (30.), daß man auf der
richtigen Fährte ist. -- Den leitenden Officieren, der Marschfähigkeit der
Truppen, der Intendanz war das Außerordentlichste zugemuthet, und sie
hatten den Erwartungen entsprochen. Marschall Mac Mahon versuchte jetzt
immer weiter links auszubiegen und sich doch noch vorbeizuschlängeln; endlich
giebt er diese Hoffnung auf und denkt daran, seine Armee durch einen Rückzug
auf Mezieres zu retten. Allein es ist zu spät! Im Hauptquartier Sr. Ma¬
jestät hat man bereits beschlossen, am 1. Sept., statt einen Ruhetag zu
halten, die Schlacht zu liefern; die Stellungen des Feindes sind genügend
bekannt; man darf ihn aber nicht heimlich abziehen lassen. Die Dispositionen
zur Schlacht werden so ertheilt, daß der Feind schließlich ganz umzingelt und
ihm jede Rückzugsstraßc, selbst die auf das neutrale belgische Gebiet, abge¬
schnitten werden soll. Die Truppen müssen zum Theil schon um Mitternacht
alarmirt werden, um erst noch einen weiten Marsch zurückzulegen. Im Süden,
bei Bazeilles, fassen die Bayern den Gegner an; hier kommt es stundenlang
zu einem äußerst hartnäckigen Kampf; links und namentlich rechts von Ba¬
zeilles entwickelt man dann immer mehr Truppen und engagirt einen immer
größern Theil der feindlichen Front. Währenddessen marschiren andere Corps
weiter und immer weiter, unbekümmert um die schon so heiß entbrannte
Schlacht; wenn sie den ihnen durch die allgemeine Disposition zugewiesenen
Punkt erreicht haben, schwenken sie ein; mit dem einen Flügel schließen sie
sich an das zunächst kämpfende Corps an, mit dem andern greifen sie mög¬
lichst weit aus, um Fühlung mit den in der Schlachtlinie noch zu erwarten¬
den Truppen zu gewinnen. Etwa um 3 Uhr Nachmittags hatte die erste
Garde-Division, der äußerste rechte Flügel der Maas-Armee, bei Jlly die Ver¬
bindung hergestellt mit dem V. Corps, dem linken Flügel der III. Armee:
damit war die gänzliche Umzingelung bewirkt; die Vernichtung des französi¬
schen Heeres oder seine Kapitulation war jetzt unvermeidlich. Was dann er¬
folgte, ist bekannt.

Ich wüßte aus der ganzen Kriegsgeschichte kein Beispiel anzuführen, wo
durch eine Reihe von wohlberechneten strategischen Operationen und eine einzige
sich daran anschließende Schlacht ein großes feindliches Heer so gänzlich ver¬
nichtet worden wäre, wie es bei Sedan geschah. Ein Analogon wäre wohl,
was den kantischen Erfolg betrifft, Carnac, wo der größte Schlachtenmeister
des Alterthums den Römern die furchtbarste Niederlage ihrer Geschichte bei-


Fluß nach Norden, um je nach Umständen dem Feinde den Weg zu verlegen
oder ihm in seine rechte Flanke zu fallen; das XI., V. Armee-Corps und die
württembergische Division rücken links vom Aisne-Thal vor, um dem Mar¬
schall auch seine Rückzugslinie zu verlegen; Cavallerie auf den Flügeln und
in der Front, sichert den Marsch und klärt das Terrain auf. Bald constatiren
kleinere Gefechte und der Ueberfall von Beaumont (30.), daß man auf der
richtigen Fährte ist. — Den leitenden Officieren, der Marschfähigkeit der
Truppen, der Intendanz war das Außerordentlichste zugemuthet, und sie
hatten den Erwartungen entsprochen. Marschall Mac Mahon versuchte jetzt
immer weiter links auszubiegen und sich doch noch vorbeizuschlängeln; endlich
giebt er diese Hoffnung auf und denkt daran, seine Armee durch einen Rückzug
auf Mezieres zu retten. Allein es ist zu spät! Im Hauptquartier Sr. Ma¬
jestät hat man bereits beschlossen, am 1. Sept., statt einen Ruhetag zu
halten, die Schlacht zu liefern; die Stellungen des Feindes sind genügend
bekannt; man darf ihn aber nicht heimlich abziehen lassen. Die Dispositionen
zur Schlacht werden so ertheilt, daß der Feind schließlich ganz umzingelt und
ihm jede Rückzugsstraßc, selbst die auf das neutrale belgische Gebiet, abge¬
schnitten werden soll. Die Truppen müssen zum Theil schon um Mitternacht
alarmirt werden, um erst noch einen weiten Marsch zurückzulegen. Im Süden,
bei Bazeilles, fassen die Bayern den Gegner an; hier kommt es stundenlang
zu einem äußerst hartnäckigen Kampf; links und namentlich rechts von Ba¬
zeilles entwickelt man dann immer mehr Truppen und engagirt einen immer
größern Theil der feindlichen Front. Währenddessen marschiren andere Corps
weiter und immer weiter, unbekümmert um die schon so heiß entbrannte
Schlacht; wenn sie den ihnen durch die allgemeine Disposition zugewiesenen
Punkt erreicht haben, schwenken sie ein; mit dem einen Flügel schließen sie
sich an das zunächst kämpfende Corps an, mit dem andern greifen sie mög¬
lichst weit aus, um Fühlung mit den in der Schlachtlinie noch zu erwarten¬
den Truppen zu gewinnen. Etwa um 3 Uhr Nachmittags hatte die erste
Garde-Division, der äußerste rechte Flügel der Maas-Armee, bei Jlly die Ver¬
bindung hergestellt mit dem V. Corps, dem linken Flügel der III. Armee:
damit war die gänzliche Umzingelung bewirkt; die Vernichtung des französi¬
schen Heeres oder seine Kapitulation war jetzt unvermeidlich. Was dann er¬
folgte, ist bekannt.

Ich wüßte aus der ganzen Kriegsgeschichte kein Beispiel anzuführen, wo
durch eine Reihe von wohlberechneten strategischen Operationen und eine einzige
sich daran anschließende Schlacht ein großes feindliches Heer so gänzlich ver¬
nichtet worden wäre, wie es bei Sedan geschah. Ein Analogon wäre wohl,
was den kantischen Erfolg betrifft, Carnac, wo der größte Schlachtenmeister
des Alterthums den Römern die furchtbarste Niederlage ihrer Geschichte bei-


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[0338] Fluß nach Norden, um je nach Umständen dem Feinde den Weg zu verlegen oder ihm in seine rechte Flanke zu fallen; das XI., V. Armee-Corps und die württembergische Division rücken links vom Aisne-Thal vor, um dem Mar¬ schall auch seine Rückzugslinie zu verlegen; Cavallerie auf den Flügeln und in der Front, sichert den Marsch und klärt das Terrain auf. Bald constatiren kleinere Gefechte und der Ueberfall von Beaumont (30.), daß man auf der richtigen Fährte ist. — Den leitenden Officieren, der Marschfähigkeit der Truppen, der Intendanz war das Außerordentlichste zugemuthet, und sie hatten den Erwartungen entsprochen. Marschall Mac Mahon versuchte jetzt immer weiter links auszubiegen und sich doch noch vorbeizuschlängeln; endlich giebt er diese Hoffnung auf und denkt daran, seine Armee durch einen Rückzug auf Mezieres zu retten. Allein es ist zu spät! Im Hauptquartier Sr. Ma¬ jestät hat man bereits beschlossen, am 1. Sept., statt einen Ruhetag zu halten, die Schlacht zu liefern; die Stellungen des Feindes sind genügend bekannt; man darf ihn aber nicht heimlich abziehen lassen. Die Dispositionen zur Schlacht werden so ertheilt, daß der Feind schließlich ganz umzingelt und ihm jede Rückzugsstraßc, selbst die auf das neutrale belgische Gebiet, abge¬ schnitten werden soll. Die Truppen müssen zum Theil schon um Mitternacht alarmirt werden, um erst noch einen weiten Marsch zurückzulegen. Im Süden, bei Bazeilles, fassen die Bayern den Gegner an; hier kommt es stundenlang zu einem äußerst hartnäckigen Kampf; links und namentlich rechts von Ba¬ zeilles entwickelt man dann immer mehr Truppen und engagirt einen immer größern Theil der feindlichen Front. Währenddessen marschiren andere Corps weiter und immer weiter, unbekümmert um die schon so heiß entbrannte Schlacht; wenn sie den ihnen durch die allgemeine Disposition zugewiesenen Punkt erreicht haben, schwenken sie ein; mit dem einen Flügel schließen sie sich an das zunächst kämpfende Corps an, mit dem andern greifen sie mög¬ lichst weit aus, um Fühlung mit den in der Schlachtlinie noch zu erwarten¬ den Truppen zu gewinnen. Etwa um 3 Uhr Nachmittags hatte die erste Garde-Division, der äußerste rechte Flügel der Maas-Armee, bei Jlly die Ver¬ bindung hergestellt mit dem V. Corps, dem linken Flügel der III. Armee: damit war die gänzliche Umzingelung bewirkt; die Vernichtung des französi¬ schen Heeres oder seine Kapitulation war jetzt unvermeidlich. Was dann er¬ folgte, ist bekannt. Ich wüßte aus der ganzen Kriegsgeschichte kein Beispiel anzuführen, wo durch eine Reihe von wohlberechneten strategischen Operationen und eine einzige sich daran anschließende Schlacht ein großes feindliches Heer so gänzlich ver¬ nichtet worden wäre, wie es bei Sedan geschah. Ein Analogon wäre wohl, was den kantischen Erfolg betrifft, Carnac, wo der größte Schlachtenmeister des Alterthums den Römern die furchtbarste Niederlage ihrer Geschichte bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/338>, abgerufen am 24.08.2024.