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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Kreise derselben hindurch bezweckten, von den neuen Gemeindeordnungen bis
zur Reorganisation der Verwaltungsbehörden, von dem Gesetze wegen Bil¬
dung von Bezirksvertretungen zur Selbstverwaltung der Bezirke bis zu dem
Gesetze wegen Unterstellung der politischen Strafgewalt unter die entscheidende
Controle der Gerichte. Der neue Kultus- und Unterrichtsminister aber
debütirte mit dem Entwürfe eines Volksschulgesetzes, den er gleichfalls dem
Landtage unterbreitete.

Die zuerst genannten Gesetzentwürfe waren, indirekt wenigstens, aus
einer anstoßgebenden Thätigkeit der Volksvertretung selbst, der II. Kammer,
zunächst ihrer liberalen Majorität, beim vorigen Landtage hervorgegangen. Die
letztere hatte damals von der einen Seite auf durchgreifende Reformen in der
Gemeindeverfassung von Stadt und Land, von der andern auf Herstellung
von Einrichtungen zur Ausdehnung des Princips der Selbstverwaltung auch
über die Gemeinde hinaus, auf größere Bezirke, Anträge gestellt. Diese An¬
träge waren zwar, nachdem sie in der II. Kammer bei der ersten Berathung
ohne viel Widerspruch durchgegangen, von der I. Kammer ziemlich vornehm,
abthuend behandelt und in Folge dessen dann auch von der conservativen
Partei in der II. Kammer minder günstig beurtheilt worden. Der Minister
des Innern, von Nostiz - Wallwitz, hatte sich anfangs nahezu ablehnend,
mindestens sehr kühl dagegen verhalten. Doch hatte er sich schließlich her¬
beigelassen, die Vorlage von Gesetzentwürfen über Reformen in der Gemeinde¬
verfassung und in der Verwaltung dem nächsten Landtage vorzulegen.

Und er hielt Wort. Die vorgelegten Entwürfe gingen zwar auf die
Wünsche einer radikaleren Reform der Gemeindeverfassung (einheitliche Ge¬
meindeordnung für Stadt und Land, Aufhebung des Dualismus in den
Städten, Stadtrathswahlen u. tgi.), nicht oder nur sehr theilweise ein --
wobei nicht unerwähnt bleiben darf, daß auch in den Reihen der Liberalen
selbst über manche dieser Wünsche Meinungsverschiedenheit sich kund gab -- aber
sie stellten das Gemeindeleben doch im Großen und Ganzen auf den durch
die Fortschritte der Zeit und die weiter entwickelte Bildung des Volks vor¬
gezeichneten Standpunkt. Für die Städte gab es eigentlich wenig zu refor-
miren -- denn die allgemeine Städteordnung von 1832 war anerkannter¬
maßen eine selbst nach heutigem Maaßstabe sehr freisinnige; zu dem Experi¬
mente aber einer Vertauschung der ganzen Grundlage derselben mit derjenigen
der westdeutschen und östreichischen Städteverfassung (mit einem einzigen
Collegium und einer blos bureaukratischen Executive daneben), schien auch in
der liberalen Partei weder in Abgeordneten-Kreisen noch im Lande eine ent¬
schiedene Neigung vorhanden. So beschränkte sich denn die neue Städteord¬
nung für die größeren Städte im Wesentlichen auf gewisse Erleichterungen
in dem Geschäftsgange und den Zukommnissen der beiden Städte - Collegien


Kreise derselben hindurch bezweckten, von den neuen Gemeindeordnungen bis
zur Reorganisation der Verwaltungsbehörden, von dem Gesetze wegen Bil¬
dung von Bezirksvertretungen zur Selbstverwaltung der Bezirke bis zu dem
Gesetze wegen Unterstellung der politischen Strafgewalt unter die entscheidende
Controle der Gerichte. Der neue Kultus- und Unterrichtsminister aber
debütirte mit dem Entwürfe eines Volksschulgesetzes, den er gleichfalls dem
Landtage unterbreitete.

Die zuerst genannten Gesetzentwürfe waren, indirekt wenigstens, aus
einer anstoßgebenden Thätigkeit der Volksvertretung selbst, der II. Kammer,
zunächst ihrer liberalen Majorität, beim vorigen Landtage hervorgegangen. Die
letztere hatte damals von der einen Seite auf durchgreifende Reformen in der
Gemeindeverfassung von Stadt und Land, von der andern auf Herstellung
von Einrichtungen zur Ausdehnung des Princips der Selbstverwaltung auch
über die Gemeinde hinaus, auf größere Bezirke, Anträge gestellt. Diese An¬
träge waren zwar, nachdem sie in der II. Kammer bei der ersten Berathung
ohne viel Widerspruch durchgegangen, von der I. Kammer ziemlich vornehm,
abthuend behandelt und in Folge dessen dann auch von der conservativen
Partei in der II. Kammer minder günstig beurtheilt worden. Der Minister
des Innern, von Nostiz - Wallwitz, hatte sich anfangs nahezu ablehnend,
mindestens sehr kühl dagegen verhalten. Doch hatte er sich schließlich her¬
beigelassen, die Vorlage von Gesetzentwürfen über Reformen in der Gemeinde¬
verfassung und in der Verwaltung dem nächsten Landtage vorzulegen.

Und er hielt Wort. Die vorgelegten Entwürfe gingen zwar auf die
Wünsche einer radikaleren Reform der Gemeindeverfassung (einheitliche Ge¬
meindeordnung für Stadt und Land, Aufhebung des Dualismus in den
Städten, Stadtrathswahlen u. tgi.), nicht oder nur sehr theilweise ein —
wobei nicht unerwähnt bleiben darf, daß auch in den Reihen der Liberalen
selbst über manche dieser Wünsche Meinungsverschiedenheit sich kund gab — aber
sie stellten das Gemeindeleben doch im Großen und Ganzen auf den durch
die Fortschritte der Zeit und die weiter entwickelte Bildung des Volks vor¬
gezeichneten Standpunkt. Für die Städte gab es eigentlich wenig zu refor-
miren — denn die allgemeine Städteordnung von 1832 war anerkannter¬
maßen eine selbst nach heutigem Maaßstabe sehr freisinnige; zu dem Experi¬
mente aber einer Vertauschung der ganzen Grundlage derselben mit derjenigen
der westdeutschen und östreichischen Städteverfassung (mit einem einzigen
Collegium und einer blos bureaukratischen Executive daneben), schien auch in
der liberalen Partei weder in Abgeordneten-Kreisen noch im Lande eine ent¬
schiedene Neigung vorhanden. So beschränkte sich denn die neue Städteord¬
nung für die größeren Städte im Wesentlichen auf gewisse Erleichterungen
in dem Geschäftsgange und den Zukommnissen der beiden Städte - Collegien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/320>, abgerufen am 24.08.2024.