Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unterrichtswesen, vor allem das der Volks- und Mittelschulen und hierin
ward auch das bedeutendste geleistet. Die Gegensätze trafen schnell auf ein¬
ander. Ueberall, wo es sich um Reformen in der Schule handelte, waren die
anwesenden Kleriker mit der Bemerkung bei der Hand, daß diese Maßregeln
zum Nachtheil der katholischen Kirche getroffen würden, speciell aber fanden
sie sich dadurch verletzt, daß der Landrath die Mittel zur Bestellung weltlicher
Schulinspeetoren bewilligte. Nach den bestehenden Normen sind nämlich die
Geistlichen principiell hierzuberufen, allein leider ist es notorisch, daß dieselben
dies Amt nicht immer zum Besten der Sache verwalten und in solchen Fällen
soll die Regierung das Recht haben, ausnahmsweise weltliche Inspektoren
zum Ersatz zu berufen. Dieselben müssen natürlich besoldet werden, während
die geistlichen Aufsichtsbeamten ihre Funktion unentgeltlich versehen und die
ganze Ausnahmsbestimmung könnte demnach illusorisch gemacht werden, wenn
die Landräthe die Mittel zur Aufstellung von Kreisinspektoren verweigern
würden.

Man muß anerkennen, daß die Regierung energisch diesen Standpunkt
vertrat und entschieden (vor allem in München selbst) die Mängel hervor¬
hob, die die geistliche Aufsicht nach sich zieht. Die Landräthe würdigten
diese Thatsache in rühmenswerther Weise und mit offener Hand.

Neben der Frage der Aufsicht wurde besonders die Frage der "Fortbil¬
dungsschulen" berücksichtigt, die in erster Reihe den Ständen zu gute kommen,
welche nach beendigter Volksschule keine weitere Gelegenheit zur Ausbildung
mehr finden. Es ist lehrreich genug, daß gerade diese Anstalten dem Clerus
ein besonderer Dorn im Auge sind; aber noch lehrreicher, daß dieselben trotz
aller Contreminen einen wahrhaft überraschenden Aufschwung nehmen. Die
Berichte die bei dieser Gelegenheit publicirt wurden, haben ergeben, daß in
Oberbaiern allein die Schülerzahl jener Anstalten 3804 Personen ausmacht, daß
der Zuwachs eines einzigen Jahres 800 beträgt; der Beitrag den der Land¬
rath für diese Anstalten gab, beläuft sich für den einzigen oberbaierischen Kreis
auf 20,000 si. Was die Gesammtausgaben für das Erziehungswesen an¬
langt, so hat derselbe Kreis über eine halbe Million, der schwäbische Kreis
eine viertel Million, und jeder übrige Bezirk conforme Summen bewilligt.
In ähnlicher Weise sind die übrigen administrativen Zweige bedacht worden,
die zur Competenz des Landraths gehören, so daß eine beträchtliche Erhöhung
der Kreisumlage nöthig geworden ist. Wenn diese Errungenschaften auf
natürliche Weise den Schwerpunkt der Verhandlungen bilden^ so liegt doch
darin nicht die einzige Bedeutung derselben, sondern die Debatte an sich bot
unendlich viel, was bemerkenswerth und von dauerndem Belang ist. Vor
allem haben sich die Gegensätze bedeutend geklärt; die unerbittliche Opposition
welche der Clerus gegen jede Reform des Unterrichts erhebt, ist um so denk-


Unterrichtswesen, vor allem das der Volks- und Mittelschulen und hierin
ward auch das bedeutendste geleistet. Die Gegensätze trafen schnell auf ein¬
ander. Ueberall, wo es sich um Reformen in der Schule handelte, waren die
anwesenden Kleriker mit der Bemerkung bei der Hand, daß diese Maßregeln
zum Nachtheil der katholischen Kirche getroffen würden, speciell aber fanden
sie sich dadurch verletzt, daß der Landrath die Mittel zur Bestellung weltlicher
Schulinspeetoren bewilligte. Nach den bestehenden Normen sind nämlich die
Geistlichen principiell hierzuberufen, allein leider ist es notorisch, daß dieselben
dies Amt nicht immer zum Besten der Sache verwalten und in solchen Fällen
soll die Regierung das Recht haben, ausnahmsweise weltliche Inspektoren
zum Ersatz zu berufen. Dieselben müssen natürlich besoldet werden, während
die geistlichen Aufsichtsbeamten ihre Funktion unentgeltlich versehen und die
ganze Ausnahmsbestimmung könnte demnach illusorisch gemacht werden, wenn
die Landräthe die Mittel zur Aufstellung von Kreisinspektoren verweigern
würden.

Man muß anerkennen, daß die Regierung energisch diesen Standpunkt
vertrat und entschieden (vor allem in München selbst) die Mängel hervor¬
hob, die die geistliche Aufsicht nach sich zieht. Die Landräthe würdigten
diese Thatsache in rühmenswerther Weise und mit offener Hand.

Neben der Frage der Aufsicht wurde besonders die Frage der „Fortbil¬
dungsschulen" berücksichtigt, die in erster Reihe den Ständen zu gute kommen,
welche nach beendigter Volksschule keine weitere Gelegenheit zur Ausbildung
mehr finden. Es ist lehrreich genug, daß gerade diese Anstalten dem Clerus
ein besonderer Dorn im Auge sind; aber noch lehrreicher, daß dieselben trotz
aller Contreminen einen wahrhaft überraschenden Aufschwung nehmen. Die
Berichte die bei dieser Gelegenheit publicirt wurden, haben ergeben, daß in
Oberbaiern allein die Schülerzahl jener Anstalten 3804 Personen ausmacht, daß
der Zuwachs eines einzigen Jahres 800 beträgt; der Beitrag den der Land¬
rath für diese Anstalten gab, beläuft sich für den einzigen oberbaierischen Kreis
auf 20,000 si. Was die Gesammtausgaben für das Erziehungswesen an¬
langt, so hat derselbe Kreis über eine halbe Million, der schwäbische Kreis
eine viertel Million, und jeder übrige Bezirk conforme Summen bewilligt.
In ähnlicher Weise sind die übrigen administrativen Zweige bedacht worden,
die zur Competenz des Landraths gehören, so daß eine beträchtliche Erhöhung
der Kreisumlage nöthig geworden ist. Wenn diese Errungenschaften auf
natürliche Weise den Schwerpunkt der Verhandlungen bilden^ so liegt doch
darin nicht die einzige Bedeutung derselben, sondern die Debatte an sich bot
unendlich viel, was bemerkenswerth und von dauerndem Belang ist. Vor
allem haben sich die Gegensätze bedeutend geklärt; die unerbittliche Opposition
welche der Clerus gegen jede Reform des Unterrichts erhebt, ist um so denk-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129024"/>
          <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81"> Unterrichtswesen, vor allem das der Volks- und Mittelschulen und hierin<lb/>
ward auch das bedeutendste geleistet. Die Gegensätze trafen schnell auf ein¬<lb/>
ander. Ueberall, wo es sich um Reformen in der Schule handelte, waren die<lb/>
anwesenden Kleriker mit der Bemerkung bei der Hand, daß diese Maßregeln<lb/>
zum Nachtheil der katholischen Kirche getroffen würden, speciell aber fanden<lb/>
sie sich dadurch verletzt, daß der Landrath die Mittel zur Bestellung weltlicher<lb/>
Schulinspeetoren bewilligte. Nach den bestehenden Normen sind nämlich die<lb/>
Geistlichen principiell hierzuberufen, allein leider ist es notorisch, daß dieselben<lb/>
dies Amt nicht immer zum Besten der Sache verwalten und in solchen Fällen<lb/>
soll die Regierung das Recht haben, ausnahmsweise weltliche Inspektoren<lb/>
zum Ersatz zu berufen. Dieselben müssen natürlich besoldet werden, während<lb/>
die geistlichen Aufsichtsbeamten ihre Funktion unentgeltlich versehen und die<lb/>
ganze Ausnahmsbestimmung könnte demnach illusorisch gemacht werden, wenn<lb/>
die Landräthe die Mittel zur Aufstellung von Kreisinspektoren verweigern<lb/>
würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Man muß anerkennen, daß die Regierung energisch diesen Standpunkt<lb/>
vertrat und entschieden (vor allem in München selbst) die Mängel hervor¬<lb/>
hob, die die geistliche Aufsicht nach sich zieht. Die Landräthe würdigten<lb/>
diese Thatsache in rühmenswerther Weise und mit offener Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> Neben der Frage der Aufsicht wurde besonders die Frage der &#x201E;Fortbil¬<lb/>
dungsschulen" berücksichtigt, die in erster Reihe den Ständen zu gute kommen,<lb/>
welche nach beendigter Volksschule keine weitere Gelegenheit zur Ausbildung<lb/>
mehr finden. Es ist lehrreich genug, daß gerade diese Anstalten dem Clerus<lb/>
ein besonderer Dorn im Auge sind; aber noch lehrreicher, daß dieselben trotz<lb/>
aller Contreminen einen wahrhaft überraschenden Aufschwung nehmen. Die<lb/>
Berichte die bei dieser Gelegenheit publicirt wurden, haben ergeben, daß in<lb/>
Oberbaiern allein die Schülerzahl jener Anstalten 3804 Personen ausmacht, daß<lb/>
der Zuwachs eines einzigen Jahres 800 beträgt; der Beitrag den der Land¬<lb/>
rath für diese Anstalten gab, beläuft sich für den einzigen oberbaierischen Kreis<lb/>
auf 20,000 si. Was die Gesammtausgaben für das Erziehungswesen an¬<lb/>
langt, so hat derselbe Kreis über eine halbe Million, der schwäbische Kreis<lb/>
eine viertel Million, und jeder übrige Bezirk conforme Summen bewilligt.<lb/>
In ähnlicher Weise sind die übrigen administrativen Zweige bedacht worden,<lb/>
die zur Competenz des Landraths gehören, so daß eine beträchtliche Erhöhung<lb/>
der Kreisumlage nöthig geworden ist. Wenn diese Errungenschaften auf<lb/>
natürliche Weise den Schwerpunkt der Verhandlungen bilden^ so liegt doch<lb/>
darin nicht die einzige Bedeutung derselben, sondern die Debatte an sich bot<lb/>
unendlich viel, was bemerkenswerth und von dauerndem Belang ist. Vor<lb/>
allem haben sich die Gegensätze bedeutend geklärt; die unerbittliche Opposition<lb/>
welche der Clerus gegen jede Reform des Unterrichts erhebt, ist um so denk-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] Unterrichtswesen, vor allem das der Volks- und Mittelschulen und hierin ward auch das bedeutendste geleistet. Die Gegensätze trafen schnell auf ein¬ ander. Ueberall, wo es sich um Reformen in der Schule handelte, waren die anwesenden Kleriker mit der Bemerkung bei der Hand, daß diese Maßregeln zum Nachtheil der katholischen Kirche getroffen würden, speciell aber fanden sie sich dadurch verletzt, daß der Landrath die Mittel zur Bestellung weltlicher Schulinspeetoren bewilligte. Nach den bestehenden Normen sind nämlich die Geistlichen principiell hierzuberufen, allein leider ist es notorisch, daß dieselben dies Amt nicht immer zum Besten der Sache verwalten und in solchen Fällen soll die Regierung das Recht haben, ausnahmsweise weltliche Inspektoren zum Ersatz zu berufen. Dieselben müssen natürlich besoldet werden, während die geistlichen Aufsichtsbeamten ihre Funktion unentgeltlich versehen und die ganze Ausnahmsbestimmung könnte demnach illusorisch gemacht werden, wenn die Landräthe die Mittel zur Aufstellung von Kreisinspektoren verweigern würden. Man muß anerkennen, daß die Regierung energisch diesen Standpunkt vertrat und entschieden (vor allem in München selbst) die Mängel hervor¬ hob, die die geistliche Aufsicht nach sich zieht. Die Landräthe würdigten diese Thatsache in rühmenswerther Weise und mit offener Hand. Neben der Frage der Aufsicht wurde besonders die Frage der „Fortbil¬ dungsschulen" berücksichtigt, die in erster Reihe den Ständen zu gute kommen, welche nach beendigter Volksschule keine weitere Gelegenheit zur Ausbildung mehr finden. Es ist lehrreich genug, daß gerade diese Anstalten dem Clerus ein besonderer Dorn im Auge sind; aber noch lehrreicher, daß dieselben trotz aller Contreminen einen wahrhaft überraschenden Aufschwung nehmen. Die Berichte die bei dieser Gelegenheit publicirt wurden, haben ergeben, daß in Oberbaiern allein die Schülerzahl jener Anstalten 3804 Personen ausmacht, daß der Zuwachs eines einzigen Jahres 800 beträgt; der Beitrag den der Land¬ rath für diese Anstalten gab, beläuft sich für den einzigen oberbaierischen Kreis auf 20,000 si. Was die Gesammtausgaben für das Erziehungswesen an¬ langt, so hat derselbe Kreis über eine halbe Million, der schwäbische Kreis eine viertel Million, und jeder übrige Bezirk conforme Summen bewilligt. In ähnlicher Weise sind die übrigen administrativen Zweige bedacht worden, die zur Competenz des Landraths gehören, so daß eine beträchtliche Erhöhung der Kreisumlage nöthig geworden ist. Wenn diese Errungenschaften auf natürliche Weise den Schwerpunkt der Verhandlungen bilden^ so liegt doch darin nicht die einzige Bedeutung derselben, sondern die Debatte an sich bot unendlich viel, was bemerkenswerth und von dauerndem Belang ist. Vor allem haben sich die Gegensätze bedeutend geklärt; die unerbittliche Opposition welche der Clerus gegen jede Reform des Unterrichts erhebt, ist um so denk-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/32>, abgerufen am 28.09.2024.