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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Kegierung und Landtag des Königreichs Sachsen.
ii.

Innere Verwaltung und Kultus und Unterrichtswesen -- das werden
über ein Kleines so ziemlich die einzigen Gebiete des Staatslebens sein, welche
noch den Einzelstaaten zu vollkommen freier Verfügung bleiben, und selbst das
letztere vielleicht nicht ganz ohne Ausnahmen. Die nominelle Selbständigkeit
eines "sächsischen Heeres" und eines sächsischen Kriegsministeriums -- bei im
Uebrigen ganz gleichartigen, vom Centrum aus dictirten, controlirten und
commandirten militärischen Einrichtungen und Anordnungen -- ist schon jetzt
doch eigentlich nur noch eine hübsch aussehende Attrape zur Selbsttäuschung.
Das "Auswärtige" ist schon jetzt großentheils zusammengeschrumpft zu einem
Ressort theils für die Wahrnehmung dynastischer Familienbeziehungen, theils
für die Befürwortung von Privatinteressen der Landesangehörigen im "deut¬
schen Auslande oder auch mittels der Reichsconsuln in nichtdeutschen Ländern;
sein Schwerpunkt liegt in der Vertretung Sachsens im Bundesrathe und der
Rath, den Bismarck selber dem leitenden Staate Preußen gab, den stolzen
Namen eines Ministeriums des Auswärtigen mit dem bescheideneren, aber zu¬
treffenderen eines Ministeriums für die deutschen Angelegenheiten zu vertau¬
schen, wäre für die Staaten zweiten Ranges gewiß noch weit mehr am Platze.
Auch das Finanzressort der einzelnen Bundesstaaten ist schon mehrfach durch
das Reich beschränkt und beschnitten worden, und dürfte es aller Wahrschein¬
lichkeit nach noch mehr werden, wenn man erst daran geht, (was auf die
Länge nicht ausbleiben kann) neben den indirecten auch directe Reichssteuern
einzuführen. Dann wird auch das Kopfzerbrechen und das Experimentiren
mit neuen Steuergesetzen, womit der zum Tode ermüdete sächsische Landtag
noch in seinen letzten Stunden sich in eine gewisse künstliche Lebendigkeit zu-
rückgalvanisirt sieht, mit einem Male ein Ende haben. Und wie gut es sein
wird, wenn die Justiz in ihren wesentlichsten Attributen aufs Reich über- oder
doch vom Reich und dessen Gesetzgebung ausgeht, dazu hat so eben erst wieder
der sächsische Justizminister einen schlagenden Beleg geliefert, der hier als ein
nachträglicher charakteristischer Zug zu dem im vorigen Art. gelieferten Bilde
Abekens wenigstens erwähnt sein mag. Ich meine seine Antwort auf die
Biedermann'sche Jnterpellation wegen des Reichsgerichts. Ungeschickter konnte
doch in der That diese Antwort nicht ausfallen! Es giebt eine Kunst des
Redens und doch Nichtssagens, die manche Minister verstehen; es giebt andre
Minister, die vielleicht bisweilen gar zu gerade heraus Manches sagen, was
sie nicht zu sagen brauchten; aber eine so nichtssagende, dabei jedoch zugleich
so ungewandte, von sichtlichster Verlegenheit dictirte Rede, wie diese Abekensche
Antwort, ist wohl selten gehört worden.


Kegierung und Landtag des Königreichs Sachsen.
ii.

Innere Verwaltung und Kultus und Unterrichtswesen — das werden
über ein Kleines so ziemlich die einzigen Gebiete des Staatslebens sein, welche
noch den Einzelstaaten zu vollkommen freier Verfügung bleiben, und selbst das
letztere vielleicht nicht ganz ohne Ausnahmen. Die nominelle Selbständigkeit
eines „sächsischen Heeres" und eines sächsischen Kriegsministeriums — bei im
Uebrigen ganz gleichartigen, vom Centrum aus dictirten, controlirten und
commandirten militärischen Einrichtungen und Anordnungen — ist schon jetzt
doch eigentlich nur noch eine hübsch aussehende Attrape zur Selbsttäuschung.
Das „Auswärtige" ist schon jetzt großentheils zusammengeschrumpft zu einem
Ressort theils für die Wahrnehmung dynastischer Familienbeziehungen, theils
für die Befürwortung von Privatinteressen der Landesangehörigen im „deut¬
schen Auslande oder auch mittels der Reichsconsuln in nichtdeutschen Ländern;
sein Schwerpunkt liegt in der Vertretung Sachsens im Bundesrathe und der
Rath, den Bismarck selber dem leitenden Staate Preußen gab, den stolzen
Namen eines Ministeriums des Auswärtigen mit dem bescheideneren, aber zu¬
treffenderen eines Ministeriums für die deutschen Angelegenheiten zu vertau¬
schen, wäre für die Staaten zweiten Ranges gewiß noch weit mehr am Platze.
Auch das Finanzressort der einzelnen Bundesstaaten ist schon mehrfach durch
das Reich beschränkt und beschnitten worden, und dürfte es aller Wahrschein¬
lichkeit nach noch mehr werden, wenn man erst daran geht, (was auf die
Länge nicht ausbleiben kann) neben den indirecten auch directe Reichssteuern
einzuführen. Dann wird auch das Kopfzerbrechen und das Experimentiren
mit neuen Steuergesetzen, womit der zum Tode ermüdete sächsische Landtag
noch in seinen letzten Stunden sich in eine gewisse künstliche Lebendigkeit zu-
rückgalvanisirt sieht, mit einem Male ein Ende haben. Und wie gut es sein
wird, wenn die Justiz in ihren wesentlichsten Attributen aufs Reich über- oder
doch vom Reich und dessen Gesetzgebung ausgeht, dazu hat so eben erst wieder
der sächsische Justizminister einen schlagenden Beleg geliefert, der hier als ein
nachträglicher charakteristischer Zug zu dem im vorigen Art. gelieferten Bilde
Abekens wenigstens erwähnt sein mag. Ich meine seine Antwort auf die
Biedermann'sche Jnterpellation wegen des Reichsgerichts. Ungeschickter konnte
doch in der That diese Antwort nicht ausfallen! Es giebt eine Kunst des
Redens und doch Nichtssagens, die manche Minister verstehen; es giebt andre
Minister, die vielleicht bisweilen gar zu gerade heraus Manches sagen, was
sie nicht zu sagen brauchten; aber eine so nichtssagende, dabei jedoch zugleich
so ungewandte, von sichtlichster Verlegenheit dictirte Rede, wie diese Abekensche
Antwort, ist wohl selten gehört worden.


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[0318] Kegierung und Landtag des Königreichs Sachsen. ii. Innere Verwaltung und Kultus und Unterrichtswesen — das werden über ein Kleines so ziemlich die einzigen Gebiete des Staatslebens sein, welche noch den Einzelstaaten zu vollkommen freier Verfügung bleiben, und selbst das letztere vielleicht nicht ganz ohne Ausnahmen. Die nominelle Selbständigkeit eines „sächsischen Heeres" und eines sächsischen Kriegsministeriums — bei im Uebrigen ganz gleichartigen, vom Centrum aus dictirten, controlirten und commandirten militärischen Einrichtungen und Anordnungen — ist schon jetzt doch eigentlich nur noch eine hübsch aussehende Attrape zur Selbsttäuschung. Das „Auswärtige" ist schon jetzt großentheils zusammengeschrumpft zu einem Ressort theils für die Wahrnehmung dynastischer Familienbeziehungen, theils für die Befürwortung von Privatinteressen der Landesangehörigen im „deut¬ schen Auslande oder auch mittels der Reichsconsuln in nichtdeutschen Ländern; sein Schwerpunkt liegt in der Vertretung Sachsens im Bundesrathe und der Rath, den Bismarck selber dem leitenden Staate Preußen gab, den stolzen Namen eines Ministeriums des Auswärtigen mit dem bescheideneren, aber zu¬ treffenderen eines Ministeriums für die deutschen Angelegenheiten zu vertau¬ schen, wäre für die Staaten zweiten Ranges gewiß noch weit mehr am Platze. Auch das Finanzressort der einzelnen Bundesstaaten ist schon mehrfach durch das Reich beschränkt und beschnitten worden, und dürfte es aller Wahrschein¬ lichkeit nach noch mehr werden, wenn man erst daran geht, (was auf die Länge nicht ausbleiben kann) neben den indirecten auch directe Reichssteuern einzuführen. Dann wird auch das Kopfzerbrechen und das Experimentiren mit neuen Steuergesetzen, womit der zum Tode ermüdete sächsische Landtag noch in seinen letzten Stunden sich in eine gewisse künstliche Lebendigkeit zu- rückgalvanisirt sieht, mit einem Male ein Ende haben. Und wie gut es sein wird, wenn die Justiz in ihren wesentlichsten Attributen aufs Reich über- oder doch vom Reich und dessen Gesetzgebung ausgeht, dazu hat so eben erst wieder der sächsische Justizminister einen schlagenden Beleg geliefert, der hier als ein nachträglicher charakteristischer Zug zu dem im vorigen Art. gelieferten Bilde Abekens wenigstens erwähnt sein mag. Ich meine seine Antwort auf die Biedermann'sche Jnterpellation wegen des Reichsgerichts. Ungeschickter konnte doch in der That diese Antwort nicht ausfallen! Es giebt eine Kunst des Redens und doch Nichtssagens, die manche Minister verstehen; es giebt andre Minister, die vielleicht bisweilen gar zu gerade heraus Manches sagen, was sie nicht zu sagen brauchten; aber eine so nichtssagende, dabei jedoch zugleich so ungewandte, von sichtlichster Verlegenheit dictirte Rede, wie diese Abekensche Antwort, ist wohl selten gehört worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/318>, abgerufen am 24.08.2024.