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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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von der "Beachtung der auf einzelnen Gebieten wünsch ens-
cuerthen Freiheit der eigenthümlichen Rechtsbildung" Aufnahme
fand. Aber der Zweck ist erreicht. Herr von Mittnacht hat jetzt ein Votum
der imposanten Mehrheit von 68 gegen 22 Stimmen für den Laskerschen An¬
trag und den obersten Reichsgerichtshof, mit welchem er sich ebensosehr dem
Hof als dem bayerischen Collegen Fäustle gegenüber -- welcher wohl wieder
einmal Betrachtungen über württembergische Allianzen anstellen mag -- zu
decken im Stande ist. Er enthielt sich natürlich der Abstimmung und seine
Rede am 30. war nur eine Umschreibung der Stimmenthaltung, er wollte
geschoben sein und er wußte ja, daß die Kammer ihm denjenigen Druck nach
vorwärts geben werde, den er als Politiker gerade brauchte. Ein positives
Eintreten für die Majorität hätte seine Stellung gegenüber dem Hof verrückt.
Doch wie dem auch sein mag, läßt sich auch das Votum vom 30. Januar
nicht als ein Sieg der nationalen Partei, sondern nur als das Werk des
Herrn von Mittnacht selbst auffassen, so ist seine Bedeutung für die natio¬
nale Sache deßhalb um nichts geringer. Im Gegentheil, es beweist, daß selbst
die Regierung gern oder ungern der Fluth der nationalen Bewegung im
ganzen deutschen Reich gegenüber eine Position um die andere aufzugeben
gezwungen ist, und daß, so manche herbe Erfahrungen auch den Mitlebenden
innerhalb Landes noch vorbehalten sein mögen, Schwaben auch fernerhin die
Entwickelung der Dinge in Deutschland vielleicht noch zu verzögern, aber nicht
mehr zu hindern im Stande sein wird.

Als charakteristisch fügen wir zum Schlüsse noch bei, daß die Minorität
am 20. v. M. ausschließlich aus Ultramontanen und Volkspartei bestand.
Oesterlen aber, der Führer der Volkspartei, sprach dießmal offen aus, "daß er
und seine Partei den Kampf gegen die Einheitsbestrebungen nur in Gemein¬
schaft mit der Krone ausfechten könne. Gebe die Krone in diesem Fall nach,
so werde seine Partei bei den Etatsätzen für die Gesandtschaften sich auch dar¬
nach zu richten haben." In der That ein schönes Bekenntniß unserer schwä¬
bischen Republikaner! Herrn von Mittnacht war diese Offenheit seines alten
Freundes denn doch zu groß: er erwiderte "einen Handel dahin, in Berlin
so oder so zu stimmen, damit Oesterlen und seine Freunde die Mittel für die
Gesandtschaften verwilligten, könnte er nicht eingehen."

So erndtete die Volkspartei zum Schaden noch den Spott und zwar
durch denjenigen Minister, welchen sie bisher am meisten wegen seines parla¬
mentarischen Sinns gepriesen hatte.


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von der „Beachtung der auf einzelnen Gebieten wünsch ens-
cuerthen Freiheit der eigenthümlichen Rechtsbildung" Aufnahme
fand. Aber der Zweck ist erreicht. Herr von Mittnacht hat jetzt ein Votum
der imposanten Mehrheit von 68 gegen 22 Stimmen für den Laskerschen An¬
trag und den obersten Reichsgerichtshof, mit welchem er sich ebensosehr dem
Hof als dem bayerischen Collegen Fäustle gegenüber — welcher wohl wieder
einmal Betrachtungen über württembergische Allianzen anstellen mag — zu
decken im Stande ist. Er enthielt sich natürlich der Abstimmung und seine
Rede am 30. war nur eine Umschreibung der Stimmenthaltung, er wollte
geschoben sein und er wußte ja, daß die Kammer ihm denjenigen Druck nach
vorwärts geben werde, den er als Politiker gerade brauchte. Ein positives
Eintreten für die Majorität hätte seine Stellung gegenüber dem Hof verrückt.
Doch wie dem auch sein mag, läßt sich auch das Votum vom 30. Januar
nicht als ein Sieg der nationalen Partei, sondern nur als das Werk des
Herrn von Mittnacht selbst auffassen, so ist seine Bedeutung für die natio¬
nale Sache deßhalb um nichts geringer. Im Gegentheil, es beweist, daß selbst
die Regierung gern oder ungern der Fluth der nationalen Bewegung im
ganzen deutschen Reich gegenüber eine Position um die andere aufzugeben
gezwungen ist, und daß, so manche herbe Erfahrungen auch den Mitlebenden
innerhalb Landes noch vorbehalten sein mögen, Schwaben auch fernerhin die
Entwickelung der Dinge in Deutschland vielleicht noch zu verzögern, aber nicht
mehr zu hindern im Stande sein wird.

Als charakteristisch fügen wir zum Schlüsse noch bei, daß die Minorität
am 20. v. M. ausschließlich aus Ultramontanen und Volkspartei bestand.
Oesterlen aber, der Führer der Volkspartei, sprach dießmal offen aus, „daß er
und seine Partei den Kampf gegen die Einheitsbestrebungen nur in Gemein¬
schaft mit der Krone ausfechten könne. Gebe die Krone in diesem Fall nach,
so werde seine Partei bei den Etatsätzen für die Gesandtschaften sich auch dar¬
nach zu richten haben." In der That ein schönes Bekenntniß unserer schwä¬
bischen Republikaner! Herrn von Mittnacht war diese Offenheit seines alten
Freundes denn doch zu groß: er erwiderte „einen Handel dahin, in Berlin
so oder so zu stimmen, damit Oesterlen und seine Freunde die Mittel für die
Gesandtschaften verwilligten, könnte er nicht eingehen."

So erndtete die Volkspartei zum Schaden noch den Spott und zwar
durch denjenigen Minister, welchen sie bisher am meisten wegen seines parla¬
mentarischen Sinns gepriesen hatte.


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[0317] von der „Beachtung der auf einzelnen Gebieten wünsch ens- cuerthen Freiheit der eigenthümlichen Rechtsbildung" Aufnahme fand. Aber der Zweck ist erreicht. Herr von Mittnacht hat jetzt ein Votum der imposanten Mehrheit von 68 gegen 22 Stimmen für den Laskerschen An¬ trag und den obersten Reichsgerichtshof, mit welchem er sich ebensosehr dem Hof als dem bayerischen Collegen Fäustle gegenüber — welcher wohl wieder einmal Betrachtungen über württembergische Allianzen anstellen mag — zu decken im Stande ist. Er enthielt sich natürlich der Abstimmung und seine Rede am 30. war nur eine Umschreibung der Stimmenthaltung, er wollte geschoben sein und er wußte ja, daß die Kammer ihm denjenigen Druck nach vorwärts geben werde, den er als Politiker gerade brauchte. Ein positives Eintreten für die Majorität hätte seine Stellung gegenüber dem Hof verrückt. Doch wie dem auch sein mag, läßt sich auch das Votum vom 30. Januar nicht als ein Sieg der nationalen Partei, sondern nur als das Werk des Herrn von Mittnacht selbst auffassen, so ist seine Bedeutung für die natio¬ nale Sache deßhalb um nichts geringer. Im Gegentheil, es beweist, daß selbst die Regierung gern oder ungern der Fluth der nationalen Bewegung im ganzen deutschen Reich gegenüber eine Position um die andere aufzugeben gezwungen ist, und daß, so manche herbe Erfahrungen auch den Mitlebenden innerhalb Landes noch vorbehalten sein mögen, Schwaben auch fernerhin die Entwickelung der Dinge in Deutschland vielleicht noch zu verzögern, aber nicht mehr zu hindern im Stande sein wird. Als charakteristisch fügen wir zum Schlüsse noch bei, daß die Minorität am 20. v. M. ausschließlich aus Ultramontanen und Volkspartei bestand. Oesterlen aber, der Führer der Volkspartei, sprach dießmal offen aus, „daß er und seine Partei den Kampf gegen die Einheitsbestrebungen nur in Gemein¬ schaft mit der Krone ausfechten könne. Gebe die Krone in diesem Fall nach, so werde seine Partei bei den Etatsätzen für die Gesandtschaften sich auch dar¬ nach zu richten haben." In der That ein schönes Bekenntniß unserer schwä¬ bischen Republikaner! Herrn von Mittnacht war diese Offenheit seines alten Freundes denn doch zu groß: er erwiderte „einen Handel dahin, in Berlin so oder so zu stimmen, damit Oesterlen und seine Freunde die Mittel für die Gesandtschaften verwilligten, könnte er nicht eingehen." So erndtete die Volkspartei zum Schaden noch den Spott und zwar durch denjenigen Minister, welchen sie bisher am meisten wegen seines parla¬ mentarischen Sinns gepriesen hatte. «.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/317>, abgerufen am 24.08.2024.