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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Trug er nun vielleicht plötzlich (f. unsern letzten Artikel) Bedenken, in einer
so wichtigen Frage die ganze Verantwortung auf sich zu nehmen, Preußen
und dem Reich gegenüber für die Andern den Sündenbock zu spielen? sah er
sich vielleicht nach einer Stütze für die fernere Opposition gegen die Reichs-
politik um und fand, daß er nur morsches Holz hinter sich hatte? Genug,
Herr von Mittnacht benutzte die Oesterlen'sche Jnterpellation, um den Rückzug
aus seiner bisherigen Position nicht ohne Gewandtheit auszuführen. Seine
Rede vom 26. Januar war zwar höchst unentschieden und konnte den natio¬
nalen Politiker nicht befriedigen. Es waren der "wenn" und "aber" zu viele,
und der mit so großem Nachdruck hervorgehobene Standpunkt der Unbefangen¬
heit und Objectivität, welchen der Minister den beiden brennenden Fragen
gegenüber einzunehmen behauptete, erschien wunderbar im Munde eines
Mannes, der nicht als Richter zwischen den streitenden Parteien zu stehen,
fondern als activer Staatsmann für die eine oder die andere Ansicht sich auszu¬
sprechen gezwungen, auch der Tragweite eines etwaigen Veto's sich nur zu
gut bewußt ist. Aber diese Objectivität. mit welcher er zugleich für und
wider sich aussprach, war nur Maske. Es mag in der That schwierig sein,
gleichzeitig sich der Krone und dem Hof gegenüber als den brauchbarsten Vor¬
kämpfer für die Bewahrung der Sonderrechte darzustellen, und daneben in
Anerkennung des politischen Entwicklungsganges den unausweichlichen For¬
derungen der Nation gerecht zu werden! Diesen Widerspruch sollte nun dem
Minister die Ständekammer überwinden, hinter welcher man wiederum, dießmal
nicht dem Reich, sondern der Krone gegenüber, Verstecken spielte.

Während Herr von Mittnacht noch am 24. Januar jede positive Er¬
klärung für oder gegen den Laskerschen Antrag und den obersten Reichsge¬
richtshof ablehnte, erhielten die vom Ministerium unbedingt dependirenden
Mitglieder der Ständekammer die Weisung, mit der nationalen Partei für
den Hölder'schen Antrag zu Gunsten jener Forderungen einzutreten. Da die
nationale Partei und das sog. eiserne Inventar der Regierung je über ein
starkes Drittheil sämmtlicher Stimmen verfügt, die Volkspartei und die Ultra¬
montanen aber nur über den Rest von ca. 24 Stimmen, so hätte es, wenn
Herr von Mittnacht auch fernerhin seinen Standpunkt vom Dezember 1872
festhalten wollte, nur eines Winkes bedurft, um die Ablehnung des Hölder'¬
schen Antrags mit einer Majorität von etwa 60 Stimmen gegen 70 herbei
zu führen. Statt dessen bot man die Regierungsstimmen bis auf den letzten
Mann für Hölders Antrag auf. Zwar erhielt -- wir sagen nicht: in Folge
dieses Hinzutritts -- der Antrag eine sehr unentschiedene und wässerige Hal¬
tung, indem darin einerseits die Befriedigung über die mit Hinterthüren aller
Art versehene Erklärung des Herrn von Mittnacht vom 24. ausgesprochen
wurde, andererseits die nichts sagende, ihren Urhebern selbst unklare Phrase


Trug er nun vielleicht plötzlich (f. unsern letzten Artikel) Bedenken, in einer
so wichtigen Frage die ganze Verantwortung auf sich zu nehmen, Preußen
und dem Reich gegenüber für die Andern den Sündenbock zu spielen? sah er
sich vielleicht nach einer Stütze für die fernere Opposition gegen die Reichs-
politik um und fand, daß er nur morsches Holz hinter sich hatte? Genug,
Herr von Mittnacht benutzte die Oesterlen'sche Jnterpellation, um den Rückzug
aus seiner bisherigen Position nicht ohne Gewandtheit auszuführen. Seine
Rede vom 26. Januar war zwar höchst unentschieden und konnte den natio¬
nalen Politiker nicht befriedigen. Es waren der „wenn" und „aber" zu viele,
und der mit so großem Nachdruck hervorgehobene Standpunkt der Unbefangen¬
heit und Objectivität, welchen der Minister den beiden brennenden Fragen
gegenüber einzunehmen behauptete, erschien wunderbar im Munde eines
Mannes, der nicht als Richter zwischen den streitenden Parteien zu stehen,
fondern als activer Staatsmann für die eine oder die andere Ansicht sich auszu¬
sprechen gezwungen, auch der Tragweite eines etwaigen Veto's sich nur zu
gut bewußt ist. Aber diese Objectivität. mit welcher er zugleich für und
wider sich aussprach, war nur Maske. Es mag in der That schwierig sein,
gleichzeitig sich der Krone und dem Hof gegenüber als den brauchbarsten Vor¬
kämpfer für die Bewahrung der Sonderrechte darzustellen, und daneben in
Anerkennung des politischen Entwicklungsganges den unausweichlichen For¬
derungen der Nation gerecht zu werden! Diesen Widerspruch sollte nun dem
Minister die Ständekammer überwinden, hinter welcher man wiederum, dießmal
nicht dem Reich, sondern der Krone gegenüber, Verstecken spielte.

Während Herr von Mittnacht noch am 24. Januar jede positive Er¬
klärung für oder gegen den Laskerschen Antrag und den obersten Reichsge¬
richtshof ablehnte, erhielten die vom Ministerium unbedingt dependirenden
Mitglieder der Ständekammer die Weisung, mit der nationalen Partei für
den Hölder'schen Antrag zu Gunsten jener Forderungen einzutreten. Da die
nationale Partei und das sog. eiserne Inventar der Regierung je über ein
starkes Drittheil sämmtlicher Stimmen verfügt, die Volkspartei und die Ultra¬
montanen aber nur über den Rest von ca. 24 Stimmen, so hätte es, wenn
Herr von Mittnacht auch fernerhin seinen Standpunkt vom Dezember 1872
festhalten wollte, nur eines Winkes bedurft, um die Ablehnung des Hölder'¬
schen Antrags mit einer Majorität von etwa 60 Stimmen gegen 70 herbei
zu führen. Statt dessen bot man die Regierungsstimmen bis auf den letzten
Mann für Hölders Antrag auf. Zwar erhielt — wir sagen nicht: in Folge
dieses Hinzutritts — der Antrag eine sehr unentschiedene und wässerige Hal¬
tung, indem darin einerseits die Befriedigung über die mit Hinterthüren aller
Art versehene Erklärung des Herrn von Mittnacht vom 24. ausgesprochen
wurde, andererseits die nichts sagende, ihren Urhebern selbst unklare Phrase


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/316>, abgerufen am 24.08.2024.