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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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zusammen, der wie ein Pistolenschuß in dem gewölbten Raume widerhallt.
Eine Flasche in unserer Nähe ist zersprungen, sie hat ihren schweren Boden
fortgeschleudert, und derselbe, so sauber abgelöst, als ob er mit einem Dia¬
mant abgeschnitten worden, ist einer Nachbarflasche durch den Bauch gefahren
und hat der nächsten den Hals abgerissen. Der Wein tröpfelt herunter und
läuft schließlich über die geneigte Flur des Kellers nach dem Schleußengitter,
welches sich in dessen Mitte befindet.

Im Ganzen besitzt diese Firma zweiunddreißig Keller, von denen selbst
der kleinste ein mächtiger Raum ist, und an acht neuen wird gebaut. Ben-
tilations-Röhren gehen von einem Boden zum andern, so daß die Temperatur
sich ganz genau reguliren läßt. Indem wir die Keller verlassen, gehen wir
durch den Raum, wo gepackt wird. An dem einen Ende desselben erhalten
die Flaschen ihre Verzierung mit Etiketten und Stagnol. an dem andern werden
sie in Körbe und Kisten gepackt, von denen einige, die bei unserer Anwesenheit
zugeschlagen wurden und nach China bestimmt waren, nicht weniger als zehn
Dutzend enthielten.

Die Firma Most und Chandon hat in Epernay ein Schloß inne, wel¬
ches vorn ein hübsches Eisengitter und hinter sich einen großen wohlgepflegten
Garten hat. Der Eingang zu den Kellern ist weniger imposant, als man
erwartet, wenn man weiß, daß er die Mündung von mehr als zehn englischen
Meilen unterirdischer Gewölbe ist, in welchem doppelt so viel Wein lagert,
als genügt hätte, um die ganze deutsche Armee betrunken zu machen, welche
sich im letzten Kriege in Frankreich befand. Unser Führer öffnete eine Thür,
die zu einem Keller führen könnte, in welchem ein Privatmann seine hundert
Flaschen oder sein halbes Dutzend Fässer Wein verwahrt. Sobald das Tages¬
licht eindrang, wurde unsere Aufmerksamkeit durch eine schwarze Marmortafel
gefesselt, welche in goldnen Buchstaben erzählt, daß "am 26. Juli 1807 Na¬
poleon der Große, Kaiser der Franzosen, König von Italien und Protector
des Rheinbundes den Handel geehrt, indem er die Keller von Jean Reni Moet,
Maire von Epernay, Präsident des Cantons und Mitglied des Generalrathes
des Departements, besucht habe."

"Der Kaiser", so bemerkte unser Führer, "schlief bei dieser Gelegenheit
in dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes, und 1814
wohnten alle die gekrönten Häupter, welche Frankreich mit Krieg überzogen,
im Schlosse. Der jetzige König von Preußen wußte das, und während des
letzten Krieges hatten wir Seine Majestät selbst, den Kronprinzen und den
Fürsten Bismarck, außerdem 9000 Mann, 7000 Pferde und über zweihundert
Weiber, Kinder und Dienstboten unterzubringen, und bis vor Kurzem hatten
die Preußen eines unserer öffentlichen Gebäude im Besitz, aus dem sie ein
Hospital für kranke Soldaten gemacht hatten."


zusammen, der wie ein Pistolenschuß in dem gewölbten Raume widerhallt.
Eine Flasche in unserer Nähe ist zersprungen, sie hat ihren schweren Boden
fortgeschleudert, und derselbe, so sauber abgelöst, als ob er mit einem Dia¬
mant abgeschnitten worden, ist einer Nachbarflasche durch den Bauch gefahren
und hat der nächsten den Hals abgerissen. Der Wein tröpfelt herunter und
läuft schließlich über die geneigte Flur des Kellers nach dem Schleußengitter,
welches sich in dessen Mitte befindet.

Im Ganzen besitzt diese Firma zweiunddreißig Keller, von denen selbst
der kleinste ein mächtiger Raum ist, und an acht neuen wird gebaut. Ben-
tilations-Röhren gehen von einem Boden zum andern, so daß die Temperatur
sich ganz genau reguliren läßt. Indem wir die Keller verlassen, gehen wir
durch den Raum, wo gepackt wird. An dem einen Ende desselben erhalten
die Flaschen ihre Verzierung mit Etiketten und Stagnol. an dem andern werden
sie in Körbe und Kisten gepackt, von denen einige, die bei unserer Anwesenheit
zugeschlagen wurden und nach China bestimmt waren, nicht weniger als zehn
Dutzend enthielten.

Die Firma Most und Chandon hat in Epernay ein Schloß inne, wel¬
ches vorn ein hübsches Eisengitter und hinter sich einen großen wohlgepflegten
Garten hat. Der Eingang zu den Kellern ist weniger imposant, als man
erwartet, wenn man weiß, daß er die Mündung von mehr als zehn englischen
Meilen unterirdischer Gewölbe ist, in welchem doppelt so viel Wein lagert,
als genügt hätte, um die ganze deutsche Armee betrunken zu machen, welche
sich im letzten Kriege in Frankreich befand. Unser Führer öffnete eine Thür,
die zu einem Keller führen könnte, in welchem ein Privatmann seine hundert
Flaschen oder sein halbes Dutzend Fässer Wein verwahrt. Sobald das Tages¬
licht eindrang, wurde unsere Aufmerksamkeit durch eine schwarze Marmortafel
gefesselt, welche in goldnen Buchstaben erzählt, daß „am 26. Juli 1807 Na¬
poleon der Große, Kaiser der Franzosen, König von Italien und Protector
des Rheinbundes den Handel geehrt, indem er die Keller von Jean Reni Moet,
Maire von Epernay, Präsident des Cantons und Mitglied des Generalrathes
des Departements, besucht habe."

„Der Kaiser", so bemerkte unser Führer, „schlief bei dieser Gelegenheit
in dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes, und 1814
wohnten alle die gekrönten Häupter, welche Frankreich mit Krieg überzogen,
im Schlosse. Der jetzige König von Preußen wußte das, und während des
letzten Krieges hatten wir Seine Majestät selbst, den Kronprinzen und den
Fürsten Bismarck, außerdem 9000 Mann, 7000 Pferde und über zweihundert
Weiber, Kinder und Dienstboten unterzubringen, und bis vor Kurzem hatten
die Preußen eines unserer öffentlichen Gebäude im Besitz, aus dem sie ein
Hospital für kranke Soldaten gemacht hatten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/307>, abgerufen am 24.08.2024.