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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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hat. was man die "äose" nennt. Diese besteht in der Verwandlung des
,,vin brüt" in Champagner, einer wichtigen und einigermaßen geheimnißvollen
Operation, die mittelst eines mechanischen Apparats, oft aber auch blos mit
der Schnauze einer Blechkanne oder einer gewöhnlichen Küchenkelle vollzogen
wird. In allen Fabriken ohne Ausnahme, die wir besuchten, versicherte man
uns, daß die Flüssigkeit, in welcher die "äose" besteht, nur eine Mischung
aus dem besten alten Wein der Champagnergegend und reinstem Zuckerkand
sei. Aber das Gerücht will wissen, daß mindestens noch Cognac zu den In¬
gredienzen gehöre, und daß aller Wahrscheinlichkeit nach von den weniger
gewissenhaften Fabrikanten noch andere, und zwar weniger nahe liegende,
Flüssigkeiten beigegossen werden, um dem Weine Wohlgeschmack und Blume
zu verleihen. Eins ist völlig sicher: gerade so, wie nach Sam Wetters Meinung
in den ,. Pickwickiern" die Gewürze es sind, welche die Pastete, den Kalbs-,
Hammel- oder Rinderbraten machen, macht auch die "äose" den Sekt herb
oder süß, leicht oder schwer. Ein wirklich schmackhafter herber Champagner
kann lediglich aus dem feinsten rohen Weine bereitet werden, welcher reichlich
die Kohlensäure absorbirt, die im Verlauf seiner Bereitung entsteht, und an
dem beträchtliche Zeit nach Entkorkung der Flasche noch fortdauernden Em¬
porsteigen glänzender Bläschen erkannt wird. nothwendigerweise läßt ein
derartiger Wein nur einen Zusatz weniger Procente von Liqueur zu, wogegen
die süßen Champagner 30 bis 40 Procent weißen Syrup enthalten, der aller¬
dings dazu beiträgt, sie recht laut knallen und für einen Augenblick stark
schäumen zu lassen, aber ihren ursprünglichen Charakter und Geschmack voll¬
ständig verhüllt.

Der Mann, welcher die "äose" applicirt hat, giebt seinerseits die Flasche
einem andern Arbeiter, der sie bis zu zwei Zoll vom Kork mit reinem Weine
ausfüllt und sie dann dem Stöpseler einbändige. Dieser stellt die Höhlung
der Flasche auf eine genau hineinpassende runde Erhöhung auf dem untern
Theile der Maschine, vor der er sitzt. Er steckt dann einen Kork, der für den
Mund der Flasche viel zu groß ist, in einen Klemmer, der am obern Theil
seiner Maschine angebracht ist und den Kork faßt und zusammenpreßt bis zu
dem Augenblick, wo derselbe mit Hülfe eines großen Holzhammers oder eines
schweren Gewichts eingetrieben wird, welches, an einem Flaschenzug aufge¬
fangen, herunterfällt, sobald der Arbeiter eine Schnur losläßt. Ein andrer
Arbeiter nimmt die Flasche in Empfang, nachdem der Stöpseler sie geschüttelt,
befestigt den Kork, indem er ihn zugleich oben abrundet, mit einem Bind¬
faden , schüttelt die Flasche abermals und gibt sie dann an den Mann weiter,
welcher den Kork mit Eisendraht zu umwinden hat, was mit derselben Rasch¬
heit geschieht, wie das Befestigen mit Bindfaden. Dann wird die Flasche
nochmals geschüttelt und daraus hingestellt. Empfängt sie diese Durchschritte-


hat. was man die „äose" nennt. Diese besteht in der Verwandlung des
,,vin brüt" in Champagner, einer wichtigen und einigermaßen geheimnißvollen
Operation, die mittelst eines mechanischen Apparats, oft aber auch blos mit
der Schnauze einer Blechkanne oder einer gewöhnlichen Küchenkelle vollzogen
wird. In allen Fabriken ohne Ausnahme, die wir besuchten, versicherte man
uns, daß die Flüssigkeit, in welcher die „äose" besteht, nur eine Mischung
aus dem besten alten Wein der Champagnergegend und reinstem Zuckerkand
sei. Aber das Gerücht will wissen, daß mindestens noch Cognac zu den In¬
gredienzen gehöre, und daß aller Wahrscheinlichkeit nach von den weniger
gewissenhaften Fabrikanten noch andere, und zwar weniger nahe liegende,
Flüssigkeiten beigegossen werden, um dem Weine Wohlgeschmack und Blume
zu verleihen. Eins ist völlig sicher: gerade so, wie nach Sam Wetters Meinung
in den ,. Pickwickiern" die Gewürze es sind, welche die Pastete, den Kalbs-,
Hammel- oder Rinderbraten machen, macht auch die „äose" den Sekt herb
oder süß, leicht oder schwer. Ein wirklich schmackhafter herber Champagner
kann lediglich aus dem feinsten rohen Weine bereitet werden, welcher reichlich
die Kohlensäure absorbirt, die im Verlauf seiner Bereitung entsteht, und an
dem beträchtliche Zeit nach Entkorkung der Flasche noch fortdauernden Em¬
porsteigen glänzender Bläschen erkannt wird. nothwendigerweise läßt ein
derartiger Wein nur einen Zusatz weniger Procente von Liqueur zu, wogegen
die süßen Champagner 30 bis 40 Procent weißen Syrup enthalten, der aller¬
dings dazu beiträgt, sie recht laut knallen und für einen Augenblick stark
schäumen zu lassen, aber ihren ursprünglichen Charakter und Geschmack voll¬
ständig verhüllt.

Der Mann, welcher die „äose" applicirt hat, giebt seinerseits die Flasche
einem andern Arbeiter, der sie bis zu zwei Zoll vom Kork mit reinem Weine
ausfüllt und sie dann dem Stöpseler einbändige. Dieser stellt die Höhlung
der Flasche auf eine genau hineinpassende runde Erhöhung auf dem untern
Theile der Maschine, vor der er sitzt. Er steckt dann einen Kork, der für den
Mund der Flasche viel zu groß ist, in einen Klemmer, der am obern Theil
seiner Maschine angebracht ist und den Kork faßt und zusammenpreßt bis zu
dem Augenblick, wo derselbe mit Hülfe eines großen Holzhammers oder eines
schweren Gewichts eingetrieben wird, welches, an einem Flaschenzug aufge¬
fangen, herunterfällt, sobald der Arbeiter eine Schnur losläßt. Ein andrer
Arbeiter nimmt die Flasche in Empfang, nachdem der Stöpseler sie geschüttelt,
befestigt den Kork, indem er ihn zugleich oben abrundet, mit einem Bind¬
faden , schüttelt die Flasche abermals und gibt sie dann an den Mann weiter,
welcher den Kork mit Eisendraht zu umwinden hat, was mit derselben Rasch¬
heit geschieht, wie das Befestigen mit Bindfaden. Dann wird die Flasche
nochmals geschüttelt und daraus hingestellt. Empfängt sie diese Durchschritte-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/304>, abgerufen am 24.08.2024.