Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Graden herrscht. Man giebt ihnen hier eine horizontale Lage, nachdem man
ihre oben zu liegen kommenden Seiten mit Kreide bestrichen hat. Sie werden
in aufeinanderfolgenden Schichten, die zwei bis sechs Flaschen tief sind und
schmale eichne Bretter zwischen sich haben, auseinandergelegt. Diese Schichten
haben eine verschiedene Länge, oft von hundert und mehr Flaschen, aber ihre
Höhe übersteigt selten sechs bis sieben Fuß. Während der Wein auf diese
Weise ruht, nimmt die Gährung ihren Fortgang und erreicht ihre größte
Stärke gewöhnlich nach etwa zwei Wochen, wo dann der Fabrikant einige
Tage voll Angst durchzumachen hat, indem jetzt zu fürchten ist, daß die im
Weine sich entwickelnde Kohlensäure ihm mehr als die gewöhnliche Anzahl
von Flaschen zersprengt, ein Mißgeschick, gegen das man sich nur dadurch
schützt, daß man Flaschen verwendet, welche auch dem stärksten Drucke Wider¬
stand leisten. Zu diesem Zweck giebt man den Champagnerflaschen die größte
Glasstärke, wie schon deren Gewicht zeigt, welches fast zwei Pfund beträgt.
Man bedient sich stets neuer Flaschen, da die alten durch die Auseinander-
treibung ihrer Glaspartikelchen, welche sie durch die dehnende Kraft, die auf
sie wirkte, erfahren haben, geschwächt worden sind. Damit eine Flasche un¬
gewöhnliche Widerstandskraft habe, müssen ihre Seiten überall gleiche Dicke
und die Boden gleichförmige Solidität besitzen, so daß von plötzlichen Tempera¬
turwechseln keine besondere Ausdehnung bewirkt werden kann. Der Hals
muß überdieß vollkommen rund sein und sich nach dem Bauch hin allmählig
erweitern. Endlich muß, und dieß ist von höchster Wichtigkeit, das Innere
völlig glatt sein, da ein rauhes Innere das Gas zu Fluchtversuchen veranlaßt
und so die Gefahr des ZerPlatzens der Flasche nahe rückt.

Um die Flaschen zu Probiren, schlägt man sie hart zusammen. Auch
wendet man zu diesem Zweck besondere Maschinen an, die ihr Inneres hydrau¬
lischen Druck aussetzen, wodurch man herausgefunden hat, daß, während viele
Flaschen den außerordentlichen Druck von dreißig Atmosphären aushalten, der
einem Gewicht von mehr als 450 Pfund auf den Quadratzoll gleichkommt (sechs
Atmosphären ist das Höchste, was sie gewöhnlich zu ertragen haben) sie bei
einem viel geringeren, aber dauernden Druck zersprengt werden. Trotz aller
Lehren der Wissenschaft ist das Platzen von Champagnerflaschen augenschein¬
lich noch nicht auf ein Minimum herabgemindert worden. Bei Most und
Chandon beträgt es nur selten mehr als ein Dritthalb, bei Clicquot aber
durchschnittlich vier bis fünf Procent. In Jahren, wo der Wein ausnahms¬
weise stark ist, sind in den Kellern der letztgenannten Firma fünfzehn Procent
der Flaschen zersprungen, und man erzählte uns von einem Fabrikanten, der
aus einem Vorrath von 200,000 Flaschen nur 80,000 übrig behielt.

Die Flaschen verbleiben in ihrer horizontalen Lage für die Dauer von zwei
Jahren, während welcher die Temperatur der Keller sorgfältig im Gleichmaß


Graden herrscht. Man giebt ihnen hier eine horizontale Lage, nachdem man
ihre oben zu liegen kommenden Seiten mit Kreide bestrichen hat. Sie werden
in aufeinanderfolgenden Schichten, die zwei bis sechs Flaschen tief sind und
schmale eichne Bretter zwischen sich haben, auseinandergelegt. Diese Schichten
haben eine verschiedene Länge, oft von hundert und mehr Flaschen, aber ihre
Höhe übersteigt selten sechs bis sieben Fuß. Während der Wein auf diese
Weise ruht, nimmt die Gährung ihren Fortgang und erreicht ihre größte
Stärke gewöhnlich nach etwa zwei Wochen, wo dann der Fabrikant einige
Tage voll Angst durchzumachen hat, indem jetzt zu fürchten ist, daß die im
Weine sich entwickelnde Kohlensäure ihm mehr als die gewöhnliche Anzahl
von Flaschen zersprengt, ein Mißgeschick, gegen das man sich nur dadurch
schützt, daß man Flaschen verwendet, welche auch dem stärksten Drucke Wider¬
stand leisten. Zu diesem Zweck giebt man den Champagnerflaschen die größte
Glasstärke, wie schon deren Gewicht zeigt, welches fast zwei Pfund beträgt.
Man bedient sich stets neuer Flaschen, da die alten durch die Auseinander-
treibung ihrer Glaspartikelchen, welche sie durch die dehnende Kraft, die auf
sie wirkte, erfahren haben, geschwächt worden sind. Damit eine Flasche un¬
gewöhnliche Widerstandskraft habe, müssen ihre Seiten überall gleiche Dicke
und die Boden gleichförmige Solidität besitzen, so daß von plötzlichen Tempera¬
turwechseln keine besondere Ausdehnung bewirkt werden kann. Der Hals
muß überdieß vollkommen rund sein und sich nach dem Bauch hin allmählig
erweitern. Endlich muß, und dieß ist von höchster Wichtigkeit, das Innere
völlig glatt sein, da ein rauhes Innere das Gas zu Fluchtversuchen veranlaßt
und so die Gefahr des ZerPlatzens der Flasche nahe rückt.

Um die Flaschen zu Probiren, schlägt man sie hart zusammen. Auch
wendet man zu diesem Zweck besondere Maschinen an, die ihr Inneres hydrau¬
lischen Druck aussetzen, wodurch man herausgefunden hat, daß, während viele
Flaschen den außerordentlichen Druck von dreißig Atmosphären aushalten, der
einem Gewicht von mehr als 450 Pfund auf den Quadratzoll gleichkommt (sechs
Atmosphären ist das Höchste, was sie gewöhnlich zu ertragen haben) sie bei
einem viel geringeren, aber dauernden Druck zersprengt werden. Trotz aller
Lehren der Wissenschaft ist das Platzen von Champagnerflaschen augenschein¬
lich noch nicht auf ein Minimum herabgemindert worden. Bei Most und
Chandon beträgt es nur selten mehr als ein Dritthalb, bei Clicquot aber
durchschnittlich vier bis fünf Procent. In Jahren, wo der Wein ausnahms¬
weise stark ist, sind in den Kellern der letztgenannten Firma fünfzehn Procent
der Flaschen zersprungen, und man erzählte uns von einem Fabrikanten, der
aus einem Vorrath von 200,000 Flaschen nur 80,000 übrig behielt.

Die Flaschen verbleiben in ihrer horizontalen Lage für die Dauer von zwei
Jahren, während welcher die Temperatur der Keller sorgfältig im Gleichmaß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129294"/>
            <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> Graden herrscht. Man giebt ihnen hier eine horizontale Lage, nachdem man<lb/>
ihre oben zu liegen kommenden Seiten mit Kreide bestrichen hat. Sie werden<lb/>
in aufeinanderfolgenden Schichten, die zwei bis sechs Flaschen tief sind und<lb/>
schmale eichne Bretter zwischen sich haben, auseinandergelegt. Diese Schichten<lb/>
haben eine verschiedene Länge, oft von hundert und mehr Flaschen, aber ihre<lb/>
Höhe übersteigt selten sechs bis sieben Fuß. Während der Wein auf diese<lb/>
Weise ruht, nimmt die Gährung ihren Fortgang und erreicht ihre größte<lb/>
Stärke gewöhnlich nach etwa zwei Wochen, wo dann der Fabrikant einige<lb/>
Tage voll Angst durchzumachen hat, indem jetzt zu fürchten ist, daß die im<lb/>
Weine sich entwickelnde Kohlensäure ihm mehr als die gewöhnliche Anzahl<lb/>
von Flaschen zersprengt, ein Mißgeschick, gegen das man sich nur dadurch<lb/>
schützt, daß man Flaschen verwendet, welche auch dem stärksten Drucke Wider¬<lb/>
stand leisten. Zu diesem Zweck giebt man den Champagnerflaschen die größte<lb/>
Glasstärke, wie schon deren Gewicht zeigt, welches fast zwei Pfund beträgt.<lb/>
Man bedient sich stets neuer Flaschen, da die alten durch die Auseinander-<lb/>
treibung ihrer Glaspartikelchen, welche sie durch die dehnende Kraft, die auf<lb/>
sie wirkte, erfahren haben, geschwächt worden sind. Damit eine Flasche un¬<lb/>
gewöhnliche Widerstandskraft habe, müssen ihre Seiten überall gleiche Dicke<lb/>
und die Boden gleichförmige Solidität besitzen, so daß von plötzlichen Tempera¬<lb/>
turwechseln keine besondere Ausdehnung bewirkt werden kann. Der Hals<lb/>
muß überdieß vollkommen rund sein und sich nach dem Bauch hin allmählig<lb/>
erweitern. Endlich muß, und dieß ist von höchster Wichtigkeit, das Innere<lb/>
völlig glatt sein, da ein rauhes Innere das Gas zu Fluchtversuchen veranlaßt<lb/>
und so die Gefahr des ZerPlatzens der Flasche nahe rückt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_953"> Um die Flaschen zu Probiren, schlägt man sie hart zusammen. Auch<lb/>
wendet man zu diesem Zweck besondere Maschinen an, die ihr Inneres hydrau¬<lb/>
lischen Druck aussetzen, wodurch man herausgefunden hat, daß, während viele<lb/>
Flaschen den außerordentlichen Druck von dreißig Atmosphären aushalten, der<lb/>
einem Gewicht von mehr als 450 Pfund auf den Quadratzoll gleichkommt (sechs<lb/>
Atmosphären ist das Höchste, was sie gewöhnlich zu ertragen haben) sie bei<lb/>
einem viel geringeren, aber dauernden Druck zersprengt werden. Trotz aller<lb/>
Lehren der Wissenschaft ist das Platzen von Champagnerflaschen augenschein¬<lb/>
lich noch nicht auf ein Minimum herabgemindert worden. Bei Most und<lb/>
Chandon beträgt es nur selten mehr als ein Dritthalb, bei Clicquot aber<lb/>
durchschnittlich vier bis fünf Procent. In Jahren, wo der Wein ausnahms¬<lb/>
weise stark ist, sind in den Kellern der letztgenannten Firma fünfzehn Procent<lb/>
der Flaschen zersprungen, und man erzählte uns von einem Fabrikanten, der<lb/>
aus einem Vorrath von 200,000 Flaschen nur 80,000 übrig behielt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Die Flaschen verbleiben in ihrer horizontalen Lage für die Dauer von zwei<lb/>
Jahren, während welcher die Temperatur der Keller sorgfältig im Gleichmaß</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Graden herrscht. Man giebt ihnen hier eine horizontale Lage, nachdem man ihre oben zu liegen kommenden Seiten mit Kreide bestrichen hat. Sie werden in aufeinanderfolgenden Schichten, die zwei bis sechs Flaschen tief sind und schmale eichne Bretter zwischen sich haben, auseinandergelegt. Diese Schichten haben eine verschiedene Länge, oft von hundert und mehr Flaschen, aber ihre Höhe übersteigt selten sechs bis sieben Fuß. Während der Wein auf diese Weise ruht, nimmt die Gährung ihren Fortgang und erreicht ihre größte Stärke gewöhnlich nach etwa zwei Wochen, wo dann der Fabrikant einige Tage voll Angst durchzumachen hat, indem jetzt zu fürchten ist, daß die im Weine sich entwickelnde Kohlensäure ihm mehr als die gewöhnliche Anzahl von Flaschen zersprengt, ein Mißgeschick, gegen das man sich nur dadurch schützt, daß man Flaschen verwendet, welche auch dem stärksten Drucke Wider¬ stand leisten. Zu diesem Zweck giebt man den Champagnerflaschen die größte Glasstärke, wie schon deren Gewicht zeigt, welches fast zwei Pfund beträgt. Man bedient sich stets neuer Flaschen, da die alten durch die Auseinander- treibung ihrer Glaspartikelchen, welche sie durch die dehnende Kraft, die auf sie wirkte, erfahren haben, geschwächt worden sind. Damit eine Flasche un¬ gewöhnliche Widerstandskraft habe, müssen ihre Seiten überall gleiche Dicke und die Boden gleichförmige Solidität besitzen, so daß von plötzlichen Tempera¬ turwechseln keine besondere Ausdehnung bewirkt werden kann. Der Hals muß überdieß vollkommen rund sein und sich nach dem Bauch hin allmählig erweitern. Endlich muß, und dieß ist von höchster Wichtigkeit, das Innere völlig glatt sein, da ein rauhes Innere das Gas zu Fluchtversuchen veranlaßt und so die Gefahr des ZerPlatzens der Flasche nahe rückt. Um die Flaschen zu Probiren, schlägt man sie hart zusammen. Auch wendet man zu diesem Zweck besondere Maschinen an, die ihr Inneres hydrau¬ lischen Druck aussetzen, wodurch man herausgefunden hat, daß, während viele Flaschen den außerordentlichen Druck von dreißig Atmosphären aushalten, der einem Gewicht von mehr als 450 Pfund auf den Quadratzoll gleichkommt (sechs Atmosphären ist das Höchste, was sie gewöhnlich zu ertragen haben) sie bei einem viel geringeren, aber dauernden Druck zersprengt werden. Trotz aller Lehren der Wissenschaft ist das Platzen von Champagnerflaschen augenschein¬ lich noch nicht auf ein Minimum herabgemindert worden. Bei Most und Chandon beträgt es nur selten mehr als ein Dritthalb, bei Clicquot aber durchschnittlich vier bis fünf Procent. In Jahren, wo der Wein ausnahms¬ weise stark ist, sind in den Kellern der letztgenannten Firma fünfzehn Procent der Flaschen zersprungen, und man erzählte uns von einem Fabrikanten, der aus einem Vorrath von 200,000 Flaschen nur 80,000 übrig behielt. Die Flaschen verbleiben in ihrer horizontalen Lage für die Dauer von zwei Jahren, während welcher die Temperatur der Keller sorgfältig im Gleichmaß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/302>, abgerufen am 24.08.2024.