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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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sie ihm gut dünkten. Auch die Cöthensche Niterschaft könne er aufheben, in¬
dem solche (die Ritter) als particuläre Stände für Cöthen zu betrachten und
an ihrer Stelle konstitutionelle Stände einzuführen seien.*) Zum nähern Ver¬
ständniß dieses Gutachtens ist darauf hinzuweisen, daß das Herzogthum An¬
halt-Cöthen als Theil des Gesammtherzogthums Anhalt in die anhaltifche
Gesammt-Ständeverfassung inbegriffen war, sowenig dieses Institut
damals auch wirkliches Leben, ja auch nur äußere Gestalt besaß. Denn seit
dem im Jahre 1698 zu Bernburg abgehaltenen Landtage hatte trotz des da¬
mals gefaßten Beschlusses, "daß bei erheischenden Conjuncturen und erheblichen
Landesangelegenheiten nach verflossenen 12 Jahren ein anderer Landtag aus¬
geschrieben werden solle", trotz mehrfacher Beschwerde der Stände, sogar trotz
einer im Jahre 1726 bei dem Reichshofrath eingereichten ständischen Klage,
ein Landtag nicht stattgefunden.

In Folge dieses Gutachtens setzte der Herzog ein Commission ein, um
das französische Recht den Bedürfnissen des Landes anzupassen.**) Die Com¬
mission, deren Sitzungen der Herzog selbst beiwohnte, hielt zwar die Ein¬
führung des eoäe civil mit gewissen Modifikationen für thunlich, nicht aber
die der übrigen Gesetzbücher Napoleons***). Ihr Rath wurde jedoch durch
andere Einflüsse zurückgedrängt.

Unter dem 28. December 1870 brachte die erste Nummer des Cöthenschen
Wochenblatts Jahrgangs 1811 ein Landesherrliches Edict, welches die Grund¬
züge der neuen Verfassung enthielt. Der Eingang dieses auf specielle An¬
weisung des Herzogs von dem Hofrath Berghauer allein entworfenen-j-)
Edicts lautet:

"Wir Aug. Christ. Friedr. von Gottes Gnaden souveräner Herzog zu Anhalt ze.
In Erwägung, daß die bisherige Verfassung und Civilgesetzgebung Unseres Landes nach
Auflösung der deutschen Reichsconstitution in mehreren Punkten durchaus nicht mehr
passend ist, und beseelt von dem Wunsche, das Glück Unserer Unterthanen nach Kräften
zu befördern, glauben denselben keine heilbringendere Constitution geben zu können, als
diejenige, welche der größte Gesetzgeber der Welt, Napoleon der Große, welche er als






") Stenzel Handbuch S. 289, Anhang S. SV,
") Zeiten von Noß, Bd, 32 S. 364.
Die Gesetzbücher Napoleons sind folgende- 1. der avais civil, unter dem Consulat aus¬
gearbeitet und 1803 bis 1804 als avais civil Sos ?r-me-lis promulgirt, nach Wiedereinführung
der monarchischen Regierung 1807 abgeändert und ooSs l^potoca genannt, (nach der Re¬
stauration 1816 aber wieder coäs civil). 2. Der avais as proocclurv olons von 1806, eine
neue Redaction der alten Proceßordnung von 1667. 3. Der coäs as comrasros von 1807,
ebenfalls nur eine Umarbeitung der alten Handelsgesetze. 4. Der eoSs et'illstruetion vrimillöllo
von 1808, auf den Grundlagen der von der ersten Nationalversammlung beschlossenen, die
Mündlichkeit und Geschwornengerichte einführenden Criminalproceßordnung aufgebaut. S. Der
oc>Ah xsnal von 1810, ebenfalls im Wesentlichen-auf den Arbeiten der ersten Nationalver¬
sammlung beruhend. --
') Stenzel Anhang S. S".

sie ihm gut dünkten. Auch die Cöthensche Niterschaft könne er aufheben, in¬
dem solche (die Ritter) als particuläre Stände für Cöthen zu betrachten und
an ihrer Stelle konstitutionelle Stände einzuführen seien.*) Zum nähern Ver¬
ständniß dieses Gutachtens ist darauf hinzuweisen, daß das Herzogthum An¬
halt-Cöthen als Theil des Gesammtherzogthums Anhalt in die anhaltifche
Gesammt-Ständeverfassung inbegriffen war, sowenig dieses Institut
damals auch wirkliches Leben, ja auch nur äußere Gestalt besaß. Denn seit
dem im Jahre 1698 zu Bernburg abgehaltenen Landtage hatte trotz des da¬
mals gefaßten Beschlusses, „daß bei erheischenden Conjuncturen und erheblichen
Landesangelegenheiten nach verflossenen 12 Jahren ein anderer Landtag aus¬
geschrieben werden solle", trotz mehrfacher Beschwerde der Stände, sogar trotz
einer im Jahre 1726 bei dem Reichshofrath eingereichten ständischen Klage,
ein Landtag nicht stattgefunden.

In Folge dieses Gutachtens setzte der Herzog ein Commission ein, um
das französische Recht den Bedürfnissen des Landes anzupassen.**) Die Com¬
mission, deren Sitzungen der Herzog selbst beiwohnte, hielt zwar die Ein¬
führung des eoäe civil mit gewissen Modifikationen für thunlich, nicht aber
die der übrigen Gesetzbücher Napoleons***). Ihr Rath wurde jedoch durch
andere Einflüsse zurückgedrängt.

Unter dem 28. December 1870 brachte die erste Nummer des Cöthenschen
Wochenblatts Jahrgangs 1811 ein Landesherrliches Edict, welches die Grund¬
züge der neuen Verfassung enthielt. Der Eingang dieses auf specielle An¬
weisung des Herzogs von dem Hofrath Berghauer allein entworfenen-j-)
Edicts lautet:

„Wir Aug. Christ. Friedr. von Gottes Gnaden souveräner Herzog zu Anhalt ze.
In Erwägung, daß die bisherige Verfassung und Civilgesetzgebung Unseres Landes nach
Auflösung der deutschen Reichsconstitution in mehreren Punkten durchaus nicht mehr
passend ist, und beseelt von dem Wunsche, das Glück Unserer Unterthanen nach Kräften
zu befördern, glauben denselben keine heilbringendere Constitution geben zu können, als
diejenige, welche der größte Gesetzgeber der Welt, Napoleon der Große, welche er als






") Stenzel Handbuch S. 289, Anhang S. SV,
") Zeiten von Noß, Bd, 32 S. 364.
Die Gesetzbücher Napoleons sind folgende- 1. der avais civil, unter dem Consulat aus¬
gearbeitet und 1803 bis 1804 als avais civil Sos ?r-me-lis promulgirt, nach Wiedereinführung
der monarchischen Regierung 1807 abgeändert und ooSs l^potoca genannt, (nach der Re¬
stauration 1816 aber wieder coäs civil). 2. Der avais as proocclurv olons von 1806, eine
neue Redaction der alten Proceßordnung von 1667. 3. Der coäs as comrasros von 1807,
ebenfalls nur eine Umarbeitung der alten Handelsgesetze. 4. Der eoSs et'illstruetion vrimillöllo
von 1808, auf den Grundlagen der von der ersten Nationalversammlung beschlossenen, die
Mündlichkeit und Geschwornengerichte einführenden Criminalproceßordnung aufgebaut. S. Der
oc>Ah xsnal von 1810, ebenfalls im Wesentlichen-auf den Arbeiten der ersten Nationalver¬
sammlung beruhend. —
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[0298] sie ihm gut dünkten. Auch die Cöthensche Niterschaft könne er aufheben, in¬ dem solche (die Ritter) als particuläre Stände für Cöthen zu betrachten und an ihrer Stelle konstitutionelle Stände einzuführen seien.*) Zum nähern Ver¬ ständniß dieses Gutachtens ist darauf hinzuweisen, daß das Herzogthum An¬ halt-Cöthen als Theil des Gesammtherzogthums Anhalt in die anhaltifche Gesammt-Ständeverfassung inbegriffen war, sowenig dieses Institut damals auch wirkliches Leben, ja auch nur äußere Gestalt besaß. Denn seit dem im Jahre 1698 zu Bernburg abgehaltenen Landtage hatte trotz des da¬ mals gefaßten Beschlusses, „daß bei erheischenden Conjuncturen und erheblichen Landesangelegenheiten nach verflossenen 12 Jahren ein anderer Landtag aus¬ geschrieben werden solle", trotz mehrfacher Beschwerde der Stände, sogar trotz einer im Jahre 1726 bei dem Reichshofrath eingereichten ständischen Klage, ein Landtag nicht stattgefunden. In Folge dieses Gutachtens setzte der Herzog ein Commission ein, um das französische Recht den Bedürfnissen des Landes anzupassen.**) Die Com¬ mission, deren Sitzungen der Herzog selbst beiwohnte, hielt zwar die Ein¬ führung des eoäe civil mit gewissen Modifikationen für thunlich, nicht aber die der übrigen Gesetzbücher Napoleons***). Ihr Rath wurde jedoch durch andere Einflüsse zurückgedrängt. Unter dem 28. December 1870 brachte die erste Nummer des Cöthenschen Wochenblatts Jahrgangs 1811 ein Landesherrliches Edict, welches die Grund¬ züge der neuen Verfassung enthielt. Der Eingang dieses auf specielle An¬ weisung des Herzogs von dem Hofrath Berghauer allein entworfenen-j-) Edicts lautet: „Wir Aug. Christ. Friedr. von Gottes Gnaden souveräner Herzog zu Anhalt ze. In Erwägung, daß die bisherige Verfassung und Civilgesetzgebung Unseres Landes nach Auflösung der deutschen Reichsconstitution in mehreren Punkten durchaus nicht mehr passend ist, und beseelt von dem Wunsche, das Glück Unserer Unterthanen nach Kräften zu befördern, glauben denselben keine heilbringendere Constitution geben zu können, als diejenige, welche der größte Gesetzgeber der Welt, Napoleon der Große, welche er als ") Stenzel Handbuch S. 289, Anhang S. SV, ") Zeiten von Noß, Bd, 32 S. 364. Die Gesetzbücher Napoleons sind folgende- 1. der avais civil, unter dem Consulat aus¬ gearbeitet und 1803 bis 1804 als avais civil Sos ?r-me-lis promulgirt, nach Wiedereinführung der monarchischen Regierung 1807 abgeändert und ooSs l^potoca genannt, (nach der Re¬ stauration 1816 aber wieder coäs civil). 2. Der avais as proocclurv olons von 1806, eine neue Redaction der alten Proceßordnung von 1667. 3. Der coäs as comrasros von 1807, ebenfalls nur eine Umarbeitung der alten Handelsgesetze. 4. Der eoSs et'illstruetion vrimillöllo von 1808, auf den Grundlagen der von der ersten Nationalversammlung beschlossenen, die Mündlichkeit und Geschwornengerichte einführenden Criminalproceßordnung aufgebaut. S. Der oc>Ah xsnal von 1810, ebenfalls im Wesentlichen-auf den Arbeiten der ersten Nationalver¬ sammlung beruhend. — ') Stenzel Anhang S. S».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/298>, abgerufen am 24.08.2024.