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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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geberische Werke zu den seinigen machte, sein Is in Meilen großes Ländchen
mit einem Schlage zu einem Ebenbilde Frankreichs erheben wollte, welches
sich vom Texel bis in die Mitte Italiens, von Hamburg bis Corfu er¬
streckte. Welcher Abstand zwischen dem Original und dem Abbilde! Jenes
zählte damals fast 44 Millionen Einwohner (genau 43,937,144), dieses
noch nicht volle 30,000, etwa den dreißigsten Theil der Einwohnerschaft der
französischen Hauptstadt (850,609)! Hierzu nöthigte keineswegs die plötz¬
liche Ueberzeugung von derMangelhaftigkeit der bisherigen Institutionen, von der
hohen Vortrefflichkeit des französischen Staatsorganismus. Dem prüfenden Gesetz¬
geber hätte einleuchten müssen, daß das Pfropfreis, welches er auf den alten
Stamm der bisherigen Institutionen aufsetzen wollte, verwandt sein müsse mit
diesen in Bestandtheilen und Säften, daß es mit diesem einen Sonnenstrahl,
einen Eiseshauch müsse ertragen können, daß es größeren Segen versprechen müsse,
als die zum Opfer gebrachten alten Zweige. Der weise Gesetzgeber hätte auch
nicht gezaubert, sondern bedächtig, mit unablässig prüfendem Auge ge¬
staltet. Also nichts von gesetzgeberischer Weisheit! Es war ein unpatrioti¬
scher Handkuß, den der Herzog August Christian Friedrich dem mächtigen
Napoleon zuwarf, um ihm nur wenigstens näher zu kommen, um den Zorn¬
strahl seines Auges in einen Gnadenblick zu verwandeln und, wenn man einem
der Gewährsmänner Stenzel's glauben darf, in einen recht wohlthätig fühl¬
baren Gnadenblick, verkörpert in dem Geschenk eines hübschen Stück Landes,
nämlich der Gegend um Aker und Roseburg und des wildreichen sog. Bar-
byer Winkels.*) Und wie es denn nur zu erklärlich ist, daß ein immerhin so
gewaltiger Schritt wie der vorliegende nicht in einer Triebfeder allein seinen
Ursprung hat, so mag gleichzeitig der ebenfalls von Stenzel angeführte Grund
mitgewirkt haben, daß der Herzog von der Einführung der französischen Ver¬
fassung eine Verbesserung seiner Finanzen durch Erhöhung der Steuern hoffte,
die er mit dem ova"z civil für unzertrennlich hielt, nachdem er gehört hatte,
daß die Besteuerung in Frankreich hoch sei.**)

Der Herzog, dem es. wie schon bemerkt, nicht an Kenntnissen fehlte,
hatte sich selbst mit dem Studium der französischen Verfassung beschäftigt.
Er frug den bei dem Rheinbunde accreditirten französischen Gesandten Baron
v. Bacher, sowie mehrere namhafte Gelehrte, ob die Einführung derselben in
seinem Lande zulässig sei, und das Urtheil derselben kam dahin überein: "daß
der Herzog als souveränes Mitglied der Rheinconföderation nicht nur dazu
befugt sei, sondern auch das Verhältniß der anhaltischen Fürstenhäuser dieser
Operation nicht im Wege stehe; indem dieses keinen der anhaltischen Fürsten
behindere, in seinem Territorium Gesetze und Einrichtungen zu machen, wie




-) Anhang S. 34.
") Anhang S. 34.
Grenzboten l, 1873.37

geberische Werke zu den seinigen machte, sein Is in Meilen großes Ländchen
mit einem Schlage zu einem Ebenbilde Frankreichs erheben wollte, welches
sich vom Texel bis in die Mitte Italiens, von Hamburg bis Corfu er¬
streckte. Welcher Abstand zwischen dem Original und dem Abbilde! Jenes
zählte damals fast 44 Millionen Einwohner (genau 43,937,144), dieses
noch nicht volle 30,000, etwa den dreißigsten Theil der Einwohnerschaft der
französischen Hauptstadt (850,609)! Hierzu nöthigte keineswegs die plötz¬
liche Ueberzeugung von derMangelhaftigkeit der bisherigen Institutionen, von der
hohen Vortrefflichkeit des französischen Staatsorganismus. Dem prüfenden Gesetz¬
geber hätte einleuchten müssen, daß das Pfropfreis, welches er auf den alten
Stamm der bisherigen Institutionen aufsetzen wollte, verwandt sein müsse mit
diesen in Bestandtheilen und Säften, daß es mit diesem einen Sonnenstrahl,
einen Eiseshauch müsse ertragen können, daß es größeren Segen versprechen müsse,
als die zum Opfer gebrachten alten Zweige. Der weise Gesetzgeber hätte auch
nicht gezaubert, sondern bedächtig, mit unablässig prüfendem Auge ge¬
staltet. Also nichts von gesetzgeberischer Weisheit! Es war ein unpatrioti¬
scher Handkuß, den der Herzog August Christian Friedrich dem mächtigen
Napoleon zuwarf, um ihm nur wenigstens näher zu kommen, um den Zorn¬
strahl seines Auges in einen Gnadenblick zu verwandeln und, wenn man einem
der Gewährsmänner Stenzel's glauben darf, in einen recht wohlthätig fühl¬
baren Gnadenblick, verkörpert in dem Geschenk eines hübschen Stück Landes,
nämlich der Gegend um Aker und Roseburg und des wildreichen sog. Bar-
byer Winkels.*) Und wie es denn nur zu erklärlich ist, daß ein immerhin so
gewaltiger Schritt wie der vorliegende nicht in einer Triebfeder allein seinen
Ursprung hat, so mag gleichzeitig der ebenfalls von Stenzel angeführte Grund
mitgewirkt haben, daß der Herzog von der Einführung der französischen Ver¬
fassung eine Verbesserung seiner Finanzen durch Erhöhung der Steuern hoffte,
die er mit dem ova«z civil für unzertrennlich hielt, nachdem er gehört hatte,
daß die Besteuerung in Frankreich hoch sei.**)

Der Herzog, dem es. wie schon bemerkt, nicht an Kenntnissen fehlte,
hatte sich selbst mit dem Studium der französischen Verfassung beschäftigt.
Er frug den bei dem Rheinbunde accreditirten französischen Gesandten Baron
v. Bacher, sowie mehrere namhafte Gelehrte, ob die Einführung derselben in
seinem Lande zulässig sei, und das Urtheil derselben kam dahin überein: „daß
der Herzog als souveränes Mitglied der Rheinconföderation nicht nur dazu
befugt sei, sondern auch das Verhältniß der anhaltischen Fürstenhäuser dieser
Operation nicht im Wege stehe; indem dieses keinen der anhaltischen Fürsten
behindere, in seinem Territorium Gesetze und Einrichtungen zu machen, wie




-) Anhang S. 34.
") Anhang S. 34.
Grenzboten l, 1873.37
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[0297] geberische Werke zu den seinigen machte, sein Is in Meilen großes Ländchen mit einem Schlage zu einem Ebenbilde Frankreichs erheben wollte, welches sich vom Texel bis in die Mitte Italiens, von Hamburg bis Corfu er¬ streckte. Welcher Abstand zwischen dem Original und dem Abbilde! Jenes zählte damals fast 44 Millionen Einwohner (genau 43,937,144), dieses noch nicht volle 30,000, etwa den dreißigsten Theil der Einwohnerschaft der französischen Hauptstadt (850,609)! Hierzu nöthigte keineswegs die plötz¬ liche Ueberzeugung von derMangelhaftigkeit der bisherigen Institutionen, von der hohen Vortrefflichkeit des französischen Staatsorganismus. Dem prüfenden Gesetz¬ geber hätte einleuchten müssen, daß das Pfropfreis, welches er auf den alten Stamm der bisherigen Institutionen aufsetzen wollte, verwandt sein müsse mit diesen in Bestandtheilen und Säften, daß es mit diesem einen Sonnenstrahl, einen Eiseshauch müsse ertragen können, daß es größeren Segen versprechen müsse, als die zum Opfer gebrachten alten Zweige. Der weise Gesetzgeber hätte auch nicht gezaubert, sondern bedächtig, mit unablässig prüfendem Auge ge¬ staltet. Also nichts von gesetzgeberischer Weisheit! Es war ein unpatrioti¬ scher Handkuß, den der Herzog August Christian Friedrich dem mächtigen Napoleon zuwarf, um ihm nur wenigstens näher zu kommen, um den Zorn¬ strahl seines Auges in einen Gnadenblick zu verwandeln und, wenn man einem der Gewährsmänner Stenzel's glauben darf, in einen recht wohlthätig fühl¬ baren Gnadenblick, verkörpert in dem Geschenk eines hübschen Stück Landes, nämlich der Gegend um Aker und Roseburg und des wildreichen sog. Bar- byer Winkels.*) Und wie es denn nur zu erklärlich ist, daß ein immerhin so gewaltiger Schritt wie der vorliegende nicht in einer Triebfeder allein seinen Ursprung hat, so mag gleichzeitig der ebenfalls von Stenzel angeführte Grund mitgewirkt haben, daß der Herzog von der Einführung der französischen Ver¬ fassung eine Verbesserung seiner Finanzen durch Erhöhung der Steuern hoffte, die er mit dem ova«z civil für unzertrennlich hielt, nachdem er gehört hatte, daß die Besteuerung in Frankreich hoch sei.**) Der Herzog, dem es. wie schon bemerkt, nicht an Kenntnissen fehlte, hatte sich selbst mit dem Studium der französischen Verfassung beschäftigt. Er frug den bei dem Rheinbunde accreditirten französischen Gesandten Baron v. Bacher, sowie mehrere namhafte Gelehrte, ob die Einführung derselben in seinem Lande zulässig sei, und das Urtheil derselben kam dahin überein: „daß der Herzog als souveränes Mitglied der Rheinconföderation nicht nur dazu befugt sei, sondern auch das Verhältniß der anhaltischen Fürstenhäuser dieser Operation nicht im Wege stehe; indem dieses keinen der anhaltischen Fürsten behindere, in seinem Territorium Gesetze und Einrichtungen zu machen, wie -) Anhang S. 34. ") Anhang S. 34. Grenzboten l, 1873.37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/297>, abgerufen am 24.08.2024.