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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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und dieses bildete die liebste, stete Umgebung des Herzogs. Wäre er nicht
schon roh gewesen, in diesem Kreise wäre er es geworden. Noch erzählen
Augenzeugen von dem wüsten Treiben des Herzogs mit seiner Jägerschar bei
Trunk und Spiel in den Jagdschlössern, ganz besonders auf der Sorge bei
Linden. Hier gab er seine ganze fürstliche Würde preis. Der herrischste Ge¬
bieter über seine Umgebung, der keinen Widerspruch ertrug, der in maßlosem
Jähzorn den Ersten Besten, der ihn reizte, abprügelte oder durch irgend Je¬
mand anders, der gerade bei ihm war, mittelst höchsten Auftrags abPrügeln
ließ, gab er sich hier Blößen, die, von der niedrig schlauen Dienerschaft wohl
benutzt, ihn zu ihrem Spielball, zu ihrem Spott machten.

Das um so mehr, als die Jägerschaar eine Anzahl Personen in sich
schloß, deren Dienste ganz besonderer Art waren.*) Was durften diese ihrem
Herrn bieten! Auch wußte man ja, daß die Hand, welche soeben die Reit¬
peitsche über dem Rücken des Dieners geschwungen, bald, wenn der leicht ge¬
faßte Groll geschwunden, goldenen Balsam auf die schmerzenden Stellen goß!
-- Eines Abends hatte sich die ganze Gesellschaft heimlich auf dem Zimmer
eines der ersten Günstlinge, eines gewissen M,, zusammengefunden, um Hazard
zu spielen, als plötzlich der Herzog unter sie trat. Schnell gefaßt blies man
im Augenblick die Lichter aus, und die Uebelthäter stahlen sich unter den
Füßen ihres im Dunkeln stehenden Herrn hinweg in's Freie. -- "Wünschte
seine Umgebung," schreibt ein Zeitgenosse an Stenzel**) "seiner bald quitt
zu werden, so wurden Uhren verrückt, die Fensterladen am hellen Tage ver¬
schlossen, und der Herzog mußte, er mochte wollen oder nicht, schlafen gehen."
Ferner kannte man des Herzogs unerklärliche, instinctive Furcht vor Gewittern,
die ihn zu jeder Tageszeit in's Bett trieb, und benutzte sie zu heimlichen Or¬
gien. Um ihn alsdann los zu werden, bewegte man auf dem Boden über
seinem Zimmer einen kleinen Rollwägen mit Klotzrädern schnell hin und her.
Kaum hörte der Herzog den verdächtigen Ton, so ließ er eilig alle Fenster¬
laden schließen, um den Blitz nicht zu sehen, legte sich in das Bett, zog die
Decke über den Kopf und betete ängstlich, während der Pseudo-Jupiter zu dem
bereiten Gelage in das Untergeschoß hinabstieg.***)

Und diese Thatsachen, so erniedrigend sie sein mögen, wie unschädlich
waren sie doch gegen die Eingriffe der Günstlinge des getäuschten Herzogs in
seine Regierung! Diese entschieden einflußreichen Männer waren meist aus den
niedrigsten Ständen hervorgegangen. Einige waren als preußische Unteroffi-





Herzogs.
-) Stenzel, Anhang S. 47, spricht mit besonderer Betonung von den "Lieblingen" des
"
) Anhang S. 41.
Vergleiche Würdig's Anhalt. Volkskaleuder für 1864 S. S. Die Gewitterfurcht des
Herzogs soll auch die Veranlassung gegeben haben, die Thurmspitzen von den cöthenschcu Schlo߬
thürmen zu entfernen.

und dieses bildete die liebste, stete Umgebung des Herzogs. Wäre er nicht
schon roh gewesen, in diesem Kreise wäre er es geworden. Noch erzählen
Augenzeugen von dem wüsten Treiben des Herzogs mit seiner Jägerschar bei
Trunk und Spiel in den Jagdschlössern, ganz besonders auf der Sorge bei
Linden. Hier gab er seine ganze fürstliche Würde preis. Der herrischste Ge¬
bieter über seine Umgebung, der keinen Widerspruch ertrug, der in maßlosem
Jähzorn den Ersten Besten, der ihn reizte, abprügelte oder durch irgend Je¬
mand anders, der gerade bei ihm war, mittelst höchsten Auftrags abPrügeln
ließ, gab er sich hier Blößen, die, von der niedrig schlauen Dienerschaft wohl
benutzt, ihn zu ihrem Spielball, zu ihrem Spott machten.

Das um so mehr, als die Jägerschaar eine Anzahl Personen in sich
schloß, deren Dienste ganz besonderer Art waren.*) Was durften diese ihrem
Herrn bieten! Auch wußte man ja, daß die Hand, welche soeben die Reit¬
peitsche über dem Rücken des Dieners geschwungen, bald, wenn der leicht ge¬
faßte Groll geschwunden, goldenen Balsam auf die schmerzenden Stellen goß!
— Eines Abends hatte sich die ganze Gesellschaft heimlich auf dem Zimmer
eines der ersten Günstlinge, eines gewissen M,, zusammengefunden, um Hazard
zu spielen, als plötzlich der Herzog unter sie trat. Schnell gefaßt blies man
im Augenblick die Lichter aus, und die Uebelthäter stahlen sich unter den
Füßen ihres im Dunkeln stehenden Herrn hinweg in's Freie. — „Wünschte
seine Umgebung," schreibt ein Zeitgenosse an Stenzel**) „seiner bald quitt
zu werden, so wurden Uhren verrückt, die Fensterladen am hellen Tage ver¬
schlossen, und der Herzog mußte, er mochte wollen oder nicht, schlafen gehen."
Ferner kannte man des Herzogs unerklärliche, instinctive Furcht vor Gewittern,
die ihn zu jeder Tageszeit in's Bett trieb, und benutzte sie zu heimlichen Or¬
gien. Um ihn alsdann los zu werden, bewegte man auf dem Boden über
seinem Zimmer einen kleinen Rollwägen mit Klotzrädern schnell hin und her.
Kaum hörte der Herzog den verdächtigen Ton, so ließ er eilig alle Fenster¬
laden schließen, um den Blitz nicht zu sehen, legte sich in das Bett, zog die
Decke über den Kopf und betete ängstlich, während der Pseudo-Jupiter zu dem
bereiten Gelage in das Untergeschoß hinabstieg.***)

Und diese Thatsachen, so erniedrigend sie sein mögen, wie unschädlich
waren sie doch gegen die Eingriffe der Günstlinge des getäuschten Herzogs in
seine Regierung! Diese entschieden einflußreichen Männer waren meist aus den
niedrigsten Ständen hervorgegangen. Einige waren als preußische Unteroffi-





Herzogs.
-) Stenzel, Anhang S. 47, spricht mit besonderer Betonung von den „Lieblingen" des
"
) Anhang S. 41.
Vergleiche Würdig's Anhalt. Volkskaleuder für 1864 S. S. Die Gewitterfurcht des
Herzogs soll auch die Veranlassung gegeben haben, die Thurmspitzen von den cöthenschcu Schlo߬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/292>, abgerufen am 24.08.2024.