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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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sodann der Krieg gegen Holland auf lange Jahre von seiner Residenz fern
gehalten; der junge Prinz war der Sorge einer leidenschaftlichen und eigen¬
willigen Mutter (Louise Friederike. Prinzessin von Holstein-Glücksburg) und
ihrer Kammerzofen, dem Unterricht durchgängig schlechter Lehrer überlassen
worden.*) "Alles ist durch meine schlechte Erziehung so gekommen", pflegte er
in späteren Jahren vertraulich sich zu äußern, "mein Vater ließ mir Alles
durchgehen und meine Mutter prügelte mich unschuldig ab. Ich fühle noch
jetzt, wie sie mich mit der Kardätsche um die Beine schlug."

Von den Hofmeistern übte, wie erzählt wird, einer, ein Franzose, direct
den verderblichsten Einfluß auf seine Sitten aus. Ein anderer, ein gewisser
Fleischer, wird als ein ganz verschrobener Kopf bezeichnet. Als er von diesem
einst eine strenge Rüge bekommen hatte und das dem Vater klagte, antwor¬
tete Letzterer sehr ruhig: "Warum läßt du dir von dem Kerl so Etwas ge¬
fallen?" Aus dieser Umgebung, noch in zartem Jünglingsalter, war er in
das Militär gebracht und von dem Vater, der in den letzten Jahren bis zu
seinem Tode in Ungarn stand, dorthin mitgenommen. Es ist wohl glaublich,
wenn erzählt wird, daß dort der Umgang mit den rohen österreichischen Kriegs¬
kameraden seine Sitten vollends verdorben habe. Mit 20 Jahren, am 17.
October 1789, hatte er sodann die Zügel der Regierung ergreifen müssen,
zwar ausgestattet mit Talenten, nicht ohne Kenntnisse, nicht ohne Gefühl für
das Wohl seines Landes, aber ohne Bildung, die seine Leidenschaftlichkeit in
ihren Schranken gehalten hätte, ohne Schule im Regieren, ohne Kraft, dem
Wohl des Landes Opfer zu bringen.

Auch ihn führte die Unruhe der Zeit bald auf den' Kriegsschauplatz. In
österreichischen Diensten gelangte er zu der Stufe eines Feldmarschall-Lieute¬
nants der Reiterei und zeichnete sich im Revolutionskriege gegen Frankreich
durch Tapferkeit aus. Er verließ jedoch demnächst, wie Stenzel angiebt.**)
im Unwillen über einige nicht näher angegebene Vorfälle, den Kriegsdienst und
zog sich in seine Residenz zurück. Aber die soldatische Erziehung, die Liebe zum
Kriegsdienst, konnte sich ungeachtet der gänzlich veränderten Verhältnisse nicht
verleugnen, sie trat jetzt -- wie bei so manchem andern Fürsten jener Zeit --
in einer mit den Jahren und seiner Rücksichtslosigkeit zunehmenden Soldaten¬
spielerei hervor, welche dem Lande drückend und verhaßt wurde. Außer dem
nicht unbedeutenden Contingent (210 Mann) und der Gensdarmerie (einem
Leutnant, 3 Brigadiers, 10 Gemeinen) hatte er gegen das Ende seiner Re¬
gierung eine g'önsä'armei'le ü'Ans, eine, freilich mäßige, Garde zu Fuß. die
sog. Leibriesen, welche, beiläufig gesagt, von Schill bei seinem Durchzuge durch
Cöthen zum großen Theil mitgenommen wurden, endlich ein Jägercorps zu




") Handbuch S. 287.
") Erinnerungen S. 15 ff.

sodann der Krieg gegen Holland auf lange Jahre von seiner Residenz fern
gehalten; der junge Prinz war der Sorge einer leidenschaftlichen und eigen¬
willigen Mutter (Louise Friederike. Prinzessin von Holstein-Glücksburg) und
ihrer Kammerzofen, dem Unterricht durchgängig schlechter Lehrer überlassen
worden.*) „Alles ist durch meine schlechte Erziehung so gekommen", pflegte er
in späteren Jahren vertraulich sich zu äußern, „mein Vater ließ mir Alles
durchgehen und meine Mutter prügelte mich unschuldig ab. Ich fühle noch
jetzt, wie sie mich mit der Kardätsche um die Beine schlug."

Von den Hofmeistern übte, wie erzählt wird, einer, ein Franzose, direct
den verderblichsten Einfluß auf seine Sitten aus. Ein anderer, ein gewisser
Fleischer, wird als ein ganz verschrobener Kopf bezeichnet. Als er von diesem
einst eine strenge Rüge bekommen hatte und das dem Vater klagte, antwor¬
tete Letzterer sehr ruhig: „Warum läßt du dir von dem Kerl so Etwas ge¬
fallen?" Aus dieser Umgebung, noch in zartem Jünglingsalter, war er in
das Militär gebracht und von dem Vater, der in den letzten Jahren bis zu
seinem Tode in Ungarn stand, dorthin mitgenommen. Es ist wohl glaublich,
wenn erzählt wird, daß dort der Umgang mit den rohen österreichischen Kriegs¬
kameraden seine Sitten vollends verdorben habe. Mit 20 Jahren, am 17.
October 1789, hatte er sodann die Zügel der Regierung ergreifen müssen,
zwar ausgestattet mit Talenten, nicht ohne Kenntnisse, nicht ohne Gefühl für
das Wohl seines Landes, aber ohne Bildung, die seine Leidenschaftlichkeit in
ihren Schranken gehalten hätte, ohne Schule im Regieren, ohne Kraft, dem
Wohl des Landes Opfer zu bringen.

Auch ihn führte die Unruhe der Zeit bald auf den' Kriegsschauplatz. In
österreichischen Diensten gelangte er zu der Stufe eines Feldmarschall-Lieute¬
nants der Reiterei und zeichnete sich im Revolutionskriege gegen Frankreich
durch Tapferkeit aus. Er verließ jedoch demnächst, wie Stenzel angiebt.**)
im Unwillen über einige nicht näher angegebene Vorfälle, den Kriegsdienst und
zog sich in seine Residenz zurück. Aber die soldatische Erziehung, die Liebe zum
Kriegsdienst, konnte sich ungeachtet der gänzlich veränderten Verhältnisse nicht
verleugnen, sie trat jetzt — wie bei so manchem andern Fürsten jener Zeit —
in einer mit den Jahren und seiner Rücksichtslosigkeit zunehmenden Soldaten¬
spielerei hervor, welche dem Lande drückend und verhaßt wurde. Außer dem
nicht unbedeutenden Contingent (210 Mann) und der Gensdarmerie (einem
Leutnant, 3 Brigadiers, 10 Gemeinen) hatte er gegen das Ende seiner Re¬
gierung eine g'önsä'armei'le ü'Ans, eine, freilich mäßige, Garde zu Fuß. die
sog. Leibriesen, welche, beiläufig gesagt, von Schill bei seinem Durchzuge durch
Cöthen zum großen Theil mitgenommen wurden, endlich ein Jägercorps zu




") Handbuch S. 287.
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[0290] sodann der Krieg gegen Holland auf lange Jahre von seiner Residenz fern gehalten; der junge Prinz war der Sorge einer leidenschaftlichen und eigen¬ willigen Mutter (Louise Friederike. Prinzessin von Holstein-Glücksburg) und ihrer Kammerzofen, dem Unterricht durchgängig schlechter Lehrer überlassen worden.*) „Alles ist durch meine schlechte Erziehung so gekommen", pflegte er in späteren Jahren vertraulich sich zu äußern, „mein Vater ließ mir Alles durchgehen und meine Mutter prügelte mich unschuldig ab. Ich fühle noch jetzt, wie sie mich mit der Kardätsche um die Beine schlug." Von den Hofmeistern übte, wie erzählt wird, einer, ein Franzose, direct den verderblichsten Einfluß auf seine Sitten aus. Ein anderer, ein gewisser Fleischer, wird als ein ganz verschrobener Kopf bezeichnet. Als er von diesem einst eine strenge Rüge bekommen hatte und das dem Vater klagte, antwor¬ tete Letzterer sehr ruhig: „Warum läßt du dir von dem Kerl so Etwas ge¬ fallen?" Aus dieser Umgebung, noch in zartem Jünglingsalter, war er in das Militär gebracht und von dem Vater, der in den letzten Jahren bis zu seinem Tode in Ungarn stand, dorthin mitgenommen. Es ist wohl glaublich, wenn erzählt wird, daß dort der Umgang mit den rohen österreichischen Kriegs¬ kameraden seine Sitten vollends verdorben habe. Mit 20 Jahren, am 17. October 1789, hatte er sodann die Zügel der Regierung ergreifen müssen, zwar ausgestattet mit Talenten, nicht ohne Kenntnisse, nicht ohne Gefühl für das Wohl seines Landes, aber ohne Bildung, die seine Leidenschaftlichkeit in ihren Schranken gehalten hätte, ohne Schule im Regieren, ohne Kraft, dem Wohl des Landes Opfer zu bringen. Auch ihn führte die Unruhe der Zeit bald auf den' Kriegsschauplatz. In österreichischen Diensten gelangte er zu der Stufe eines Feldmarschall-Lieute¬ nants der Reiterei und zeichnete sich im Revolutionskriege gegen Frankreich durch Tapferkeit aus. Er verließ jedoch demnächst, wie Stenzel angiebt.**) im Unwillen über einige nicht näher angegebene Vorfälle, den Kriegsdienst und zog sich in seine Residenz zurück. Aber die soldatische Erziehung, die Liebe zum Kriegsdienst, konnte sich ungeachtet der gänzlich veränderten Verhältnisse nicht verleugnen, sie trat jetzt — wie bei so manchem andern Fürsten jener Zeit — in einer mit den Jahren und seiner Rücksichtslosigkeit zunehmenden Soldaten¬ spielerei hervor, welche dem Lande drückend und verhaßt wurde. Außer dem nicht unbedeutenden Contingent (210 Mann) und der Gensdarmerie (einem Leutnant, 3 Brigadiers, 10 Gemeinen) hatte er gegen das Ende seiner Re¬ gierung eine g'önsä'armei'le ü'Ans, eine, freilich mäßige, Garde zu Fuß. die sog. Leibriesen, welche, beiläufig gesagt, von Schill bei seinem Durchzuge durch Cöthen zum großen Theil mitgenommen wurden, endlich ein Jägercorps zu ") Handbuch S. 287. ") Erinnerungen S. 15 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/290>, abgerufen am 24.08.2024.