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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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auf langehin Rath!); Herr von Rabenhorst mochte sein- Militär in Ordnung
halten (um so eher konnte Herr von Beust "große Politik" treiben); Herr
von Falkenstein mochte ein wenig mit der Orthodoxie liebäugeln (Herr von
Beust dachte: "ducken sie da, folgen sie Dir eben auch") -- der Justizminister
endlich mochte mit neuen Gerichtsorganisationen und neuen Gesetzbüchern ex-
perimentiren, wenn nur das weite Gebiet der "Polizei" Herrn von Beust un-
verkümmert blieb -- aber die Hauptsache und das eigentliche Agens der säch¬
sischen Polizei war doch der Beustianismus nach innen und außen, der sich
dort als eine kunstreiche, stystematische Dressirung des Volkes "mit Zuckerbrod
und Peitsche", hier als die Vielgeschäftigkeit eines mittelstaatlichen Staats¬
mannes, der "für seine Verhältnisse zu groß" war, sich manifestirte.

Diese Art von "Einheit" des Ministeriums hat mit Beust's Rücktritt
aufgehört. Herr von Friesen, der jetzige Vorsitzende im Ministerrathe, hat
zwar eine leidliche Dosis von Eigenwillen, und ist wohl ein ziemlicher Selbst¬
herrscher nicht blos in den engeren Räumen seines Departements, sondern auch
darüber hinweg. Aber sein Einfluß auf das Gesammtleben des Staates und
des Volkes ist nach der Natur seines Ressorts kein so durchgreifender, als der
Beust's in seiner Doppelstellung als Minister des Innern und Aeußern war.
Große Politik zu treiben, hat Herr von Friesen verständigerweise ebenso we¬
nig Neigung, als freilich auch Gelegenheit oder Versuchung. In Reichsange¬
legenheiten verfährt er correct, wenn auch mit einer gewissen Kühle vorsichtiger
Zurückhaltung; mit dem Gewicht seiner gescheuten und tüchtigen Persönlichkeit
verstärkt er, wie Bismarck ihm im offnen Reichstage bezeugte, das Gewicht der
sächsischen Stimme im Bundesrathe.

Nach innen besitzt er ein fast ungemessenes Machtmittel in der Gewalt,
zu binden und zu lösen, die er auf dem dermalen wichtigsten Verkehrsgebiete,
dem der Eisenbahnen, übt. Zu politischen Agitationen -- die Gerechtigkeit
muß man ihm widerfahren lassen -- scheint er diese Macht nicht zu mißbrau¬
chen, wenn schon innerhalb seines eigentlichen Departements er es nicht gerade
verschmäht, das Spiel der Interessen auch wohl beiläufig einmal seinen bez.
der Regierung besonderen Wünschen dienstbar zu machen.

Herr von Friesen gilt mit Recht als ein tüchtiger Finanzier und über¬
haupt als ein Verwaltungsmann, wie er im Buche steht, der freilich, wie
er selbst Außerordentliches leistet, auch von seinen Untergebenen Viel ver¬
langt und daher diesen nicht immer gerade ein bequemer, wenn auch
gewiß immer ein gerechter und persönlich wohlwollender Chef ist. Im
Verkehr mit den Ständen ist ihm eine Zähigkeit im Beharren auf seinen,
allerdings meist wohlbegründeten und durchdachten Ansichten eigen, die bis¬
weilen an Schroffheit grenzt; doch weiß er zur rechten Zeit auch nach-
und fremden Ansichten Raum zugeben, wie das die Geschichte der neusten


auf langehin Rath!); Herr von Rabenhorst mochte sein- Militär in Ordnung
halten (um so eher konnte Herr von Beust „große Politik" treiben); Herr
von Falkenstein mochte ein wenig mit der Orthodoxie liebäugeln (Herr von
Beust dachte: „ducken sie da, folgen sie Dir eben auch") — der Justizminister
endlich mochte mit neuen Gerichtsorganisationen und neuen Gesetzbüchern ex-
perimentiren, wenn nur das weite Gebiet der „Polizei" Herrn von Beust un-
verkümmert blieb — aber die Hauptsache und das eigentliche Agens der säch¬
sischen Polizei war doch der Beustianismus nach innen und außen, der sich
dort als eine kunstreiche, stystematische Dressirung des Volkes „mit Zuckerbrod
und Peitsche", hier als die Vielgeschäftigkeit eines mittelstaatlichen Staats¬
mannes, der „für seine Verhältnisse zu groß" war, sich manifestirte.

Diese Art von „Einheit" des Ministeriums hat mit Beust's Rücktritt
aufgehört. Herr von Friesen, der jetzige Vorsitzende im Ministerrathe, hat
zwar eine leidliche Dosis von Eigenwillen, und ist wohl ein ziemlicher Selbst¬
herrscher nicht blos in den engeren Räumen seines Departements, sondern auch
darüber hinweg. Aber sein Einfluß auf das Gesammtleben des Staates und
des Volkes ist nach der Natur seines Ressorts kein so durchgreifender, als der
Beust's in seiner Doppelstellung als Minister des Innern und Aeußern war.
Große Politik zu treiben, hat Herr von Friesen verständigerweise ebenso we¬
nig Neigung, als freilich auch Gelegenheit oder Versuchung. In Reichsange¬
legenheiten verfährt er correct, wenn auch mit einer gewissen Kühle vorsichtiger
Zurückhaltung; mit dem Gewicht seiner gescheuten und tüchtigen Persönlichkeit
verstärkt er, wie Bismarck ihm im offnen Reichstage bezeugte, das Gewicht der
sächsischen Stimme im Bundesrathe.

Nach innen besitzt er ein fast ungemessenes Machtmittel in der Gewalt,
zu binden und zu lösen, die er auf dem dermalen wichtigsten Verkehrsgebiete,
dem der Eisenbahnen, übt. Zu politischen Agitationen — die Gerechtigkeit
muß man ihm widerfahren lassen — scheint er diese Macht nicht zu mißbrau¬
chen, wenn schon innerhalb seines eigentlichen Departements er es nicht gerade
verschmäht, das Spiel der Interessen auch wohl beiläufig einmal seinen bez.
der Regierung besonderen Wünschen dienstbar zu machen.

Herr von Friesen gilt mit Recht als ein tüchtiger Finanzier und über¬
haupt als ein Verwaltungsmann, wie er im Buche steht, der freilich, wie
er selbst Außerordentliches leistet, auch von seinen Untergebenen Viel ver¬
langt und daher diesen nicht immer gerade ein bequemer, wenn auch
gewiß immer ein gerechter und persönlich wohlwollender Chef ist. Im
Verkehr mit den Ständen ist ihm eine Zähigkeit im Beharren auf seinen,
allerdings meist wohlbegründeten und durchdachten Ansichten eigen, die bis¬
weilen an Schroffheit grenzt; doch weiß er zur rechten Zeit auch nach-
und fremden Ansichten Raum zugeben, wie das die Geschichte der neusten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/277>, abgerufen am 02.10.2024.