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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ausersehen hatten, wo der Kronprinz als Taufpathe am Hofe zu Brüssel ab¬
wesend war. Und damit nicht genug, so verbreiteten sie auch unter der Hand,
der Prinz sei selbst dieser Verhandlung aus dem Wege gegangen, um nicht
gegen sie stimmen zu müssen.

Nach einer besonders wichtigen Richtung hin ist, irren wir nicht, der
Einfluß des künftigen Thronfolgers von Sachsen bereits ein höchst wohlthä¬
tiger gewesen, und verspricht es noch immer mehr zu werden. An König
Johanns bundestreuer Gesinnung war schon vor 1870 kein Zweifel gestattet.
Aber über die strengste Gewissenhaftigkeit in Erfüllung der eingegangenen
Verträge und der übernommenen Verpflichtungen hinaus auch wärmere Hin¬
gebung für die neue Ordnung der Dinge von ihm zu verlangen, wäre unna¬
türlich gewesen. Von dem Kronprinzen nahm man früher ebenfalls an (mit
welchem Rechte, bleibe dahingestellt), daß er sich der Entwicklung der Verhält¬
nisse seit 1866 gegenüber zwar vollkommen correct, doch kühl verhalte. Das
ist, wenn nicht Alles täuscht, wesentlich anders geworden. Das gemeinsame
große Vaterland, zu dessen Machterweiterung er selbst so viel beigetragen, das
neue deutsche Reich, dessen ruhmreicher Feldmarschall er geworden, das ist ihm
doch ganz anders ans Herz gewachsen, als vordem der norddeutsche Bund,
dem Sachsen nicht ohne ein begreifliches Widerstreben sich eingefügt sah. Die
glorreiche Waffenbrüderschaft mit den Preußen, die enge persönliche Befreun¬
dung mit dem Kronprinzen des deutschen Reichs, die wohlverdiente hohe und
herzliche Auszeichnung, die ihm von dem greisen Heldenkaiser zu Theil wird,
alles Dies hat wohl auch die letzten Spuren jener herben Empfindung in sei¬
ner Seele ausgetilgt, die von der unglückseligen Gegenstellung Sachsens gegen
Preußen im Jahre 1866 bei dem Feldherrn und dem Königssohne etwa noch
zurückgeblieben sein mochte.

Genug, man will sichre Anzeichen haben, daß der wärmere Hauch
wirklich nationaler Gesinnung, der namentlich in einem großen Theile des
sächsischen Ofsizierstandes und auch in manchen tonangebenden Residenzkreisen
seit 1871 bemerkbar ist, vorzugsweise mit ein Reflex und eine Wirkung der
innersten Stimmung des Kronprinzen sei.

Wer das sächsische Ministerium vor 1866 zu schildern unternahm, hatte
es wesentlich mit Einem Manne zu thun, der dem ganzen Ministerium nicht
blos seinen Namen, sondern auch den Stempel seiner Persönlichkeit lieh. Herr
v. Beust, (wie er damals noch hieß) war die Seele, die bewegende und leitende
Kraft des sächsischen Ministeriums schon zu der Zeit, wo nominell an der
Spitze desselben noch Dr. Zschinsky stand, und ward es vollends nach dessen
Tode, wo er auch formell die Führung übernahm. Herr v. Friesen mochte
immerhin auf seine Hand die Finanzen trefflich besorgen und Ueberschüsse
erzielen (gegen ihre allzu große Anhäufung schaffte Herr von Beust 1866


ausersehen hatten, wo der Kronprinz als Taufpathe am Hofe zu Brüssel ab¬
wesend war. Und damit nicht genug, so verbreiteten sie auch unter der Hand,
der Prinz sei selbst dieser Verhandlung aus dem Wege gegangen, um nicht
gegen sie stimmen zu müssen.

Nach einer besonders wichtigen Richtung hin ist, irren wir nicht, der
Einfluß des künftigen Thronfolgers von Sachsen bereits ein höchst wohlthä¬
tiger gewesen, und verspricht es noch immer mehr zu werden. An König
Johanns bundestreuer Gesinnung war schon vor 1870 kein Zweifel gestattet.
Aber über die strengste Gewissenhaftigkeit in Erfüllung der eingegangenen
Verträge und der übernommenen Verpflichtungen hinaus auch wärmere Hin¬
gebung für die neue Ordnung der Dinge von ihm zu verlangen, wäre unna¬
türlich gewesen. Von dem Kronprinzen nahm man früher ebenfalls an (mit
welchem Rechte, bleibe dahingestellt), daß er sich der Entwicklung der Verhält¬
nisse seit 1866 gegenüber zwar vollkommen correct, doch kühl verhalte. Das
ist, wenn nicht Alles täuscht, wesentlich anders geworden. Das gemeinsame
große Vaterland, zu dessen Machterweiterung er selbst so viel beigetragen, das
neue deutsche Reich, dessen ruhmreicher Feldmarschall er geworden, das ist ihm
doch ganz anders ans Herz gewachsen, als vordem der norddeutsche Bund,
dem Sachsen nicht ohne ein begreifliches Widerstreben sich eingefügt sah. Die
glorreiche Waffenbrüderschaft mit den Preußen, die enge persönliche Befreun¬
dung mit dem Kronprinzen des deutschen Reichs, die wohlverdiente hohe und
herzliche Auszeichnung, die ihm von dem greisen Heldenkaiser zu Theil wird,
alles Dies hat wohl auch die letzten Spuren jener herben Empfindung in sei¬
ner Seele ausgetilgt, die von der unglückseligen Gegenstellung Sachsens gegen
Preußen im Jahre 1866 bei dem Feldherrn und dem Königssohne etwa noch
zurückgeblieben sein mochte.

Genug, man will sichre Anzeichen haben, daß der wärmere Hauch
wirklich nationaler Gesinnung, der namentlich in einem großen Theile des
sächsischen Ofsizierstandes und auch in manchen tonangebenden Residenzkreisen
seit 1871 bemerkbar ist, vorzugsweise mit ein Reflex und eine Wirkung der
innersten Stimmung des Kronprinzen sei.

Wer das sächsische Ministerium vor 1866 zu schildern unternahm, hatte
es wesentlich mit Einem Manne zu thun, der dem ganzen Ministerium nicht
blos seinen Namen, sondern auch den Stempel seiner Persönlichkeit lieh. Herr
v. Beust, (wie er damals noch hieß) war die Seele, die bewegende und leitende
Kraft des sächsischen Ministeriums schon zu der Zeit, wo nominell an der
Spitze desselben noch Dr. Zschinsky stand, und ward es vollends nach dessen
Tode, wo er auch formell die Führung übernahm. Herr v. Friesen mochte
immerhin auf seine Hand die Finanzen trefflich besorgen und Ueberschüsse
erzielen (gegen ihre allzu große Anhäufung schaffte Herr von Beust 1866


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/276>, abgerufen am 24.08.2024.