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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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fernung jener von ihr selbst berufenen Lehrerinnen anzugehen, eine doppelt
peinliche, wenn es wahr ist, daß er diesen Schritt that, als die Wittwe seines
älteren Bruders zum ersten Mal wieder nach des Letzteren Tode den Hof bei
Gelegenheit einer Feierlichkeit besuchte, bei Gelegenheit des goldnen Ehejubiläums
des regierenden Paares. Aber der König that diesen schweren Schritt, denn
er "wollte Frieden haben mit seinem Volke", er wollte jedem, wenn auch viel¬
leicht grundlosen Verdacht eines nicht streng verfassungsmäßigen Gebahrens
die Nahrung entziehen. So konnte die Regierung der Kammer ankündigen,
daß durch die persönliche Dazwischenkunft Sr. Majestät der Antrag Ludwig
sich factisch erledige, und der Antragsteller selbst zog mit einigen herzlichen
Dankesworten für diesen königlichen Act, unter dem Beifall der Kammer,
seinen Antrag zurück.

Ein zweites Beispiel echt constitutionellen Eingehens auf die Wünsche der
Volksvertretung gab König Johann ebenfalls bei diesem Landtage. Es be¬
stand in Sachsen noch von lange her die verfassungsmäßige Bestimmung, daß
die Präsidien beider Kammern nicht frei von diesen gewählt, sondern vom
Könige theils direkt (der Präsident der I. Kammer), theils nach Vorschlägen
aus den Kammern (der Vicepräsident der I. sowie Präsident und Vicepräfident
der II. Kammer) ernannt wurden. Der Wunsch einer Aenderung dieses
Brauchs (nach dem Muster fast aller deutschen Staaten) wenigstens für die II.
Kammer war längst laut geworden. Aber selbst die zur Vorberathung einer
neuen Landtagsordnung von der II. Kammer niedergesetzte außerordentliche
Deputation hatte, obschon sie mehrere sehr radicale Abgeordnete in ihrer Mitte
zählte, Anstand genommen, diesem Wunsche die Form eines Antrags zu ge¬
ben; sie wollte, wie es scheint, die persönlichen Gefühle des greisen Monarchen
schonen, dem die Ausübung jenes Erenennungsrechtes durch lange Gewohnheit
lieb geworden war. Die Kammer war daher nicht wenig überrascht, und
selbst liberale Abgeordnete hatten deß kein Hehl, als der König von freien
Stücken auf jenes Recht verzichtete und die Regierung eine dem entsprechende
Verfassungsänderung den Kammern vorlegte.

Ob Kronprinz Albert auf Geist und Gang der Regierung seines
königlichen Vaters schon jetzt einen Einfluß übt, mögen nur die Eingeweihtesten
wissen. In der I. Kammer, wo er den Sitz einnimmt, den sein Vater über
zwanzig Jahre lang eingenommen, soll er, obgleich bei den Verhandlungen
selbst ungleich weniger rednerisch thätig, als vordem "Prinz Johann", doch in
den Deputationen und sonst das Ministerium oft sehr wirksam unterstützen,
besonders in Finanzfragen, die seine Specialität bilden.

Es war eine der schlimmsten Intriguen der Hochtorys in der I. Kammer,
daß sie zu ihrem Sturmlaufen gegen die liberalen Organisationsgesetze des
Ministers von Nostiz-Wallwitz und gegen dieses selbst wohlbedacht die Zeit


fernung jener von ihr selbst berufenen Lehrerinnen anzugehen, eine doppelt
peinliche, wenn es wahr ist, daß er diesen Schritt that, als die Wittwe seines
älteren Bruders zum ersten Mal wieder nach des Letzteren Tode den Hof bei
Gelegenheit einer Feierlichkeit besuchte, bei Gelegenheit des goldnen Ehejubiläums
des regierenden Paares. Aber der König that diesen schweren Schritt, denn
er „wollte Frieden haben mit seinem Volke", er wollte jedem, wenn auch viel¬
leicht grundlosen Verdacht eines nicht streng verfassungsmäßigen Gebahrens
die Nahrung entziehen. So konnte die Regierung der Kammer ankündigen,
daß durch die persönliche Dazwischenkunft Sr. Majestät der Antrag Ludwig
sich factisch erledige, und der Antragsteller selbst zog mit einigen herzlichen
Dankesworten für diesen königlichen Act, unter dem Beifall der Kammer,
seinen Antrag zurück.

Ein zweites Beispiel echt constitutionellen Eingehens auf die Wünsche der
Volksvertretung gab König Johann ebenfalls bei diesem Landtage. Es be¬
stand in Sachsen noch von lange her die verfassungsmäßige Bestimmung, daß
die Präsidien beider Kammern nicht frei von diesen gewählt, sondern vom
Könige theils direkt (der Präsident der I. Kammer), theils nach Vorschlägen
aus den Kammern (der Vicepräsident der I. sowie Präsident und Vicepräfident
der II. Kammer) ernannt wurden. Der Wunsch einer Aenderung dieses
Brauchs (nach dem Muster fast aller deutschen Staaten) wenigstens für die II.
Kammer war längst laut geworden. Aber selbst die zur Vorberathung einer
neuen Landtagsordnung von der II. Kammer niedergesetzte außerordentliche
Deputation hatte, obschon sie mehrere sehr radicale Abgeordnete in ihrer Mitte
zählte, Anstand genommen, diesem Wunsche die Form eines Antrags zu ge¬
ben; sie wollte, wie es scheint, die persönlichen Gefühle des greisen Monarchen
schonen, dem die Ausübung jenes Erenennungsrechtes durch lange Gewohnheit
lieb geworden war. Die Kammer war daher nicht wenig überrascht, und
selbst liberale Abgeordnete hatten deß kein Hehl, als der König von freien
Stücken auf jenes Recht verzichtete und die Regierung eine dem entsprechende
Verfassungsänderung den Kammern vorlegte.

Ob Kronprinz Albert auf Geist und Gang der Regierung seines
königlichen Vaters schon jetzt einen Einfluß übt, mögen nur die Eingeweihtesten
wissen. In der I. Kammer, wo er den Sitz einnimmt, den sein Vater über
zwanzig Jahre lang eingenommen, soll er, obgleich bei den Verhandlungen
selbst ungleich weniger rednerisch thätig, als vordem „Prinz Johann", doch in
den Deputationen und sonst das Ministerium oft sehr wirksam unterstützen,
besonders in Finanzfragen, die seine Specialität bilden.

Es war eine der schlimmsten Intriguen der Hochtorys in der I. Kammer,
daß sie zu ihrem Sturmlaufen gegen die liberalen Organisationsgesetze des
Ministers von Nostiz-Wallwitz und gegen dieses selbst wohlbedacht die Zeit


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[0275] fernung jener von ihr selbst berufenen Lehrerinnen anzugehen, eine doppelt peinliche, wenn es wahr ist, daß er diesen Schritt that, als die Wittwe seines älteren Bruders zum ersten Mal wieder nach des Letzteren Tode den Hof bei Gelegenheit einer Feierlichkeit besuchte, bei Gelegenheit des goldnen Ehejubiläums des regierenden Paares. Aber der König that diesen schweren Schritt, denn er „wollte Frieden haben mit seinem Volke", er wollte jedem, wenn auch viel¬ leicht grundlosen Verdacht eines nicht streng verfassungsmäßigen Gebahrens die Nahrung entziehen. So konnte die Regierung der Kammer ankündigen, daß durch die persönliche Dazwischenkunft Sr. Majestät der Antrag Ludwig sich factisch erledige, und der Antragsteller selbst zog mit einigen herzlichen Dankesworten für diesen königlichen Act, unter dem Beifall der Kammer, seinen Antrag zurück. Ein zweites Beispiel echt constitutionellen Eingehens auf die Wünsche der Volksvertretung gab König Johann ebenfalls bei diesem Landtage. Es be¬ stand in Sachsen noch von lange her die verfassungsmäßige Bestimmung, daß die Präsidien beider Kammern nicht frei von diesen gewählt, sondern vom Könige theils direkt (der Präsident der I. Kammer), theils nach Vorschlägen aus den Kammern (der Vicepräsident der I. sowie Präsident und Vicepräfident der II. Kammer) ernannt wurden. Der Wunsch einer Aenderung dieses Brauchs (nach dem Muster fast aller deutschen Staaten) wenigstens für die II. Kammer war längst laut geworden. Aber selbst die zur Vorberathung einer neuen Landtagsordnung von der II. Kammer niedergesetzte außerordentliche Deputation hatte, obschon sie mehrere sehr radicale Abgeordnete in ihrer Mitte zählte, Anstand genommen, diesem Wunsche die Form eines Antrags zu ge¬ ben; sie wollte, wie es scheint, die persönlichen Gefühle des greisen Monarchen schonen, dem die Ausübung jenes Erenennungsrechtes durch lange Gewohnheit lieb geworden war. Die Kammer war daher nicht wenig überrascht, und selbst liberale Abgeordnete hatten deß kein Hehl, als der König von freien Stücken auf jenes Recht verzichtete und die Regierung eine dem entsprechende Verfassungsänderung den Kammern vorlegte. Ob Kronprinz Albert auf Geist und Gang der Regierung seines königlichen Vaters schon jetzt einen Einfluß übt, mögen nur die Eingeweihtesten wissen. In der I. Kammer, wo er den Sitz einnimmt, den sein Vater über zwanzig Jahre lang eingenommen, soll er, obgleich bei den Verhandlungen selbst ungleich weniger rednerisch thätig, als vordem „Prinz Johann", doch in den Deputationen und sonst das Ministerium oft sehr wirksam unterstützen, besonders in Finanzfragen, die seine Specialität bilden. Es war eine der schlimmsten Intriguen der Hochtorys in der I. Kammer, daß sie zu ihrem Sturmlaufen gegen die liberalen Organisationsgesetze des Ministers von Nostiz-Wallwitz und gegen dieses selbst wohlbedacht die Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/275>, abgerufen am 24.08.2024.