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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Zu Sillery sahen wir nur wenige Hektaren mit Reben bepflanzt, und
die Weine derselben werden weder zu den Berg-, noch zu den Flußsorten ge¬
rechnet. Das Schloß mit seinen Thürmchen ist ein moderner Bau, denn das
historische Gebäude ist von der Revolutionsfluth von 1789 weggeschwemmt
worden. Der tiefliegende Boden des zu ihm gehörenden Landes ist für das
Gedeihen des Weinstocks zu feucht, wie Herr Jacquesson. der gegenwärtige Besitzer
von Sillery, zu seinem Schaden gewahr wurde. Um den alten Ruf des Gutes
wieder zu beleben, bepflanzte er ihn mit Reben, die er nach einer Theorie,
welche er sich selbst erdacht, in tiefe Furchen einsenkte, so daß seine Weinpflan¬
zungen das Aussehen von riesigen Selleriebeeten bekamen. Um sie vor Hagel¬
schlag zu sichern, der hier häufig vorkommt, und wohl auch vor Frost, errich¬
tete er niedrige Pfosten an ihren Säumen, und häufte dicht dabei lange Bretter
auf, aus denen sich rasch ein Dach herstellen ließ. Aber der Plan schlug fehl.
Die Neben kränkelten wegen der Nässe an der Wurzel, und letztes Jahr wurden
sie vollständig ausgerodet.

Heutzutage wird nur noch sehr wenig Sikler^ see gemacht, und dieser
wird, wie die Rothweine von Bouzy und Rilly, meist für den eignen Ver¬
brauch der Weinbauer aufgehoben. Er kommt vorzüglich aus den Weinber¬
gen von Verzennay und Mailly, die etwa eine Stunde Weges entfernt sind.
Ein Winzer gestand uns offen, daß es mit seinem alten Rufe vorbei sei, und
daß man besseren Bordeaux und Burgunder für weniger Geld bekommen
könne. Bei der Fabrikation von herbem Sillery, der an Ort und Stelle als
werthvolles komisches Mittel geschätzt wird, ist nothwendig, daß man die
Trauben nur einer leichten Pressung unterwirft, und damit er seine volle Güte
gewinne, ist ebenso wesentlich, daß der Wein zehn Jahre auf dem Fasse oder
nach Andern acht Jahre in der Flasche bleibe, welchem Umstände wahrschein¬
lich sein hoher Preis zugeschrieben werden muß. Im Verlauf der Zeit setzt
er stark ab, auch hat er den Fehler, daß er wie alle feineren nicht moussirenden
Weinsorten dieses Bezirks sich nicht gut versenden läßt.

Der Schaumwein der Champagne machte sein Debüt in der vornehmen
Welt unter dem bereits erwähnten Marquis von Sillery zu einer Zeit, wo
die Interessenten der Burgunder- und Bordeaux-Weine sich bemühten, ihnen
die Gunst Ludwigs des Vierzehnten in seinen bigotten alten Tagen zu ge¬
winnen. Der Marquis gehörte zu der Schar junger Lebemänner, mit denen
sich der Herzog von Vendome in seiner Zurückgezogenheit umgeben, nachdem
er die Schlacht bei Oudenarde und mit ihr das Wohlwollen des Königs ver¬
loren hatte. Während eines der berühmten Abendschmäuse zu Anet drang
Sillery plötzlich in den Speisesaal ein, gefolgt von einem-Dutzend blühender
junger Damen, welche Bachantinnen vorstellten und Weinlaubkränze auf den
Stirnen sowie Blumen in Körben in den Händen trugen, Indem der Mar-


Zu Sillery sahen wir nur wenige Hektaren mit Reben bepflanzt, und
die Weine derselben werden weder zu den Berg-, noch zu den Flußsorten ge¬
rechnet. Das Schloß mit seinen Thürmchen ist ein moderner Bau, denn das
historische Gebäude ist von der Revolutionsfluth von 1789 weggeschwemmt
worden. Der tiefliegende Boden des zu ihm gehörenden Landes ist für das
Gedeihen des Weinstocks zu feucht, wie Herr Jacquesson. der gegenwärtige Besitzer
von Sillery, zu seinem Schaden gewahr wurde. Um den alten Ruf des Gutes
wieder zu beleben, bepflanzte er ihn mit Reben, die er nach einer Theorie,
welche er sich selbst erdacht, in tiefe Furchen einsenkte, so daß seine Weinpflan¬
zungen das Aussehen von riesigen Selleriebeeten bekamen. Um sie vor Hagel¬
schlag zu sichern, der hier häufig vorkommt, und wohl auch vor Frost, errich¬
tete er niedrige Pfosten an ihren Säumen, und häufte dicht dabei lange Bretter
auf, aus denen sich rasch ein Dach herstellen ließ. Aber der Plan schlug fehl.
Die Neben kränkelten wegen der Nässe an der Wurzel, und letztes Jahr wurden
sie vollständig ausgerodet.

Heutzutage wird nur noch sehr wenig Sikler^ see gemacht, und dieser
wird, wie die Rothweine von Bouzy und Rilly, meist für den eignen Ver¬
brauch der Weinbauer aufgehoben. Er kommt vorzüglich aus den Weinber¬
gen von Verzennay und Mailly, die etwa eine Stunde Weges entfernt sind.
Ein Winzer gestand uns offen, daß es mit seinem alten Rufe vorbei sei, und
daß man besseren Bordeaux und Burgunder für weniger Geld bekommen
könne. Bei der Fabrikation von herbem Sillery, der an Ort und Stelle als
werthvolles komisches Mittel geschätzt wird, ist nothwendig, daß man die
Trauben nur einer leichten Pressung unterwirft, und damit er seine volle Güte
gewinne, ist ebenso wesentlich, daß der Wein zehn Jahre auf dem Fasse oder
nach Andern acht Jahre in der Flasche bleibe, welchem Umstände wahrschein¬
lich sein hoher Preis zugeschrieben werden muß. Im Verlauf der Zeit setzt
er stark ab, auch hat er den Fehler, daß er wie alle feineren nicht moussirenden
Weinsorten dieses Bezirks sich nicht gut versenden läßt.

Der Schaumwein der Champagne machte sein Debüt in der vornehmen
Welt unter dem bereits erwähnten Marquis von Sillery zu einer Zeit, wo
die Interessenten der Burgunder- und Bordeaux-Weine sich bemühten, ihnen
die Gunst Ludwigs des Vierzehnten in seinen bigotten alten Tagen zu ge¬
winnen. Der Marquis gehörte zu der Schar junger Lebemänner, mit denen
sich der Herzog von Vendome in seiner Zurückgezogenheit umgeben, nachdem
er die Schlacht bei Oudenarde und mit ihr das Wohlwollen des Königs ver¬
loren hatte. Während eines der berühmten Abendschmäuse zu Anet drang
Sillery plötzlich in den Speisesaal ein, gefolgt von einem-Dutzend blühender
junger Damen, welche Bachantinnen vorstellten und Weinlaubkränze auf den
Stirnen sowie Blumen in Körben in den Händen trugen, Indem der Mar-


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[0270] Zu Sillery sahen wir nur wenige Hektaren mit Reben bepflanzt, und die Weine derselben werden weder zu den Berg-, noch zu den Flußsorten ge¬ rechnet. Das Schloß mit seinen Thürmchen ist ein moderner Bau, denn das historische Gebäude ist von der Revolutionsfluth von 1789 weggeschwemmt worden. Der tiefliegende Boden des zu ihm gehörenden Landes ist für das Gedeihen des Weinstocks zu feucht, wie Herr Jacquesson. der gegenwärtige Besitzer von Sillery, zu seinem Schaden gewahr wurde. Um den alten Ruf des Gutes wieder zu beleben, bepflanzte er ihn mit Reben, die er nach einer Theorie, welche er sich selbst erdacht, in tiefe Furchen einsenkte, so daß seine Weinpflan¬ zungen das Aussehen von riesigen Selleriebeeten bekamen. Um sie vor Hagel¬ schlag zu sichern, der hier häufig vorkommt, und wohl auch vor Frost, errich¬ tete er niedrige Pfosten an ihren Säumen, und häufte dicht dabei lange Bretter auf, aus denen sich rasch ein Dach herstellen ließ. Aber der Plan schlug fehl. Die Neben kränkelten wegen der Nässe an der Wurzel, und letztes Jahr wurden sie vollständig ausgerodet. Heutzutage wird nur noch sehr wenig Sikler^ see gemacht, und dieser wird, wie die Rothweine von Bouzy und Rilly, meist für den eignen Ver¬ brauch der Weinbauer aufgehoben. Er kommt vorzüglich aus den Weinber¬ gen von Verzennay und Mailly, die etwa eine Stunde Weges entfernt sind. Ein Winzer gestand uns offen, daß es mit seinem alten Rufe vorbei sei, und daß man besseren Bordeaux und Burgunder für weniger Geld bekommen könne. Bei der Fabrikation von herbem Sillery, der an Ort und Stelle als werthvolles komisches Mittel geschätzt wird, ist nothwendig, daß man die Trauben nur einer leichten Pressung unterwirft, und damit er seine volle Güte gewinne, ist ebenso wesentlich, daß der Wein zehn Jahre auf dem Fasse oder nach Andern acht Jahre in der Flasche bleibe, welchem Umstände wahrschein¬ lich sein hoher Preis zugeschrieben werden muß. Im Verlauf der Zeit setzt er stark ab, auch hat er den Fehler, daß er wie alle feineren nicht moussirenden Weinsorten dieses Bezirks sich nicht gut versenden läßt. Der Schaumwein der Champagne machte sein Debüt in der vornehmen Welt unter dem bereits erwähnten Marquis von Sillery zu einer Zeit, wo die Interessenten der Burgunder- und Bordeaux-Weine sich bemühten, ihnen die Gunst Ludwigs des Vierzehnten in seinen bigotten alten Tagen zu ge¬ winnen. Der Marquis gehörte zu der Schar junger Lebemänner, mit denen sich der Herzog von Vendome in seiner Zurückgezogenheit umgeben, nachdem er die Schlacht bei Oudenarde und mit ihr das Wohlwollen des Königs ver¬ loren hatte. Während eines der berühmten Abendschmäuse zu Anet drang Sillery plötzlich in den Speisesaal ein, gefolgt von einem-Dutzend blühender junger Damen, welche Bachantinnen vorstellten und Weinlaubkränze auf den Stirnen sowie Blumen in Körben in den Händen trugen, Indem der Mar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/270>, abgerufen am 24.08.2024.