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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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auf den Markt kommt. Die unter die Presse gebrachten Trauben bleiben acht
Tage in der Kufe, der Most wird dann einer langen Gährung überlassen,
nach welcher er auf Fässer abgezogen und zwei Jahre ungestört im Holze be¬
lassen wird. In der Flasche, wo er stets einen Niederschlage absetzt, was mit
allen Weinen der Champagne der Fall ist, mit den moussirenden sowohl wie
mit den stillen, hält er sich, wie man uns versicherte, länger gut als irgend¬
welcher Burgunder.

Von Bouzy fährt man, immer am Rebenhügel hin, nur eine kleine Strecke
bis Ambonnay, welches nur zwei bis dreihundert Acker Land mit Wein be¬
pflanzt hat, und wo die Lese bei unsrer Ankunft schon vorüber war. Indem
wir uns nach dem größten Weinerzeuger erkundigten, wies man uns nach
einer offenstehenden Einfahrt, durch die wir in einen weiten Hof gelangten,
wo man ein halb Dutzend Tagelöhner mit verschiedenen landwirthschaftlichen
Arbeiten beschäftigt sah. Indem wir einen derselben, der uns der Oberste zu
sein schien, anredeten, wies er uns an einen struppigen kleinen Mann in Hemd¬
ärmeln und Holzschuhen, der sich der erfrischenden Aufgabe widmete, einen
großen Haufen fetten Düngers mit der Mistharke umzuwenden. Es ergab
sich, daß es Monsieur Oury war, der Besitzer von so und so viel Acker Reb¬
laub und ein merkwürdig intelligenter Bauer, der sich durch eine Aufgeweckt¬
heit, die ihn wesentlich von der Tölpelhaftigkeit des französischen Alltagsbauern
unterschied, zu großer Wohlhäbigkeit emporgearbeitet hatte. Rasch schnellte
er seine "sadots" von den Füßen, zog eine reine Blouse an und führte uns
in seine kleine Putzstube, ein frisch geweißtes Gemach von etwa acht Quadrat¬
fuß Größe, von welchem der ungeheuere Kamin reichlich ein Drittel in An¬
spruch nahm. Hier erwartete er geduldig, was wir ihm abfragen würden.

Zu Ambonnay hatte man, wie Herr Oury uns mittheilte, ganz ebenso
5vie in Bouzy dieses Jahr nur eine halbe Mittellese geerntet. Auch war die
eayuiz genau für denselben Preis, wie dort verkauft worden, und der Wein,
vorzüglich von den Agenten der Häuser Clicquot und Pommery aufgekauft,
war mit 800 Francs per Stück bezahlt worden. Jede mit Reben bepflanzte
Hectare (2^ Acker) hatte dieses Jahr 46 oayuLs Trauben geliefert, was 6^
Stück Wein gab. Hier preßte man die Trauben nur vier Mal, und das Er¬
gebniß der zweiten Pressung wurde zum Ersatz des Verlustes verwendet, den
das Product der ersten bei der Gährung erlitten. Da diese Quetschungen mit
großer Kraft vorgenommen wurden, so war der Most der dritten und vierten
selbst in einem Jahre wie dieses nur 80 Francs per Stück werth. Viele von
den in dieser Gegend beschäftigten Winzern waren aus Se. Menehould in den
Argonnen, neun deutsche Meilen von hier, manche sogar aus Lothringen.
Sie bekamen entweder anderthalb Francs den Tag und das Essen, das aus
drei Mahlzeiten bestand, oder dritthalb Francs ohne Essen. Kindern zahlte


auf den Markt kommt. Die unter die Presse gebrachten Trauben bleiben acht
Tage in der Kufe, der Most wird dann einer langen Gährung überlassen,
nach welcher er auf Fässer abgezogen und zwei Jahre ungestört im Holze be¬
lassen wird. In der Flasche, wo er stets einen Niederschlage absetzt, was mit
allen Weinen der Champagne der Fall ist, mit den moussirenden sowohl wie
mit den stillen, hält er sich, wie man uns versicherte, länger gut als irgend¬
welcher Burgunder.

Von Bouzy fährt man, immer am Rebenhügel hin, nur eine kleine Strecke
bis Ambonnay, welches nur zwei bis dreihundert Acker Land mit Wein be¬
pflanzt hat, und wo die Lese bei unsrer Ankunft schon vorüber war. Indem
wir uns nach dem größten Weinerzeuger erkundigten, wies man uns nach
einer offenstehenden Einfahrt, durch die wir in einen weiten Hof gelangten,
wo man ein halb Dutzend Tagelöhner mit verschiedenen landwirthschaftlichen
Arbeiten beschäftigt sah. Indem wir einen derselben, der uns der Oberste zu
sein schien, anredeten, wies er uns an einen struppigen kleinen Mann in Hemd¬
ärmeln und Holzschuhen, der sich der erfrischenden Aufgabe widmete, einen
großen Haufen fetten Düngers mit der Mistharke umzuwenden. Es ergab
sich, daß es Monsieur Oury war, der Besitzer von so und so viel Acker Reb¬
laub und ein merkwürdig intelligenter Bauer, der sich durch eine Aufgeweckt¬
heit, die ihn wesentlich von der Tölpelhaftigkeit des französischen Alltagsbauern
unterschied, zu großer Wohlhäbigkeit emporgearbeitet hatte. Rasch schnellte
er seine „sadots" von den Füßen, zog eine reine Blouse an und führte uns
in seine kleine Putzstube, ein frisch geweißtes Gemach von etwa acht Quadrat¬
fuß Größe, von welchem der ungeheuere Kamin reichlich ein Drittel in An¬
spruch nahm. Hier erwartete er geduldig, was wir ihm abfragen würden.

Zu Ambonnay hatte man, wie Herr Oury uns mittheilte, ganz ebenso
5vie in Bouzy dieses Jahr nur eine halbe Mittellese geerntet. Auch war die
eayuiz genau für denselben Preis, wie dort verkauft worden, und der Wein,
vorzüglich von den Agenten der Häuser Clicquot und Pommery aufgekauft,
war mit 800 Francs per Stück bezahlt worden. Jede mit Reben bepflanzte
Hectare (2^ Acker) hatte dieses Jahr 46 oayuLs Trauben geliefert, was 6^
Stück Wein gab. Hier preßte man die Trauben nur vier Mal, und das Er¬
gebniß der zweiten Pressung wurde zum Ersatz des Verlustes verwendet, den
das Product der ersten bei der Gährung erlitten. Da diese Quetschungen mit
großer Kraft vorgenommen wurden, so war der Most der dritten und vierten
selbst in einem Jahre wie dieses nur 80 Francs per Stück werth. Viele von
den in dieser Gegend beschäftigten Winzern waren aus Se. Menehould in den
Argonnen, neun deutsche Meilen von hier, manche sogar aus Lothringen.
Sie bekamen entweder anderthalb Francs den Tag und das Essen, das aus
drei Mahlzeiten bestand, oder dritthalb Francs ohne Essen. Kindern zahlte


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[0267] auf den Markt kommt. Die unter die Presse gebrachten Trauben bleiben acht Tage in der Kufe, der Most wird dann einer langen Gährung überlassen, nach welcher er auf Fässer abgezogen und zwei Jahre ungestört im Holze be¬ lassen wird. In der Flasche, wo er stets einen Niederschlage absetzt, was mit allen Weinen der Champagne der Fall ist, mit den moussirenden sowohl wie mit den stillen, hält er sich, wie man uns versicherte, länger gut als irgend¬ welcher Burgunder. Von Bouzy fährt man, immer am Rebenhügel hin, nur eine kleine Strecke bis Ambonnay, welches nur zwei bis dreihundert Acker Land mit Wein be¬ pflanzt hat, und wo die Lese bei unsrer Ankunft schon vorüber war. Indem wir uns nach dem größten Weinerzeuger erkundigten, wies man uns nach einer offenstehenden Einfahrt, durch die wir in einen weiten Hof gelangten, wo man ein halb Dutzend Tagelöhner mit verschiedenen landwirthschaftlichen Arbeiten beschäftigt sah. Indem wir einen derselben, der uns der Oberste zu sein schien, anredeten, wies er uns an einen struppigen kleinen Mann in Hemd¬ ärmeln und Holzschuhen, der sich der erfrischenden Aufgabe widmete, einen großen Haufen fetten Düngers mit der Mistharke umzuwenden. Es ergab sich, daß es Monsieur Oury war, der Besitzer von so und so viel Acker Reb¬ laub und ein merkwürdig intelligenter Bauer, der sich durch eine Aufgeweckt¬ heit, die ihn wesentlich von der Tölpelhaftigkeit des französischen Alltagsbauern unterschied, zu großer Wohlhäbigkeit emporgearbeitet hatte. Rasch schnellte er seine „sadots" von den Füßen, zog eine reine Blouse an und führte uns in seine kleine Putzstube, ein frisch geweißtes Gemach von etwa acht Quadrat¬ fuß Größe, von welchem der ungeheuere Kamin reichlich ein Drittel in An¬ spruch nahm. Hier erwartete er geduldig, was wir ihm abfragen würden. Zu Ambonnay hatte man, wie Herr Oury uns mittheilte, ganz ebenso 5vie in Bouzy dieses Jahr nur eine halbe Mittellese geerntet. Auch war die eayuiz genau für denselben Preis, wie dort verkauft worden, und der Wein, vorzüglich von den Agenten der Häuser Clicquot und Pommery aufgekauft, war mit 800 Francs per Stück bezahlt worden. Jede mit Reben bepflanzte Hectare (2^ Acker) hatte dieses Jahr 46 oayuLs Trauben geliefert, was 6^ Stück Wein gab. Hier preßte man die Trauben nur vier Mal, und das Er¬ gebniß der zweiten Pressung wurde zum Ersatz des Verlustes verwendet, den das Product der ersten bei der Gährung erlitten. Da diese Quetschungen mit großer Kraft vorgenommen wurden, so war der Most der dritten und vierten selbst in einem Jahre wie dieses nur 80 Francs per Stück werth. Viele von den in dieser Gegend beschäftigten Winzern waren aus Se. Menehould in den Argonnen, neun deutsche Meilen von hier, manche sogar aus Lothringen. Sie bekamen entweder anderthalb Francs den Tag und das Essen, das aus drei Mahlzeiten bestand, oder dritthalb Francs ohne Essen. Kindern zahlte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/267>, abgerufen am 24.08.2024.