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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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moussirende) Rothweine, den einen aus dem südlichen, den andern aus dem
nördlichen AbHange dieses Hügelzugs, dessen Flanken mit Reben bekleidet sind,
während sein Kamm mit Wald bedeckt ist, in welchem unzählige wilde Schweine
Hausen. Jene Weine genießen an Ort und Stelle der höchsten Werthschätzung,
und zwar sollte man meinen, vorzüglich wegen ihrer Seltenheit und weniger
deshalb, weil sie an sich große Verdienste hätten. Es sind die Weine von
Nlly-la-Montagne und Bouzy, die beide in den Weinbergen von Veuve Clie-
quot-Ponsardin nach einem glücklichen Gedanken des Haupttheilnehmers dieses
berühmten Hauses gebaut werden. Ueber die Art, wie er die Tugenden des
ersteren entdeckte, wird Folgendes erzählt. Er hatte gehört, daß mancher Wein
durch Seereisen nach oder durch Verweilen in Nordamerika besondere Eigen¬
schaften entwickele. So hatte er die Idee, als er einmal etliche Körbe Champagner
nach Neuyork versandte, ein Dutzend Flaschen Tilly-la-Montagne, die einen
zweifelhaften Charakter hatten, mit zu schicken. Sein Agent in Neuyork
erhielt den Auftrag, den Wein in den Keller zu legen, ihn dort drei Monate
zu lassen, und ihn dann wieder nach Frankreich zu schicken. Als der Wein
wiederkam, waren die Seiten der Flaschen mit abgesetztem Farbestoff bedeckt
und der Wein selbst trübe. Man setzte ihn sechs Wochen in den Keller,
füllte ihn dann auf andere Flaschen, und siehe da, es war ein Wein von
glänzender Klarheit und vortrefflichem Geschmack geworden. Der einzige
Fehler war, daß er seine Farbe verloren hatte und lichtbraun wie echter Cog¬
nac aussah. Was für einem Verfahren Monsieur Werte den Rlly-la-Montagne
jetzt unterwirft, um ihn zu der Stufe der Vollkommenheit zu erheben, die er
im Keller der Veuve Clicquot erreichen soll, ist uns nicht bekannt geworden.
Vielleicht hat auch ein Spaßvogel dem Engländer, dessen Bericht wir hier im
Auszug mittheilen, mit der amerikanischen Reise des Weins ein Märchen
aufgebunden. Gewiß ist wenigstens, daß man den Wein nicht in Masse Jahr
auf Jahr zur Cur oder auf die hohe Schule nach Amerika verschiffen kann.

Der nicht moussirende Rothwein von Bouzy hat ein stark hervortretendes
und angenehmes Bouquet und einen sehr feinen Geschmack, geht äußerst glatt
über die Zunge und kommt einem so leicht wie Bordeaux vor, während er in
Wahrheit so schwer wie irgend einer der Weine von Burgund ist, deren edlere
"crus" ihm ausfallend gleichen. Er ist, wie man hört, sehr empfindlich für die Ver¬
schickung ; denn eine bloße Reise nach Paris reicht hin, ihn krank werden zu
lassen und seiner zarten Körperbeschaffenheit einen Stoß zu versetzen, von
dem er sich schwer wieder erholt. Um seine höchste Vollkommenheit zu erreichen,
verlangt dieser Wein, der nach französischen Ausdrucke ein "vin vit" ist und
bis in die entferntesten Winkel des Geschmacksorgans eindringt, einen Aufent¬
halt von zwei Jahren auf dem Fasse und eme Aufbewahrung von mindestens
sechs Jahren in der Flasche.


moussirende) Rothweine, den einen aus dem südlichen, den andern aus dem
nördlichen AbHange dieses Hügelzugs, dessen Flanken mit Reben bekleidet sind,
während sein Kamm mit Wald bedeckt ist, in welchem unzählige wilde Schweine
Hausen. Jene Weine genießen an Ort und Stelle der höchsten Werthschätzung,
und zwar sollte man meinen, vorzüglich wegen ihrer Seltenheit und weniger
deshalb, weil sie an sich große Verdienste hätten. Es sind die Weine von
Nlly-la-Montagne und Bouzy, die beide in den Weinbergen von Veuve Clie-
quot-Ponsardin nach einem glücklichen Gedanken des Haupttheilnehmers dieses
berühmten Hauses gebaut werden. Ueber die Art, wie er die Tugenden des
ersteren entdeckte, wird Folgendes erzählt. Er hatte gehört, daß mancher Wein
durch Seereisen nach oder durch Verweilen in Nordamerika besondere Eigen¬
schaften entwickele. So hatte er die Idee, als er einmal etliche Körbe Champagner
nach Neuyork versandte, ein Dutzend Flaschen Tilly-la-Montagne, die einen
zweifelhaften Charakter hatten, mit zu schicken. Sein Agent in Neuyork
erhielt den Auftrag, den Wein in den Keller zu legen, ihn dort drei Monate
zu lassen, und ihn dann wieder nach Frankreich zu schicken. Als der Wein
wiederkam, waren die Seiten der Flaschen mit abgesetztem Farbestoff bedeckt
und der Wein selbst trübe. Man setzte ihn sechs Wochen in den Keller,
füllte ihn dann auf andere Flaschen, und siehe da, es war ein Wein von
glänzender Klarheit und vortrefflichem Geschmack geworden. Der einzige
Fehler war, daß er seine Farbe verloren hatte und lichtbraun wie echter Cog¬
nac aussah. Was für einem Verfahren Monsieur Werte den Rlly-la-Montagne
jetzt unterwirft, um ihn zu der Stufe der Vollkommenheit zu erheben, die er
im Keller der Veuve Clicquot erreichen soll, ist uns nicht bekannt geworden.
Vielleicht hat auch ein Spaßvogel dem Engländer, dessen Bericht wir hier im
Auszug mittheilen, mit der amerikanischen Reise des Weins ein Märchen
aufgebunden. Gewiß ist wenigstens, daß man den Wein nicht in Masse Jahr
auf Jahr zur Cur oder auf die hohe Schule nach Amerika verschiffen kann.

Der nicht moussirende Rothwein von Bouzy hat ein stark hervortretendes
und angenehmes Bouquet und einen sehr feinen Geschmack, geht äußerst glatt
über die Zunge und kommt einem so leicht wie Bordeaux vor, während er in
Wahrheit so schwer wie irgend einer der Weine von Burgund ist, deren edlere
„crus" ihm ausfallend gleichen. Er ist, wie man hört, sehr empfindlich für die Ver¬
schickung ; denn eine bloße Reise nach Paris reicht hin, ihn krank werden zu
lassen und seiner zarten Körperbeschaffenheit einen Stoß zu versetzen, von
dem er sich schwer wieder erholt. Um seine höchste Vollkommenheit zu erreichen,
verlangt dieser Wein, der nach französischen Ausdrucke ein „vin vit" ist und
bis in die entferntesten Winkel des Geschmacksorgans eindringt, einen Aufent¬
halt von zwei Jahren auf dem Fasse und eme Aufbewahrung von mindestens
sechs Jahren in der Flasche.


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[0264] moussirende) Rothweine, den einen aus dem südlichen, den andern aus dem nördlichen AbHange dieses Hügelzugs, dessen Flanken mit Reben bekleidet sind, während sein Kamm mit Wald bedeckt ist, in welchem unzählige wilde Schweine Hausen. Jene Weine genießen an Ort und Stelle der höchsten Werthschätzung, und zwar sollte man meinen, vorzüglich wegen ihrer Seltenheit und weniger deshalb, weil sie an sich große Verdienste hätten. Es sind die Weine von Nlly-la-Montagne und Bouzy, die beide in den Weinbergen von Veuve Clie- quot-Ponsardin nach einem glücklichen Gedanken des Haupttheilnehmers dieses berühmten Hauses gebaut werden. Ueber die Art, wie er die Tugenden des ersteren entdeckte, wird Folgendes erzählt. Er hatte gehört, daß mancher Wein durch Seereisen nach oder durch Verweilen in Nordamerika besondere Eigen¬ schaften entwickele. So hatte er die Idee, als er einmal etliche Körbe Champagner nach Neuyork versandte, ein Dutzend Flaschen Tilly-la-Montagne, die einen zweifelhaften Charakter hatten, mit zu schicken. Sein Agent in Neuyork erhielt den Auftrag, den Wein in den Keller zu legen, ihn dort drei Monate zu lassen, und ihn dann wieder nach Frankreich zu schicken. Als der Wein wiederkam, waren die Seiten der Flaschen mit abgesetztem Farbestoff bedeckt und der Wein selbst trübe. Man setzte ihn sechs Wochen in den Keller, füllte ihn dann auf andere Flaschen, und siehe da, es war ein Wein von glänzender Klarheit und vortrefflichem Geschmack geworden. Der einzige Fehler war, daß er seine Farbe verloren hatte und lichtbraun wie echter Cog¬ nac aussah. Was für einem Verfahren Monsieur Werte den Rlly-la-Montagne jetzt unterwirft, um ihn zu der Stufe der Vollkommenheit zu erheben, die er im Keller der Veuve Clicquot erreichen soll, ist uns nicht bekannt geworden. Vielleicht hat auch ein Spaßvogel dem Engländer, dessen Bericht wir hier im Auszug mittheilen, mit der amerikanischen Reise des Weins ein Märchen aufgebunden. Gewiß ist wenigstens, daß man den Wein nicht in Masse Jahr auf Jahr zur Cur oder auf die hohe Schule nach Amerika verschiffen kann. Der nicht moussirende Rothwein von Bouzy hat ein stark hervortretendes und angenehmes Bouquet und einen sehr feinen Geschmack, geht äußerst glatt über die Zunge und kommt einem so leicht wie Bordeaux vor, während er in Wahrheit so schwer wie irgend einer der Weine von Burgund ist, deren edlere „crus" ihm ausfallend gleichen. Er ist, wie man hört, sehr empfindlich für die Ver¬ schickung ; denn eine bloße Reise nach Paris reicht hin, ihn krank werden zu lassen und seiner zarten Körperbeschaffenheit einen Stoß zu versetzen, von dem er sich schwer wieder erholt. Um seine höchste Vollkommenheit zu erreichen, verlangt dieser Wein, der nach französischen Ausdrucke ein „vin vit" ist und bis in die entferntesten Winkel des Geschmacksorgans eindringt, einen Aufent¬ halt von zwei Jahren auf dem Fasse und eme Aufbewahrung von mindestens sechs Jahren in der Flasche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/264>, abgerufen am 24.08.2024.