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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Der Verkehr Rückert's mit dem andern, in seiner Art immerhin großen,
wenigstens originellen Staatsmann Wangenheim ist vielleicht, wenn man ihn
nach der Uhr messen wollte, noch ein viel häufigerer gewesen als mit Stock-
mar. Auch treten bei Wangenheim neben und vor den politischen Interessen
alle möglichen anderen des höheren geistigen Lebens der Zeit in den Vorder¬
grund, da der unglaublich vielseitig angeregte und productive Greis wenigstens
bis 1848 entschieden des Glaubens der Mehrzahl seiner gebildeten, wenn auch
daneben patriotisch gesinnten Landsleute lebte, daß die Politik im Vergleich
mit Literatur, Kunst, Wissenschaft und wer weiß was sonst noch, doch eigent¬
lich nur auf ein Nebenplätzchen in dem Kopfe und Herzen eines deutschen
Mannes Anspruch zu machen habe. So erklärt es sich, daß die unversöhnlichen
Gegensätze in der Auffassung der Prinzipien und ihrer Anwendung auf die
Hauptsache, auf die deutsche Frage, zwar Stockmar und Wangenheim, ob¬
gleich die nächsten Berufsgenossen und so viele Jahre Bewohner einer und
derselben kleinen Stadt, je länger, je mehr auseinanderhielten, so daß
zwischen beiden wohl ein achtungsvoller und freundlicher Verkehr, aber keine
Spur wirklicher Intimität stattfand, während eine solche doch Rückert und
Wangenheim verband, unbeschadet gelegentlicher Differenzen nicht bloß in
der Politik, und unbeschadet oder vielleicht gerade wegen des oft beinahe
erschreckenden "Aufeinanderplatzens der Geister". Aber mit dem Jahre 1848
zeigte sich denn doch, daß die Politik für Kopf und Herz eines mannhaften
Deutschen, wie beide Freunde waren, etwas mehr als eine Nebensache sei und
von da an glichen sich die immer schroffer an der Wirklichkeit entwickelten
Gegensätze zwischen dem idealistischen großdeutschen Staatsmanne und dem
starr unitarisch gesinnten Dichter nicht mehr aus. Wangenheim's vielberu¬
fenes politisches Manifest von 1849, das sich zu einem Buche von ISO Seiten
dehnt "Oesterreich. Preußen und das reine Deutschland auf der Grundlage des
deutschen Staatenbundes organisch zum deutschen Bundesstaate vereinigt"
trägt zwar noch in Rückert's Exemplar die Aufschrift: "Seinem hochverehrten
Freunde Fr. Rückert wo möglich zur Verständigung vom für so Vieles ihm
zum Danke verpflichteten Verfasser." Aber dieß "wo möglich" ist ein frommer
Wunsch geblieben. Die Kluft würde sich noch mehr erweitert haben, wäre
nicht Wangenheim schon im Frühjahr 18S6 gestorben. Aber gewiß wäre Rückert
nach seiner Art in alterthümlicher, wenigstens jetzt nicht mehr so häufiger
Pietät, die Persönlichkeit des Freundes mit allen ihren Absonderlichkeiten doch
noch lieb zu behalten, seinem alten Wangenheim nicht untreu geworden,
so wenig wie dem ebenso sehr in der Politik ihm entfremdeten Kupferstecher,
Maler und Dichter Carl Barth, dessen idealistischer oder phantastischer Radi¬
kalismus ihm so manchen Zornesausbruch entlockte, ohne daß doch der "liebe


Der Verkehr Rückert's mit dem andern, in seiner Art immerhin großen,
wenigstens originellen Staatsmann Wangenheim ist vielleicht, wenn man ihn
nach der Uhr messen wollte, noch ein viel häufigerer gewesen als mit Stock-
mar. Auch treten bei Wangenheim neben und vor den politischen Interessen
alle möglichen anderen des höheren geistigen Lebens der Zeit in den Vorder¬
grund, da der unglaublich vielseitig angeregte und productive Greis wenigstens
bis 1848 entschieden des Glaubens der Mehrzahl seiner gebildeten, wenn auch
daneben patriotisch gesinnten Landsleute lebte, daß die Politik im Vergleich
mit Literatur, Kunst, Wissenschaft und wer weiß was sonst noch, doch eigent¬
lich nur auf ein Nebenplätzchen in dem Kopfe und Herzen eines deutschen
Mannes Anspruch zu machen habe. So erklärt es sich, daß die unversöhnlichen
Gegensätze in der Auffassung der Prinzipien und ihrer Anwendung auf die
Hauptsache, auf die deutsche Frage, zwar Stockmar und Wangenheim, ob¬
gleich die nächsten Berufsgenossen und so viele Jahre Bewohner einer und
derselben kleinen Stadt, je länger, je mehr auseinanderhielten, so daß
zwischen beiden wohl ein achtungsvoller und freundlicher Verkehr, aber keine
Spur wirklicher Intimität stattfand, während eine solche doch Rückert und
Wangenheim verband, unbeschadet gelegentlicher Differenzen nicht bloß in
der Politik, und unbeschadet oder vielleicht gerade wegen des oft beinahe
erschreckenden „Aufeinanderplatzens der Geister". Aber mit dem Jahre 1848
zeigte sich denn doch, daß die Politik für Kopf und Herz eines mannhaften
Deutschen, wie beide Freunde waren, etwas mehr als eine Nebensache sei und
von da an glichen sich die immer schroffer an der Wirklichkeit entwickelten
Gegensätze zwischen dem idealistischen großdeutschen Staatsmanne und dem
starr unitarisch gesinnten Dichter nicht mehr aus. Wangenheim's vielberu¬
fenes politisches Manifest von 1849, das sich zu einem Buche von ISO Seiten
dehnt „Oesterreich. Preußen und das reine Deutschland auf der Grundlage des
deutschen Staatenbundes organisch zum deutschen Bundesstaate vereinigt"
trägt zwar noch in Rückert's Exemplar die Aufschrift: „Seinem hochverehrten
Freunde Fr. Rückert wo möglich zur Verständigung vom für so Vieles ihm
zum Danke verpflichteten Verfasser." Aber dieß „wo möglich" ist ein frommer
Wunsch geblieben. Die Kluft würde sich noch mehr erweitert haben, wäre
nicht Wangenheim schon im Frühjahr 18S6 gestorben. Aber gewiß wäre Rückert
nach seiner Art in alterthümlicher, wenigstens jetzt nicht mehr so häufiger
Pietät, die Persönlichkeit des Freundes mit allen ihren Absonderlichkeiten doch
noch lieb zu behalten, seinem alten Wangenheim nicht untreu geworden,
so wenig wie dem ebenso sehr in der Politik ihm entfremdeten Kupferstecher,
Maler und Dichter Carl Barth, dessen idealistischer oder phantastischer Radi¬
kalismus ihm so manchen Zornesausbruch entlockte, ohne daß doch der „liebe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/258>, abgerufen am 24.08.2024.