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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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gebend und lernend, so war die Anregung doch eine gegenseitige, und wie
hoch der ältere Freund das Talent des jüngeren schätzte, ist schon oben er¬
wähnt. Jedenfalls herrschte schon damals zwischen beiden ein vollständig
harmonisches Verständniß für die ganze Sphäre des seelischen, gemüthlichen
und intellectuellen Lebens.

Das spätere Leben änderte viel davon. Die innere Entfaltung des Dich¬
ters führte ihn über jene wesentlich von den Einflüssen der Romantik gefärbten
Anfänge weit hinaus zu einem freien nud klaren Blick auf die Wirklichkeit
und ihre großen ethischen Mächte. Die Geschicke des Vaterlandes, die poli¬
tischen Aufgaben seiner Nation, aber auch die religiösen und kirchlichen Pro¬
bleme der Zeit zogen ihn je mehr, je ernster an sich heran und wenn er sich
auch nicht berufen fühlte, als eigentlicher Mann der That in das Gebiet der
Wirklichkeit einzugreifen, richtete er doch auf diesem Fundamente das Gebäude
seiner reichsten poetischen Schöpfungen auf.

Auch Schubart machte einen folgenreichen Entwickelungsgang durch, wenn
auch wahrscheinlich mehr bedingt durch die immerhin zufälligen Einflüsse seines
Amtes und der ihn umgebenden Persönlichkeiten und Zustände. Er versenkte
sich mehr und mehr in die Praxis seines Berufes und das, was einst das
eigentliche Seelenband zwischen ihm und Rückert gewesen war, die Allmacht
der Poesie, trat für ihn in den dämmernden Nebel der verschwindenden Ju¬
genderinnerungen zurück. Sein Gepräge, seine Stellung zu den großen Mäch¬
ten der Wirklichkeit war aber ganz anders geartet wie die seines Freundes.
Konnte man dessen Auffassung mit einem Schlagworte, das freilich vielfach
ergänzender Deutung bedarf, als die eines Liberalen bezeichnen, so war auch
Schubart in der Politik und in der Religion ein streng Conservativer ge¬
worden, der seinem Gewissen zu Liebe, später, als die Gegensätze scharf auf
einander stießen, sich nicht scheute, als Reactionär verschrieen und angefeindet
Zu werden und, was vielleicht ihm noch schwerer wurde, sich auch seinem Freunde
gegenüber unumwunden als solchen zu bekennen.

Nichts desto weniger dauerte die gemüthliche Zusammengehörigkeit zwischen
ihnen fort, und einige zufällige, durch Andere veranlaßte kleine Störungen
führten im Gefolge der offenen gegenseitigen Aussprache nur zu wo möglich
"och stärkerer Befestigung des Freundschaftsbandes. Schubart war und blieb
in Rückert's Augen nach wie vor ein unverbesserlicher Reactionär. aber der
alte, treue, liebe Freund, der so oft er kam. gerne gesehen war. So viel es
eben möglich war, vermied Rückert die leidigen Differenzpunkte zu berühren,
aber die absolute Unmittelbarkeit aller Aeußerungen seines innern Lebens, in
denen sich stets der ganze Gehalt des momentanen Denkens und Empfindens
ohne irgend welche refüetirte Reserve krystallisirte, brachte es mit sich, daß doch
Winer neue derartige Zusammenstöße erfolgten. Die Wirkung blieb schließlich


gebend und lernend, so war die Anregung doch eine gegenseitige, und wie
hoch der ältere Freund das Talent des jüngeren schätzte, ist schon oben er¬
wähnt. Jedenfalls herrschte schon damals zwischen beiden ein vollständig
harmonisches Verständniß für die ganze Sphäre des seelischen, gemüthlichen
und intellectuellen Lebens.

Das spätere Leben änderte viel davon. Die innere Entfaltung des Dich¬
ters führte ihn über jene wesentlich von den Einflüssen der Romantik gefärbten
Anfänge weit hinaus zu einem freien nud klaren Blick auf die Wirklichkeit
und ihre großen ethischen Mächte. Die Geschicke des Vaterlandes, die poli¬
tischen Aufgaben seiner Nation, aber auch die religiösen und kirchlichen Pro¬
bleme der Zeit zogen ihn je mehr, je ernster an sich heran und wenn er sich
auch nicht berufen fühlte, als eigentlicher Mann der That in das Gebiet der
Wirklichkeit einzugreifen, richtete er doch auf diesem Fundamente das Gebäude
seiner reichsten poetischen Schöpfungen auf.

Auch Schubart machte einen folgenreichen Entwickelungsgang durch, wenn
auch wahrscheinlich mehr bedingt durch die immerhin zufälligen Einflüsse seines
Amtes und der ihn umgebenden Persönlichkeiten und Zustände. Er versenkte
sich mehr und mehr in die Praxis seines Berufes und das, was einst das
eigentliche Seelenband zwischen ihm und Rückert gewesen war, die Allmacht
der Poesie, trat für ihn in den dämmernden Nebel der verschwindenden Ju¬
genderinnerungen zurück. Sein Gepräge, seine Stellung zu den großen Mäch¬
ten der Wirklichkeit war aber ganz anders geartet wie die seines Freundes.
Konnte man dessen Auffassung mit einem Schlagworte, das freilich vielfach
ergänzender Deutung bedarf, als die eines Liberalen bezeichnen, so war auch
Schubart in der Politik und in der Religion ein streng Conservativer ge¬
worden, der seinem Gewissen zu Liebe, später, als die Gegensätze scharf auf
einander stießen, sich nicht scheute, als Reactionär verschrieen und angefeindet
Zu werden und, was vielleicht ihm noch schwerer wurde, sich auch seinem Freunde
gegenüber unumwunden als solchen zu bekennen.

Nichts desto weniger dauerte die gemüthliche Zusammengehörigkeit zwischen
ihnen fort, und einige zufällige, durch Andere veranlaßte kleine Störungen
führten im Gefolge der offenen gegenseitigen Aussprache nur zu wo möglich
"och stärkerer Befestigung des Freundschaftsbandes. Schubart war und blieb
in Rückert's Augen nach wie vor ein unverbesserlicher Reactionär. aber der
alte, treue, liebe Freund, der so oft er kam. gerne gesehen war. So viel es
eben möglich war, vermied Rückert die leidigen Differenzpunkte zu berühren,
aber die absolute Unmittelbarkeit aller Aeußerungen seines innern Lebens, in
denen sich stets der ganze Gehalt des momentanen Denkens und Empfindens
ohne irgend welche refüetirte Reserve krystallisirte, brachte es mit sich, daß doch
Winer neue derartige Zusammenstöße erfolgten. Die Wirkung blieb schließlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/253>, abgerufen am 24.08.2024.