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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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einem vollen Menschenalter eingelebt. In den sechs Wintern, die Rückert in
Berlin verlebt hat, stand ihm bis 1844 der Jugendfreund in jeder Art dienst¬
bereit und theilnehmend zur Seite. Freilich konnte auch er dem Dichter kein
behaglicheres Heimathsgefühl in Berlin erwecken, als es durch dessen Indivi¬
dualität und den einmal gegeben Zuschnitt der damaligen Situation ermöglicht
wurde. Aber er hat ihm doch manche unlustige Stunde zu einer traulichen
verwandelt und überhaupt viel dazu beigetragen, daß er sich, wenn auch im¬
mer nur mäßig befriedigt, doch wenigstens leidlich durch die unleidliche Trübe
mehrerer Berliner Winter hindurchschlug. Sommer 1844 verlegte Schubart seinen
Wohnsitz nach Erfurt, nachdem er gerade in dem vorhergegangenen Winter am
meisten Gelegenheit gehabt hätte, den damals besonders übel von dem Berliner
Klima oder der Berliner Atmosphäre behandelten Freunde tröstlich und erquickend
behülflich zu sein. Der persönliche Verkehr ruhte jetzt wieder mehrere Jahre, bis
1848, wo Rückert Berlin definitiv und mit dem festen Entschluß, unter allen Um¬
ständen nicht wieder dahin zurückzukehren, verließ. Von da an erschien Schubart zehn
Jahre hindurch als Sommergast in Neuseß. und als das Alter und seine körperliche
Gebrechlichkeites ihm nicht mehr ermöglichten, nach guter gewohnter Art, wie es auch
sein Freund bis an die Grenze seines reichsten Mannesalters so gerne gethan,
zu Fuße den Nennstieg zu überschreiten und in das Thalgebäude der
Lauter hinabzusteigen, gingen wenigstens Briefe und poetische Grüße, häu¬
fig auch Botschaften durch den Mund wandernder Freunde zwischen den
beiden Greisen hin und her bis der Eine am 31. Januar 18V6 noch in der
Vollkraft seines Geistes und in der unerschöpften Fülle praktischer Productivi-
tät durch ein tückisches Leiden, das sich seltsamerweise auch von Jena datirte,
weggerafft wurde, während der Andere noch heute lebt.

Dieser funfzigjährigen Freundschaft hat Schubart ein Denkmal gesetzt,
das, abgesehen von dem Interesse, welches -- wie natürlich sich vorzugsweise
der Persönlichkeit seines großen Freundes zuwendet, auch ihm selbst als einem
ebenso feinsinnigen wie formvollendeten Darsteller gilt, und zugleich erkennen
läßt, welche innern Beziehungen die feste Dauer dieses so frühe geknüpften
Bandes bedingten. Was der künftige Biograph oder der Literarhistoriker dar¬
aus an werthvollen Einzelheiten entnehmen kann, berühren wir hier absichtlich
nicht. Wichtiger erscheint es uns auf einige große Grundzüge in dem per¬
sönlichen Typus des Dichters hinzuweisen, die hier mit einem seltenen Ver¬
ständniß empfunden und wiedergegeben sind.

In der Jugendzeit waren sich beide nahe gekommen durch die Gemein¬
samkeit ihrer idealistisch-practischen Neigungen und Bestrebungen. Verhielt
sich Schubart, wie es schon die Stellung des Studenten auch zu dem gleichal¬
trigen Docenten mit sich brachte und noch mehr die Wucht des Geistes in Rückert,
die er an seinem Lehrer sympathisch anerkannte und bewunderte, auch mehr hin-


einem vollen Menschenalter eingelebt. In den sechs Wintern, die Rückert in
Berlin verlebt hat, stand ihm bis 1844 der Jugendfreund in jeder Art dienst¬
bereit und theilnehmend zur Seite. Freilich konnte auch er dem Dichter kein
behaglicheres Heimathsgefühl in Berlin erwecken, als es durch dessen Indivi¬
dualität und den einmal gegeben Zuschnitt der damaligen Situation ermöglicht
wurde. Aber er hat ihm doch manche unlustige Stunde zu einer traulichen
verwandelt und überhaupt viel dazu beigetragen, daß er sich, wenn auch im¬
mer nur mäßig befriedigt, doch wenigstens leidlich durch die unleidliche Trübe
mehrerer Berliner Winter hindurchschlug. Sommer 1844 verlegte Schubart seinen
Wohnsitz nach Erfurt, nachdem er gerade in dem vorhergegangenen Winter am
meisten Gelegenheit gehabt hätte, den damals besonders übel von dem Berliner
Klima oder der Berliner Atmosphäre behandelten Freunde tröstlich und erquickend
behülflich zu sein. Der persönliche Verkehr ruhte jetzt wieder mehrere Jahre, bis
1848, wo Rückert Berlin definitiv und mit dem festen Entschluß, unter allen Um¬
ständen nicht wieder dahin zurückzukehren, verließ. Von da an erschien Schubart zehn
Jahre hindurch als Sommergast in Neuseß. und als das Alter und seine körperliche
Gebrechlichkeites ihm nicht mehr ermöglichten, nach guter gewohnter Art, wie es auch
sein Freund bis an die Grenze seines reichsten Mannesalters so gerne gethan,
zu Fuße den Nennstieg zu überschreiten und in das Thalgebäude der
Lauter hinabzusteigen, gingen wenigstens Briefe und poetische Grüße, häu¬
fig auch Botschaften durch den Mund wandernder Freunde zwischen den
beiden Greisen hin und her bis der Eine am 31. Januar 18V6 noch in der
Vollkraft seines Geistes und in der unerschöpften Fülle praktischer Productivi-
tät durch ein tückisches Leiden, das sich seltsamerweise auch von Jena datirte,
weggerafft wurde, während der Andere noch heute lebt.

Dieser funfzigjährigen Freundschaft hat Schubart ein Denkmal gesetzt,
das, abgesehen von dem Interesse, welches — wie natürlich sich vorzugsweise
der Persönlichkeit seines großen Freundes zuwendet, auch ihm selbst als einem
ebenso feinsinnigen wie formvollendeten Darsteller gilt, und zugleich erkennen
läßt, welche innern Beziehungen die feste Dauer dieses so frühe geknüpften
Bandes bedingten. Was der künftige Biograph oder der Literarhistoriker dar¬
aus an werthvollen Einzelheiten entnehmen kann, berühren wir hier absichtlich
nicht. Wichtiger erscheint es uns auf einige große Grundzüge in dem per¬
sönlichen Typus des Dichters hinzuweisen, die hier mit einem seltenen Ver¬
ständniß empfunden und wiedergegeben sind.

In der Jugendzeit waren sich beide nahe gekommen durch die Gemein¬
samkeit ihrer idealistisch-practischen Neigungen und Bestrebungen. Verhielt
sich Schubart, wie es schon die Stellung des Studenten auch zu dem gleichal¬
trigen Docenten mit sich brachte und noch mehr die Wucht des Geistes in Rückert,
die er an seinem Lehrer sympathisch anerkannte und bewunderte, auch mehr hin-


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[0252] einem vollen Menschenalter eingelebt. In den sechs Wintern, die Rückert in Berlin verlebt hat, stand ihm bis 1844 der Jugendfreund in jeder Art dienst¬ bereit und theilnehmend zur Seite. Freilich konnte auch er dem Dichter kein behaglicheres Heimathsgefühl in Berlin erwecken, als es durch dessen Indivi¬ dualität und den einmal gegeben Zuschnitt der damaligen Situation ermöglicht wurde. Aber er hat ihm doch manche unlustige Stunde zu einer traulichen verwandelt und überhaupt viel dazu beigetragen, daß er sich, wenn auch im¬ mer nur mäßig befriedigt, doch wenigstens leidlich durch die unleidliche Trübe mehrerer Berliner Winter hindurchschlug. Sommer 1844 verlegte Schubart seinen Wohnsitz nach Erfurt, nachdem er gerade in dem vorhergegangenen Winter am meisten Gelegenheit gehabt hätte, den damals besonders übel von dem Berliner Klima oder der Berliner Atmosphäre behandelten Freunde tröstlich und erquickend behülflich zu sein. Der persönliche Verkehr ruhte jetzt wieder mehrere Jahre, bis 1848, wo Rückert Berlin definitiv und mit dem festen Entschluß, unter allen Um¬ ständen nicht wieder dahin zurückzukehren, verließ. Von da an erschien Schubart zehn Jahre hindurch als Sommergast in Neuseß. und als das Alter und seine körperliche Gebrechlichkeites ihm nicht mehr ermöglichten, nach guter gewohnter Art, wie es auch sein Freund bis an die Grenze seines reichsten Mannesalters so gerne gethan, zu Fuße den Nennstieg zu überschreiten und in das Thalgebäude der Lauter hinabzusteigen, gingen wenigstens Briefe und poetische Grüße, häu¬ fig auch Botschaften durch den Mund wandernder Freunde zwischen den beiden Greisen hin und her bis der Eine am 31. Januar 18V6 noch in der Vollkraft seines Geistes und in der unerschöpften Fülle praktischer Productivi- tät durch ein tückisches Leiden, das sich seltsamerweise auch von Jena datirte, weggerafft wurde, während der Andere noch heute lebt. Dieser funfzigjährigen Freundschaft hat Schubart ein Denkmal gesetzt, das, abgesehen von dem Interesse, welches — wie natürlich sich vorzugsweise der Persönlichkeit seines großen Freundes zuwendet, auch ihm selbst als einem ebenso feinsinnigen wie formvollendeten Darsteller gilt, und zugleich erkennen läßt, welche innern Beziehungen die feste Dauer dieses so frühe geknüpften Bandes bedingten. Was der künftige Biograph oder der Literarhistoriker dar¬ aus an werthvollen Einzelheiten entnehmen kann, berühren wir hier absichtlich nicht. Wichtiger erscheint es uns auf einige große Grundzüge in dem per¬ sönlichen Typus des Dichters hinzuweisen, die hier mit einem seltenen Ver¬ ständniß empfunden und wiedergegeben sind. In der Jugendzeit waren sich beide nahe gekommen durch die Gemein¬ samkeit ihrer idealistisch-practischen Neigungen und Bestrebungen. Verhielt sich Schubart, wie es schon die Stellung des Studenten auch zu dem gleichal¬ trigen Docenten mit sich brachte und noch mehr die Wucht des Geistes in Rückert, die er an seinem Lehrer sympathisch anerkannte und bewunderte, auch mehr hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/252>, abgerufen am 24.08.2024.