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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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boten die Staatsverwaltung zur Verantwortung aufzufordern. Herr Mrchow
hat sein Privilegium, das ihm wohl nicht bestritten wird. Mit Spannung
erwarten dagegen die Freunde des Abgeordneten Laster, diejenigen Freunde,
welche er sich durch seine angestrengte, uneigennützige, kenntnißreiche Pflichter¬
füllung als Abgeordneter erworben, daß und wie er seine kürzliche Beschul¬
digung parteiischer Handhabung der Eisenbahnconcessionen gegen das Handels¬
ministerium begründen wird. Es ist ein höchstes Interesse des Landes, daß
die Freiheit des Abgeordnetenberufes, die staatsrechtlich um keinen Preis ge¬
schmälert werden darf, nicht durch Mißbrauch um ihre moralische Bedeutung
gebracht werde. Wenn ein Abgeordneter, der um seiner Integrität und Tüch¬
tigkeit willen in allgemeiner Achtung steht, einmal aus Irrthum Unrichtiges
ausspräche, so wäre von solcher Seite ein offnes Bekenntniß des Irrthums der
beste moralische Schutz der Redefreiheit im Landtag. Denn wenn jemals die
Verbreitung schwerer Irrthümer selbst von solcher Seite leicht genommen würde,
so könnte dies nur die Folge haben, daß die Beschwerden aus dem Munde
der Abgeordneten bald aufhören würden, irgend einen Eindruck zu machen.

Am 28. Januar kam ein Antrag Miquel's auf Ausgleichung der Ver¬
schiedenheiten in den Städteordnungen des preußischen Staates zur Berathung.
Der Antrag ging zunächst nur auf eine Aufforderung an die Staatsregierung,
einen dahin zielenden Gesetzentwurf dem nächsten Landtag vorzulegen. Der
Antrag, von dem Einbringer sehr gut begründet, erhielt die Majorität.

Am 30. Januar stand der von der Commission zur Vorberathung der
vier kirchenpolitischen Gesetzentwürfe eingebrachte Antrag auf Abänderung der
Verfassungsartikel 15 und 18 zur ersten und zweiten Berathung. Im bishe¬
rigen Artikel 15 war der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche, so¬
wie jeder anderen Neligionsgesellschaft die selbständige Ordnung und Verwal¬
tung ihrer Angelegenheiten zugesagt; im Artikel 18 war jede Einwirkung des
Staats auf die Besetzung kirchlicher Stellen, soweit sie nicht auf besonderen
Rechtstiteln beruht, oder auf die Anstellung von Geistlichen im Heere und an
anderen Staatsanstalten sich bezieht, aufgehoben. Der Abänderungsvorschlag
der Commission beantragte bei Artikel Is den Zusatz, daß die genannten Re¬
ligionsgesellschaften den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht
des Staates unterworfen bleiben; bei Artikel 18 den Zusatz, daß das Gesetz
die Befugnisse des Staats hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Ent¬
lassung der Geistlichen und Religionsd^euer regelt und die Grenzen der kirch¬
lichen Disciplinargewalt feststellt. Das große Thema von der Stellung der
Kirche (jeder Kirche) im modernen Staat kam wieder zur Verhandlung. Es
liegt in der Natur der. Sache, daß selbst ein solches Thema, in ein und der¬
selben Versammlung bei gleichartigen Anlässen kurz nach einander behandelt,
eigenthümliche Gesichtspunkte und neue Beleuchtungen von Seiten der Redner


boten die Staatsverwaltung zur Verantwortung aufzufordern. Herr Mrchow
hat sein Privilegium, das ihm wohl nicht bestritten wird. Mit Spannung
erwarten dagegen die Freunde des Abgeordneten Laster, diejenigen Freunde,
welche er sich durch seine angestrengte, uneigennützige, kenntnißreiche Pflichter¬
füllung als Abgeordneter erworben, daß und wie er seine kürzliche Beschul¬
digung parteiischer Handhabung der Eisenbahnconcessionen gegen das Handels¬
ministerium begründen wird. Es ist ein höchstes Interesse des Landes, daß
die Freiheit des Abgeordnetenberufes, die staatsrechtlich um keinen Preis ge¬
schmälert werden darf, nicht durch Mißbrauch um ihre moralische Bedeutung
gebracht werde. Wenn ein Abgeordneter, der um seiner Integrität und Tüch¬
tigkeit willen in allgemeiner Achtung steht, einmal aus Irrthum Unrichtiges
ausspräche, so wäre von solcher Seite ein offnes Bekenntniß des Irrthums der
beste moralische Schutz der Redefreiheit im Landtag. Denn wenn jemals die
Verbreitung schwerer Irrthümer selbst von solcher Seite leicht genommen würde,
so könnte dies nur die Folge haben, daß die Beschwerden aus dem Munde
der Abgeordneten bald aufhören würden, irgend einen Eindruck zu machen.

Am 28. Januar kam ein Antrag Miquel's auf Ausgleichung der Ver¬
schiedenheiten in den Städteordnungen des preußischen Staates zur Berathung.
Der Antrag ging zunächst nur auf eine Aufforderung an die Staatsregierung,
einen dahin zielenden Gesetzentwurf dem nächsten Landtag vorzulegen. Der
Antrag, von dem Einbringer sehr gut begründet, erhielt die Majorität.

Am 30. Januar stand der von der Commission zur Vorberathung der
vier kirchenpolitischen Gesetzentwürfe eingebrachte Antrag auf Abänderung der
Verfassungsartikel 15 und 18 zur ersten und zweiten Berathung. Im bishe¬
rigen Artikel 15 war der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche, so¬
wie jeder anderen Neligionsgesellschaft die selbständige Ordnung und Verwal¬
tung ihrer Angelegenheiten zugesagt; im Artikel 18 war jede Einwirkung des
Staats auf die Besetzung kirchlicher Stellen, soweit sie nicht auf besonderen
Rechtstiteln beruht, oder auf die Anstellung von Geistlichen im Heere und an
anderen Staatsanstalten sich bezieht, aufgehoben. Der Abänderungsvorschlag
der Commission beantragte bei Artikel Is den Zusatz, daß die genannten Re¬
ligionsgesellschaften den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht
des Staates unterworfen bleiben; bei Artikel 18 den Zusatz, daß das Gesetz
die Befugnisse des Staats hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Ent¬
lassung der Geistlichen und Religionsd^euer regelt und die Grenzen der kirch¬
lichen Disciplinargewalt feststellt. Das große Thema von der Stellung der
Kirche (jeder Kirche) im modernen Staat kam wieder zur Verhandlung. Es
liegt in der Natur der. Sache, daß selbst ein solches Thema, in ein und der¬
selben Versammlung bei gleichartigen Anlässen kurz nach einander behandelt,
eigenthümliche Gesichtspunkte und neue Beleuchtungen von Seiten der Redner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/244>, abgerufen am 30.09.2024.