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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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deren Physiognomien die Hoffnung auf willkommene Beute ausgedrückt ist.
Endlich wird der kleine schwarze Punkt am Horizont größer und größer. Die
Landungsbrücke fällt, und hinüber drängen sich in bunten Gruppen gelang'
weilt aussehende Söhne Albions mit blauen Cravatten und wunderlichen Kopf¬
bedeckungen, Damen midi ungeheuren Paniers und grotesken Chignons, sodann
die unvermeidlichen welterobernden Lvmmis voz^geurs, endlich jener farblose
Mob,'für dessen Klassificirung sich dem Physiognomiker absolut keine Katego¬
rien darbieten. Von der andern Seite machen Commisfionaire, Kellner und
ähnliche Species menschlicher Raubvögel hartnäckige Angriffe auf jeden Koffer,
jeden Plaid, der sich ihnen darbietet; siegreich triumphiren sie über den naiven
Touristen, der nicht im Besitze langer Reiseerfahrungen dieser lästigen Dienst¬
eifrigkeit gegenüber statt eisiger Ruhe Befangenheit zeigt. Dazwischen schleppt
man die Collis der Passagiere und die Säcke mit der englischen Post
herbei, welche sogleich mit dem unmittelbar an der vebareaclöre bereitstehenden
Expreßtrain weitergeschickt werden müssen. Am meisten interessirten uns die
Riesenballen mit den für den Continent bestimmten Londoner Zeitungen. Da
lagen die kolossalen Packete mit den Times, den Daily News, den Jllu-
strated News, direct für das ?rg.vMvg (Mes (ambulante Postbureau)
Aachen-Düsseldorf verpackt, von wo sie nach der Ankunft sofort in zahllose
Verkehrscanäle nach Osten, Norden und Süden sich verzweigen. Diese Ballen
erscheinen uns als beredte Illustration der weitumfassenden Macht der eng¬
lischen Presse. Was sind gegen solche Verbreitung, solchen Absatz die Resul¬
tate unseres deutschen, doch auch ganz achtbaren Zeitungsverkehrs! Das
Weltblatt Times freilich hat allein eine Auflage, welche diejenige aller Ber¬
liner Hauptzeitungen zusammengenommen überragt; die Times repräsentiren
aber auch die öffentliche Meinung in ganz anderem Sinne, als unsere deutschen
Zeitungen, und in England wird es bei der schärferen Abgrenzung der Par¬
teien kaum je vorkommen, daß man dieselben Communique's, Entrefilets und
Correspondenzen gleichzeitig in einer Reihe davon sich kümmerlich ernähren¬
den Blätter verschiedener Parteischattirungen findet. Unter solchen Betrachtungen
setzten wir unseren Spaziergang auf der Digue fort, bestiegen den Leuchtthurm,
dessen Licht, von Reflecteurs tausendfach vermehrt, fünfzehn Stunden weit sicht¬
bar sein soll, und sahen uns endlich die Iluitrisres an, in denen Massen von
Austern, auch Seekrebse, Hummern u. s. w., für den Transport im Seewasser
frisch erhalten werden. Die Austern sind aber nicht am belgischen Strande
gebrochen, vielmehr von den Bänken an der englischen Küste bei Harrvich
herübergebracht. Die Stadt Ostende selbst bietet nichts Interessantes dar.

Wir benutzten deshalb den nächsten Zug zur Fahrt nach Gent, der alten
Residenz der flandrischen Grafen, der Stätte, wo einst die Gebrüder Hubert
und Johann van Eyck wirkten. Gent ist heute M Hauptsitz der belgischen


deren Physiognomien die Hoffnung auf willkommene Beute ausgedrückt ist.
Endlich wird der kleine schwarze Punkt am Horizont größer und größer. Die
Landungsbrücke fällt, und hinüber drängen sich in bunten Gruppen gelang'
weilt aussehende Söhne Albions mit blauen Cravatten und wunderlichen Kopf¬
bedeckungen, Damen midi ungeheuren Paniers und grotesken Chignons, sodann
die unvermeidlichen welterobernden Lvmmis voz^geurs, endlich jener farblose
Mob,'für dessen Klassificirung sich dem Physiognomiker absolut keine Katego¬
rien darbieten. Von der andern Seite machen Commisfionaire, Kellner und
ähnliche Species menschlicher Raubvögel hartnäckige Angriffe auf jeden Koffer,
jeden Plaid, der sich ihnen darbietet; siegreich triumphiren sie über den naiven
Touristen, der nicht im Besitze langer Reiseerfahrungen dieser lästigen Dienst¬
eifrigkeit gegenüber statt eisiger Ruhe Befangenheit zeigt. Dazwischen schleppt
man die Collis der Passagiere und die Säcke mit der englischen Post
herbei, welche sogleich mit dem unmittelbar an der vebareaclöre bereitstehenden
Expreßtrain weitergeschickt werden müssen. Am meisten interessirten uns die
Riesenballen mit den für den Continent bestimmten Londoner Zeitungen. Da
lagen die kolossalen Packete mit den Times, den Daily News, den Jllu-
strated News, direct für das ?rg.vMvg (Mes (ambulante Postbureau)
Aachen-Düsseldorf verpackt, von wo sie nach der Ankunft sofort in zahllose
Verkehrscanäle nach Osten, Norden und Süden sich verzweigen. Diese Ballen
erscheinen uns als beredte Illustration der weitumfassenden Macht der eng¬
lischen Presse. Was sind gegen solche Verbreitung, solchen Absatz die Resul¬
tate unseres deutschen, doch auch ganz achtbaren Zeitungsverkehrs! Das
Weltblatt Times freilich hat allein eine Auflage, welche diejenige aller Ber¬
liner Hauptzeitungen zusammengenommen überragt; die Times repräsentiren
aber auch die öffentliche Meinung in ganz anderem Sinne, als unsere deutschen
Zeitungen, und in England wird es bei der schärferen Abgrenzung der Par¬
teien kaum je vorkommen, daß man dieselben Communique's, Entrefilets und
Correspondenzen gleichzeitig in einer Reihe davon sich kümmerlich ernähren¬
den Blätter verschiedener Parteischattirungen findet. Unter solchen Betrachtungen
setzten wir unseren Spaziergang auf der Digue fort, bestiegen den Leuchtthurm,
dessen Licht, von Reflecteurs tausendfach vermehrt, fünfzehn Stunden weit sicht¬
bar sein soll, und sahen uns endlich die Iluitrisres an, in denen Massen von
Austern, auch Seekrebse, Hummern u. s. w., für den Transport im Seewasser
frisch erhalten werden. Die Austern sind aber nicht am belgischen Strande
gebrochen, vielmehr von den Bänken an der englischen Küste bei Harrvich
herübergebracht. Die Stadt Ostende selbst bietet nichts Interessantes dar.

Wir benutzten deshalb den nächsten Zug zur Fahrt nach Gent, der alten
Residenz der flandrischen Grafen, der Stätte, wo einst die Gebrüder Hubert
und Johann van Eyck wirkten. Gent ist heute M Hauptsitz der belgischen


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[0240] deren Physiognomien die Hoffnung auf willkommene Beute ausgedrückt ist. Endlich wird der kleine schwarze Punkt am Horizont größer und größer. Die Landungsbrücke fällt, und hinüber drängen sich in bunten Gruppen gelang' weilt aussehende Söhne Albions mit blauen Cravatten und wunderlichen Kopf¬ bedeckungen, Damen midi ungeheuren Paniers und grotesken Chignons, sodann die unvermeidlichen welterobernden Lvmmis voz^geurs, endlich jener farblose Mob,'für dessen Klassificirung sich dem Physiognomiker absolut keine Katego¬ rien darbieten. Von der andern Seite machen Commisfionaire, Kellner und ähnliche Species menschlicher Raubvögel hartnäckige Angriffe auf jeden Koffer, jeden Plaid, der sich ihnen darbietet; siegreich triumphiren sie über den naiven Touristen, der nicht im Besitze langer Reiseerfahrungen dieser lästigen Dienst¬ eifrigkeit gegenüber statt eisiger Ruhe Befangenheit zeigt. Dazwischen schleppt man die Collis der Passagiere und die Säcke mit der englischen Post herbei, welche sogleich mit dem unmittelbar an der vebareaclöre bereitstehenden Expreßtrain weitergeschickt werden müssen. Am meisten interessirten uns die Riesenballen mit den für den Continent bestimmten Londoner Zeitungen. Da lagen die kolossalen Packete mit den Times, den Daily News, den Jllu- strated News, direct für das ?rg.vMvg (Mes (ambulante Postbureau) Aachen-Düsseldorf verpackt, von wo sie nach der Ankunft sofort in zahllose Verkehrscanäle nach Osten, Norden und Süden sich verzweigen. Diese Ballen erscheinen uns als beredte Illustration der weitumfassenden Macht der eng¬ lischen Presse. Was sind gegen solche Verbreitung, solchen Absatz die Resul¬ tate unseres deutschen, doch auch ganz achtbaren Zeitungsverkehrs! Das Weltblatt Times freilich hat allein eine Auflage, welche diejenige aller Ber¬ liner Hauptzeitungen zusammengenommen überragt; die Times repräsentiren aber auch die öffentliche Meinung in ganz anderem Sinne, als unsere deutschen Zeitungen, und in England wird es bei der schärferen Abgrenzung der Par¬ teien kaum je vorkommen, daß man dieselben Communique's, Entrefilets und Correspondenzen gleichzeitig in einer Reihe davon sich kümmerlich ernähren¬ den Blätter verschiedener Parteischattirungen findet. Unter solchen Betrachtungen setzten wir unseren Spaziergang auf der Digue fort, bestiegen den Leuchtthurm, dessen Licht, von Reflecteurs tausendfach vermehrt, fünfzehn Stunden weit sicht¬ bar sein soll, und sahen uns endlich die Iluitrisres an, in denen Massen von Austern, auch Seekrebse, Hummern u. s. w., für den Transport im Seewasser frisch erhalten werden. Die Austern sind aber nicht am belgischen Strande gebrochen, vielmehr von den Bänken an der englischen Küste bei Harrvich herübergebracht. Die Stadt Ostende selbst bietet nichts Interessantes dar. Wir benutzten deshalb den nächsten Zug zur Fahrt nach Gent, der alten Residenz der flandrischen Grafen, der Stätte, wo einst die Gebrüder Hubert und Johann van Eyck wirkten. Gent ist heute M Hauptsitz der belgischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/240>, abgerufen am 29.09.2024.