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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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"Eroberer" gar keinen Verkehr, zum mindesten keine Wohlthat von ihm
wollen; sie haben in einer der geheimen Gemeinderathssitzungen offenbar
entschiedene Zurückweisung des Springer'schen Borschlags verlangt. Die armen
Beigeordneten (der Bürgermeister ist krank) -- was sollten sie anfangen? In
dem redlichen Bemühen, der einen Partei zu gefallen, ohne die andere zu ver¬
letzen, brachten sie ein Machwerk zu Stande, welches, kritisch betrachtet, an
Lächerlichkeit allerdings nichts zu wünschen übrig läßt. Und was erreichten
sie? Bon der deutschen Presse wurden sie verhöhnt, und der in Mülhausen
erscheinende "Jndustriel alsacien", das Organ unserer Unzufriedenen, denun-
eirte sie des Entgegenkommens gegen die deutsche Regierung.

Uebrigens scheint der dermalige Straßburger Magistrat selbst das Gefühl
zu haben, wie er "sich abwirthschaftet." Vielleicht um sich bei den Gesinnungs¬
tüchtigen wieder in Credit zu setzen, hat er von Neuem die Schulsprachenfrage
mit Macht in die Hand genommen. Bekanntlich ist der Unterricht des Fran¬
zösischen in der Volksschule beseitigt worden, und zwar aus naheliegenden
Politischen, noch mehr aber aus pädagogischen Gründen. Der Straßburger
Magistrat hat sich jetzt an den Reichskanzler gewandt, um die Zurücknahme
dieser Maßregel zu erwirken; zur Begründung wird auf die Lage Straßburgs,
auf seine merkantilen und Familienbeziehungen hingewiesen; man hebt hervor,
wie der Straßburger bisher gewohnt gewesen sei, in der Volksschule beide
Sprachen "gleich gut" zu erlernen. Verlorene Liebesmüh'! Handelte es sich
bloß um die politische Frage, so könnte man den Straßburger Petenten
die ersehnte Freude machen; denn deutsche Schulinspectoren würden dafür
sorgen, daß mit dem Unterricht des Französischen kein Unfug getrieben würde.
Aber daß die Sache pädagogisch durchaus unzulässig ist, dafür sind uns gerade
die Früchte des alten Systems die lebendigen Beispiele. Kann es einen be-
trübenderen Anblick geben, als einen Straßburger Handwerkerssohn, der von
Kindheit an seine Gedanken im alten allemannischen Idiom auszudrücken ge¬
wohnt ist, sein gebrochenes Hochdeutsch Wort für Wort aus dem Französischen
übersetzen, oder, wenn er schreiben soll, das, was er deutsch gedacht, in unor¬
thographischen Französisch zu Papier bringen zu sehen? Nein, in dieser Frage
am allerwenigsten kann der Straßburger Magistrat die deutsche Regierung
zu berücken hoffen. Dieselbe wird gewiß die Schonung der Gefühle der El-
sässer und der Eigenthümlichkeiten ihrer Lage stets so freigebig, wie möglich
handhaben, aber dem französischen Geiste, noch dazu unter Schädigung hoch¬
wichtiger anderer Interessen, eine Hinterthür offen zu halten, dazu wird sie,
denken wir, niemals die Hand bieten.


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„Eroberer" gar keinen Verkehr, zum mindesten keine Wohlthat von ihm
wollen; sie haben in einer der geheimen Gemeinderathssitzungen offenbar
entschiedene Zurückweisung des Springer'schen Borschlags verlangt. Die armen
Beigeordneten (der Bürgermeister ist krank) — was sollten sie anfangen? In
dem redlichen Bemühen, der einen Partei zu gefallen, ohne die andere zu ver¬
letzen, brachten sie ein Machwerk zu Stande, welches, kritisch betrachtet, an
Lächerlichkeit allerdings nichts zu wünschen übrig läßt. Und was erreichten
sie? Bon der deutschen Presse wurden sie verhöhnt, und der in Mülhausen
erscheinende „Jndustriel alsacien", das Organ unserer Unzufriedenen, denun-
eirte sie des Entgegenkommens gegen die deutsche Regierung.

Uebrigens scheint der dermalige Straßburger Magistrat selbst das Gefühl
zu haben, wie er „sich abwirthschaftet." Vielleicht um sich bei den Gesinnungs¬
tüchtigen wieder in Credit zu setzen, hat er von Neuem die Schulsprachenfrage
mit Macht in die Hand genommen. Bekanntlich ist der Unterricht des Fran¬
zösischen in der Volksschule beseitigt worden, und zwar aus naheliegenden
Politischen, noch mehr aber aus pädagogischen Gründen. Der Straßburger
Magistrat hat sich jetzt an den Reichskanzler gewandt, um die Zurücknahme
dieser Maßregel zu erwirken; zur Begründung wird auf die Lage Straßburgs,
auf seine merkantilen und Familienbeziehungen hingewiesen; man hebt hervor,
wie der Straßburger bisher gewohnt gewesen sei, in der Volksschule beide
Sprachen „gleich gut" zu erlernen. Verlorene Liebesmüh'! Handelte es sich
bloß um die politische Frage, so könnte man den Straßburger Petenten
die ersehnte Freude machen; denn deutsche Schulinspectoren würden dafür
sorgen, daß mit dem Unterricht des Französischen kein Unfug getrieben würde.
Aber daß die Sache pädagogisch durchaus unzulässig ist, dafür sind uns gerade
die Früchte des alten Systems die lebendigen Beispiele. Kann es einen be-
trübenderen Anblick geben, als einen Straßburger Handwerkerssohn, der von
Kindheit an seine Gedanken im alten allemannischen Idiom auszudrücken ge¬
wohnt ist, sein gebrochenes Hochdeutsch Wort für Wort aus dem Französischen
übersetzen, oder, wenn er schreiben soll, das, was er deutsch gedacht, in unor¬
thographischen Französisch zu Papier bringen zu sehen? Nein, in dieser Frage
am allerwenigsten kann der Straßburger Magistrat die deutsche Regierung
zu berücken hoffen. Dieselbe wird gewiß die Schonung der Gefühle der El-
sässer und der Eigenthümlichkeiten ihrer Lage stets so freigebig, wie möglich
handhaben, aber dem französischen Geiste, noch dazu unter Schädigung hoch¬
wichtiger anderer Interessen, eine Hinterthür offen zu halten, dazu wird sie,
denken wir, niemals die Hand bieten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/207>, abgerufen am 02.10.2024.