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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Studien ruhende Arbeit der hannoverschen Vorsynode gewidmet, die dem
berühmten Katechismussturm folgte und eine Shnodalverfafsung für die
lutherische Kirche schuf. Diese ernste und wichtige Beschäftigung scheint ihn
abgehalten zu haben, die Gelegenheit der schleswigholsteinischen Verwickelung
persönlich mit voller Frische und Kraft zu ergreifen. Sie hat, beiläufig be¬
merkt, in ihm allem Anschein nach überhaupt eine Art Uebersättigung nach
sich gezogen, denn er ist seitdem weder im Protestantenverein noch sonst in
kirchlichen Angelegenheiten mehr thätig aufgetreten. Während des bezeichneten
kritischen Jahres ist jedenfalls von Bennigsen kaum irgend ein Wunsch oder
Rathschlag nach Frankfurt am Main gelangt, wo der verstorbene unverge߬
liche Brater als Geschäftsführer des sogenannten Sechsunddreißiger-Ausschuß
der deutschen Avgeorbnetenversammlung von Weichnachten 1863 an die Agita¬
tion für die Befreiung der Eid-Herzogtümer vom Dänenjoch leitete.
Nachdem aber die preußisch-österreichischen Waffen neben Holstein auch Schles¬
wig gesäubert hatten und bei Herrn v. Bismarck die ersten Anzeichen kräftiger
nationaler Politik hervortraten, wäre es an der Zeit gewesen, den National¬
verein eine halbe Wendung nach Preußen hin zurückmachen zu lassen. Der
schwebende preußische Verfassungsstreit ließ freilich viel mehr nicht zu, wie die
noch verhüllten Pläne des preußischen Ministerpräsidenten vorläufig mehr auch
nicht erforderten: aber soviel hätte dem wesentlichsten Bestandtheil des Vereins¬
programms zugestanden werden müssen. Statt dessen ließ Bennigsen geschehen,
daß der Haß gegen die triumphirende Junkerpartei bei der preußischen Demo¬
kratie und das Mißtrauen wider Preußen als solches bei der süd- und mittel¬
deutschen Demokratie sich begegneten, und der Nationalverein noch im Herbste
1864 seinen Anspruch an das Herzogthum Schleswig. Holstein auf Ab¬
tretung der maritimen Führung an Preußen beschränkte. Militärische und
diplomatische Führung für Preußen ebenfalls zu fordern, wurde den Herrn
v. Bismarck und v. Roon zum Tort abgelehnt. Damit war mehr oder min¬
der entschieden, daß der Nationalverein aufgehört hatte, bestimmend mit ein¬
zugreifen in die vaterländischen Geschicke. Die bittere Kritik, mit welcher
Heinrich v. Treitschke und dessen Gesinnungsgenossen den Verein noch über sein
Grab hinaus verfolgten, als habe er eigentlich mehr geschadet denn genützt,
datirt in der Hauptsache von dieser Zeit.

So fand der Nationalverein als solcher denn auch inmitten der Kata¬
strophe von 1866 keine Handhabe, sich förderlich geltend zu machen. Sein
Präsident dagegen war unmittelbar vor dem Kriege, wie der Ausschuß eben
in Berlin versammelt war, eingeladen worden, zu Herrn v. Bismarck zu
kommen, und hatte auf seine eigene Gefahr hin diese damals sehr bedenkliche
Einladung angenommen. Wäre das kühne politisch-militärische Unternehmen
des Ministers gescheitert, so hätte der Ruf des Volksführers, welcher sich


Studien ruhende Arbeit der hannoverschen Vorsynode gewidmet, die dem
berühmten Katechismussturm folgte und eine Shnodalverfafsung für die
lutherische Kirche schuf. Diese ernste und wichtige Beschäftigung scheint ihn
abgehalten zu haben, die Gelegenheit der schleswigholsteinischen Verwickelung
persönlich mit voller Frische und Kraft zu ergreifen. Sie hat, beiläufig be¬
merkt, in ihm allem Anschein nach überhaupt eine Art Uebersättigung nach
sich gezogen, denn er ist seitdem weder im Protestantenverein noch sonst in
kirchlichen Angelegenheiten mehr thätig aufgetreten. Während des bezeichneten
kritischen Jahres ist jedenfalls von Bennigsen kaum irgend ein Wunsch oder
Rathschlag nach Frankfurt am Main gelangt, wo der verstorbene unverge߬
liche Brater als Geschäftsführer des sogenannten Sechsunddreißiger-Ausschuß
der deutschen Avgeorbnetenversammlung von Weichnachten 1863 an die Agita¬
tion für die Befreiung der Eid-Herzogtümer vom Dänenjoch leitete.
Nachdem aber die preußisch-österreichischen Waffen neben Holstein auch Schles¬
wig gesäubert hatten und bei Herrn v. Bismarck die ersten Anzeichen kräftiger
nationaler Politik hervortraten, wäre es an der Zeit gewesen, den National¬
verein eine halbe Wendung nach Preußen hin zurückmachen zu lassen. Der
schwebende preußische Verfassungsstreit ließ freilich viel mehr nicht zu, wie die
noch verhüllten Pläne des preußischen Ministerpräsidenten vorläufig mehr auch
nicht erforderten: aber soviel hätte dem wesentlichsten Bestandtheil des Vereins¬
programms zugestanden werden müssen. Statt dessen ließ Bennigsen geschehen,
daß der Haß gegen die triumphirende Junkerpartei bei der preußischen Demo¬
kratie und das Mißtrauen wider Preußen als solches bei der süd- und mittel¬
deutschen Demokratie sich begegneten, und der Nationalverein noch im Herbste
1864 seinen Anspruch an das Herzogthum Schleswig. Holstein auf Ab¬
tretung der maritimen Führung an Preußen beschränkte. Militärische und
diplomatische Führung für Preußen ebenfalls zu fordern, wurde den Herrn
v. Bismarck und v. Roon zum Tort abgelehnt. Damit war mehr oder min¬
der entschieden, daß der Nationalverein aufgehört hatte, bestimmend mit ein¬
zugreifen in die vaterländischen Geschicke. Die bittere Kritik, mit welcher
Heinrich v. Treitschke und dessen Gesinnungsgenossen den Verein noch über sein
Grab hinaus verfolgten, als habe er eigentlich mehr geschadet denn genützt,
datirt in der Hauptsache von dieser Zeit.

So fand der Nationalverein als solcher denn auch inmitten der Kata¬
strophe von 1866 keine Handhabe, sich förderlich geltend zu machen. Sein
Präsident dagegen war unmittelbar vor dem Kriege, wie der Ausschuß eben
in Berlin versammelt war, eingeladen worden, zu Herrn v. Bismarck zu
kommen, und hatte auf seine eigene Gefahr hin diese damals sehr bedenkliche
Einladung angenommen. Wäre das kühne politisch-militärische Unternehmen
des Ministers gescheitert, so hätte der Ruf des Volksführers, welcher sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/20>, abgerufen am 24.08.2024.