Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Allein wie auch unsere Geschäftswelt die Vortheile der neuen politischen Ver¬
hältnisse, den immensen Aufschwung, welchen Industrie und Ackerbau in den
letzten Jahren unter dem Schutz des Reichs gewonnen haben, wohl zu wür¬
digen weiß, so begegnet man doch überall derselben Indifferenz gegenüber
allen Fragen der praktischen Politik. Man fühlt in Württemberg nach dem
kläglichen Großmachtsschwindel der Uebergangsperiode die ganze Bedeutungs¬
losigkeit des Kleinstaats, namentlich auch unserer derzeitigen constitutionellen
Verhältnisse, man fühlt wie wenig wir selbst zu der neuen Lage beigetragen
haben, daß wir Alles den großen Staatsmännern an der Spitze des Reichs
verdanken und ist von der Ueberzeugung, daß ihnen die Ueberwindung aller
noch vorhandenen Schwierigkeiten auch fernerhin gelingen werde, so sehr durch¬
drungen, daß man von den politischen Fehden übersättigt, alles Weitere gerne
dem Reich überläßt, und um so mehr dem Erwerb nachgehen zu dürfen glaubt.
Dazu kommt die peinliche Zwitterstellung, in welche Württemberg durch die
Versailler Abmachungen zum Reich gebracht wurde. Unsere Staatsmänner
hatten sich damals offenbar die Tragweite der bedungenen Sonderstellung
gar nicht klar gemacht, fondern nur die Äußerlichkeiten der fürstlichen Präro¬
gativen ins Auge gefaßt. Nun tritt es aber täglich mehr zu Tage, daß dem
souveränen Staat, wie er jetzt im Reiche und neben dem Reiche fortexistiren
soll, ganz die erforderliche ideale Lebenskraft mangelt, um -- ohne Unter¬
stützung von Wien oder Paris -- nicht nur die beanspruchte Sonderstellung
für sich fernerhin zu behaupten, sondern zugleich auch das ganze übrige Deutsch¬
land in seiner natürlichen Weiterentwicklung auf nationalem Boden zu hindern.
Und doch liegt gerade hierin, weit mehr als in den Vorrechten an sich, die
UnHaltbarkeit der derzeitigen Situation, welche bei fernerer^ Renitenz unseres
Ministeriums gegenüber den berechtigtsten nationalen Forderungen den Bogen
in nicht ferner Zeit zum Biegen oder zum Brechen bringen muß. Uebrigens
ist schon jetzt die ganze mit socialer Vorliebe affectirte Selbständigkeit und
Unabhängigkeit der Entschließungen unserer activen Staatsmänner ein eitler
Schein, der nur noch bei Theatcrbeleuchtung aufrecht erhalten werden kann.
Der Kriegsminister nimmt gegenüber dem preußischen Corpscommandanten
in Stuttgart thatsächlich nur noch die Stellung des Monds zur Sonne ein,
während der Minister der Auswärtigen schon durch seine ganze Persönlichkeit
in und außer der Stände-Kammer den Beweis liefert, wie wenig sein De¬
partement seit dem Abgang seines geistvollen Vorgängers Varnbüler noch zu
bedeuten hat. Herrn von Mittnacht aber, der seiner Zeit mit so großer Haft,
um ja dem Norddeutschen Bunde zuvor zukommen, das neue württembergische
Proceßrecht geschaffen hatte, trifft schon jetzt das Schicksal, ein Pompejus der
Große im Kleinen "Luarum leZuin iciem auctor et suasor" zu werden.
Vergebens sind auch alle Bemühungen in Berlin, umsonst der Aufwand an


Allein wie auch unsere Geschäftswelt die Vortheile der neuen politischen Ver¬
hältnisse, den immensen Aufschwung, welchen Industrie und Ackerbau in den
letzten Jahren unter dem Schutz des Reichs gewonnen haben, wohl zu wür¬
digen weiß, so begegnet man doch überall derselben Indifferenz gegenüber
allen Fragen der praktischen Politik. Man fühlt in Württemberg nach dem
kläglichen Großmachtsschwindel der Uebergangsperiode die ganze Bedeutungs¬
losigkeit des Kleinstaats, namentlich auch unserer derzeitigen constitutionellen
Verhältnisse, man fühlt wie wenig wir selbst zu der neuen Lage beigetragen
haben, daß wir Alles den großen Staatsmännern an der Spitze des Reichs
verdanken und ist von der Ueberzeugung, daß ihnen die Ueberwindung aller
noch vorhandenen Schwierigkeiten auch fernerhin gelingen werde, so sehr durch¬
drungen, daß man von den politischen Fehden übersättigt, alles Weitere gerne
dem Reich überläßt, und um so mehr dem Erwerb nachgehen zu dürfen glaubt.
Dazu kommt die peinliche Zwitterstellung, in welche Württemberg durch die
Versailler Abmachungen zum Reich gebracht wurde. Unsere Staatsmänner
hatten sich damals offenbar die Tragweite der bedungenen Sonderstellung
gar nicht klar gemacht, fondern nur die Äußerlichkeiten der fürstlichen Präro¬
gativen ins Auge gefaßt. Nun tritt es aber täglich mehr zu Tage, daß dem
souveränen Staat, wie er jetzt im Reiche und neben dem Reiche fortexistiren
soll, ganz die erforderliche ideale Lebenskraft mangelt, um — ohne Unter¬
stützung von Wien oder Paris — nicht nur die beanspruchte Sonderstellung
für sich fernerhin zu behaupten, sondern zugleich auch das ganze übrige Deutsch¬
land in seiner natürlichen Weiterentwicklung auf nationalem Boden zu hindern.
Und doch liegt gerade hierin, weit mehr als in den Vorrechten an sich, die
UnHaltbarkeit der derzeitigen Situation, welche bei fernerer^ Renitenz unseres
Ministeriums gegenüber den berechtigtsten nationalen Forderungen den Bogen
in nicht ferner Zeit zum Biegen oder zum Brechen bringen muß. Uebrigens
ist schon jetzt die ganze mit socialer Vorliebe affectirte Selbständigkeit und
Unabhängigkeit der Entschließungen unserer activen Staatsmänner ein eitler
Schein, der nur noch bei Theatcrbeleuchtung aufrecht erhalten werden kann.
Der Kriegsminister nimmt gegenüber dem preußischen Corpscommandanten
in Stuttgart thatsächlich nur noch die Stellung des Monds zur Sonne ein,
während der Minister der Auswärtigen schon durch seine ganze Persönlichkeit
in und außer der Stände-Kammer den Beweis liefert, wie wenig sein De¬
partement seit dem Abgang seines geistvollen Vorgängers Varnbüler noch zu
bedeuten hat. Herrn von Mittnacht aber, der seiner Zeit mit so großer Haft,
um ja dem Norddeutschen Bunde zuvor zukommen, das neue württembergische
Proceßrecht geschaffen hatte, trifft schon jetzt das Schicksal, ein Pompejus der
Große im Kleinen „Luarum leZuin iciem auctor et suasor" zu werden.
Vergebens sind auch alle Bemühungen in Berlin, umsonst der Aufwand an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129188"/>
          <p xml:id="ID_639" prev="#ID_638" next="#ID_640"> Allein wie auch unsere Geschäftswelt die Vortheile der neuen politischen Ver¬<lb/>
hältnisse, den immensen Aufschwung, welchen Industrie und Ackerbau in den<lb/>
letzten Jahren unter dem Schutz des Reichs gewonnen haben, wohl zu wür¬<lb/>
digen weiß, so begegnet man doch überall derselben Indifferenz gegenüber<lb/>
allen Fragen der praktischen Politik. Man fühlt in Württemberg nach dem<lb/>
kläglichen Großmachtsschwindel der Uebergangsperiode die ganze Bedeutungs¬<lb/>
losigkeit des Kleinstaats, namentlich auch unserer derzeitigen constitutionellen<lb/>
Verhältnisse, man fühlt wie wenig wir selbst zu der neuen Lage beigetragen<lb/>
haben, daß wir Alles den großen Staatsmännern an der Spitze des Reichs<lb/>
verdanken und ist von der Ueberzeugung, daß ihnen die Ueberwindung aller<lb/>
noch vorhandenen Schwierigkeiten auch fernerhin gelingen werde, so sehr durch¬<lb/>
drungen, daß man von den politischen Fehden übersättigt, alles Weitere gerne<lb/>
dem Reich überläßt, und um so mehr dem Erwerb nachgehen zu dürfen glaubt.<lb/>
Dazu kommt die peinliche Zwitterstellung, in welche Württemberg durch die<lb/>
Versailler Abmachungen zum Reich gebracht wurde. Unsere Staatsmänner<lb/>
hatten sich damals offenbar die Tragweite der bedungenen Sonderstellung<lb/>
gar nicht klar gemacht, fondern nur die Äußerlichkeiten der fürstlichen Präro¬<lb/>
gativen ins Auge gefaßt.  Nun tritt es aber täglich mehr zu Tage, daß dem<lb/>
souveränen Staat, wie er jetzt im Reiche und neben dem Reiche fortexistiren<lb/>
soll, ganz die erforderliche ideale Lebenskraft mangelt, um &#x2014; ohne Unter¬<lb/>
stützung von Wien oder Paris &#x2014; nicht nur die beanspruchte Sonderstellung<lb/>
für sich fernerhin zu behaupten, sondern zugleich auch das ganze übrige Deutsch¬<lb/>
land in seiner natürlichen Weiterentwicklung auf nationalem Boden zu hindern.<lb/>
Und doch liegt gerade hierin, weit mehr als in den Vorrechten an sich, die<lb/>
UnHaltbarkeit der derzeitigen Situation, welche bei fernerer^ Renitenz unseres<lb/>
Ministeriums gegenüber den berechtigtsten nationalen Forderungen den Bogen<lb/>
in nicht ferner Zeit zum Biegen oder zum Brechen bringen muß. Uebrigens<lb/>
ist schon jetzt die ganze mit socialer Vorliebe affectirte Selbständigkeit und<lb/>
Unabhängigkeit der Entschließungen unserer activen Staatsmänner ein eitler<lb/>
Schein, der nur noch bei Theatcrbeleuchtung aufrecht erhalten werden kann.<lb/>
Der Kriegsminister nimmt gegenüber dem preußischen Corpscommandanten<lb/>
in Stuttgart thatsächlich nur noch die Stellung des Monds zur Sonne ein,<lb/>
während der Minister der Auswärtigen schon durch seine ganze Persönlichkeit<lb/>
in und außer der Stände-Kammer den Beweis liefert, wie wenig sein De¬<lb/>
partement seit dem Abgang seines geistvollen Vorgängers Varnbüler noch zu<lb/>
bedeuten hat. Herrn von Mittnacht aber, der seiner Zeit mit so großer Haft,<lb/>
um ja dem Norddeutschen Bunde zuvor zukommen, das neue württembergische<lb/>
Proceßrecht geschaffen hatte, trifft schon jetzt das Schicksal, ein Pompejus der<lb/>
Große im Kleinen &#x201E;Luarum leZuin iciem auctor et suasor" zu werden.<lb/>
Vergebens sind auch alle Bemühungen in Berlin, umsonst der Aufwand an</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] Allein wie auch unsere Geschäftswelt die Vortheile der neuen politischen Ver¬ hältnisse, den immensen Aufschwung, welchen Industrie und Ackerbau in den letzten Jahren unter dem Schutz des Reichs gewonnen haben, wohl zu wür¬ digen weiß, so begegnet man doch überall derselben Indifferenz gegenüber allen Fragen der praktischen Politik. Man fühlt in Württemberg nach dem kläglichen Großmachtsschwindel der Uebergangsperiode die ganze Bedeutungs¬ losigkeit des Kleinstaats, namentlich auch unserer derzeitigen constitutionellen Verhältnisse, man fühlt wie wenig wir selbst zu der neuen Lage beigetragen haben, daß wir Alles den großen Staatsmännern an der Spitze des Reichs verdanken und ist von der Ueberzeugung, daß ihnen die Ueberwindung aller noch vorhandenen Schwierigkeiten auch fernerhin gelingen werde, so sehr durch¬ drungen, daß man von den politischen Fehden übersättigt, alles Weitere gerne dem Reich überläßt, und um so mehr dem Erwerb nachgehen zu dürfen glaubt. Dazu kommt die peinliche Zwitterstellung, in welche Württemberg durch die Versailler Abmachungen zum Reich gebracht wurde. Unsere Staatsmänner hatten sich damals offenbar die Tragweite der bedungenen Sonderstellung gar nicht klar gemacht, fondern nur die Äußerlichkeiten der fürstlichen Präro¬ gativen ins Auge gefaßt. Nun tritt es aber täglich mehr zu Tage, daß dem souveränen Staat, wie er jetzt im Reiche und neben dem Reiche fortexistiren soll, ganz die erforderliche ideale Lebenskraft mangelt, um — ohne Unter¬ stützung von Wien oder Paris — nicht nur die beanspruchte Sonderstellung für sich fernerhin zu behaupten, sondern zugleich auch das ganze übrige Deutsch¬ land in seiner natürlichen Weiterentwicklung auf nationalem Boden zu hindern. Und doch liegt gerade hierin, weit mehr als in den Vorrechten an sich, die UnHaltbarkeit der derzeitigen Situation, welche bei fernerer^ Renitenz unseres Ministeriums gegenüber den berechtigtsten nationalen Forderungen den Bogen in nicht ferner Zeit zum Biegen oder zum Brechen bringen muß. Uebrigens ist schon jetzt die ganze mit socialer Vorliebe affectirte Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Entschließungen unserer activen Staatsmänner ein eitler Schein, der nur noch bei Theatcrbeleuchtung aufrecht erhalten werden kann. Der Kriegsminister nimmt gegenüber dem preußischen Corpscommandanten in Stuttgart thatsächlich nur noch die Stellung des Monds zur Sonne ein, während der Minister der Auswärtigen schon durch seine ganze Persönlichkeit in und außer der Stände-Kammer den Beweis liefert, wie wenig sein De¬ partement seit dem Abgang seines geistvollen Vorgängers Varnbüler noch zu bedeuten hat. Herrn von Mittnacht aber, der seiner Zeit mit so großer Haft, um ja dem Norddeutschen Bunde zuvor zukommen, das neue württembergische Proceßrecht geschaffen hatte, trifft schon jetzt das Schicksal, ein Pompejus der Große im Kleinen „Luarum leZuin iciem auctor et suasor" zu werden. Vergebens sind auch alle Bemühungen in Berlin, umsonst der Aufwand an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/196>, abgerufen am 24.08.2024.