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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Lessius macht mit dem Meineide noch weniger Umstände. Er sagt:
"Es ist keine Todsünde, ohne schwören zu wollen, falsch zu schwören, wenn
man mit Unrecht zum Eide getrieben wird und das Falsche des Schwurs ver¬
borgen ist. Denn man hat weder die Absicht, Gott zum Zeugen anzurufen,
sondern stellt sich nur so. noch kann man vernünftigerweise für meineidig ge¬
halten werden, weil das Falsche daran gänzlich verborgen ist, und weil man
eine gerechte Ursache hat, im Geiste anders zu schwören."

Daß die Jesuiten die Pflichten, welche das dritte Gebot auferlegt,
ebenfalls stark beschnitten haben, wird man vermuthen. Escobar läßt die
ganze Verpflichtung zur Heiligung des Sonntags darin bestehen, daß man
schuldig sei, eine Messe zu hören und keine körperliche Arbeit zu verrichten,
und darin geben ihm alle Casuisten Recht, nur erlauben sie noch das Jagen
und Fischen, das Anstreichen und Malen, das Destillirer, das Treiben von
Lastthieren und das Fahren von Getreide nach der Mühle, und Escobar ist
überzeugt, daß nichtchristliche Sklaven von ihren Herren gezwungen werden
können, auch am Sonntag alle Arbeit zu thun, die sie sonst verrichten.

Das sonntägliche Messehören, welches die Kirche fordert, ist nach den immer
milden Jesuitenvätern nicht so tragisch zu nehmen. Nach Angelus und
Rosella schadet es nichts, wenn man ein paar Mal im Jahre die Messe
schwärzt. Die Kirche gebietet ferner bei Vermeidung schwerer Sünde, eine
ganze Messe zu hören. Escobar aber meint, der vierte Theil einer solchen,
etwa bis zum Evangelium, läßt sich ohne Verletzung dieses Gebotes schwarzen,
und Henri quez glaubt, auch das Anhören des Evangeliums sei nicht von
Nöthen. Laymann aber ist noch liberaler, indem er auch das Credo in den
Kauf giebt.

Gewiß mag es Manchem recht beschwerlich sein, eine ganze Messe in einem
Zuge zu hören, und so haben die Jesuiten, stets darauf bedacht, es den Leuten
bequem zu machen mit den Geboten, eine Methode ersonnen, in möglichst
kurzer Zeit die Sache abzuthun, eine Methode, welche nichtkatholischen
Lesern possirlich, jfrommen Katholiken aber recht skandalös vorkommen
wird.

Natürlich ist es für jemand, der in die Messe kommt, wenn sie schon halb
beendigt ist, eine Last, hinterdrein noch einer ganzen beizuwohnen, denn er
büßt damit wenigstens eine Viertelstunde Zeit ein. Die frommen Väter
empfanden diesen Verlust im Geiste mit und waren bemüht, ihn auf ihre Art
den Leuten zu ersparen. Escobar scheint das Mittel zuerst entdeckt zu
haben: er resolvirt, man "könne einen Theil der Messe bei diesem, den andern
bei jenem Priester hören", eine Ansicht, die Busenbaum, auf Navarra, Bo-
narscius, Solus, Henriquez, Diana und Hurtado gestützt, richtig findet. "Kann
man aber", so fährt Escobar fort, "die Messe von zwei Priestern, von jedem


Lessius macht mit dem Meineide noch weniger Umstände. Er sagt:
„Es ist keine Todsünde, ohne schwören zu wollen, falsch zu schwören, wenn
man mit Unrecht zum Eide getrieben wird und das Falsche des Schwurs ver¬
borgen ist. Denn man hat weder die Absicht, Gott zum Zeugen anzurufen,
sondern stellt sich nur so. noch kann man vernünftigerweise für meineidig ge¬
halten werden, weil das Falsche daran gänzlich verborgen ist, und weil man
eine gerechte Ursache hat, im Geiste anders zu schwören."

Daß die Jesuiten die Pflichten, welche das dritte Gebot auferlegt,
ebenfalls stark beschnitten haben, wird man vermuthen. Escobar läßt die
ganze Verpflichtung zur Heiligung des Sonntags darin bestehen, daß man
schuldig sei, eine Messe zu hören und keine körperliche Arbeit zu verrichten,
und darin geben ihm alle Casuisten Recht, nur erlauben sie noch das Jagen
und Fischen, das Anstreichen und Malen, das Destillirer, das Treiben von
Lastthieren und das Fahren von Getreide nach der Mühle, und Escobar ist
überzeugt, daß nichtchristliche Sklaven von ihren Herren gezwungen werden
können, auch am Sonntag alle Arbeit zu thun, die sie sonst verrichten.

Das sonntägliche Messehören, welches die Kirche fordert, ist nach den immer
milden Jesuitenvätern nicht so tragisch zu nehmen. Nach Angelus und
Rosella schadet es nichts, wenn man ein paar Mal im Jahre die Messe
schwärzt. Die Kirche gebietet ferner bei Vermeidung schwerer Sünde, eine
ganze Messe zu hören. Escobar aber meint, der vierte Theil einer solchen,
etwa bis zum Evangelium, läßt sich ohne Verletzung dieses Gebotes schwarzen,
und Henri quez glaubt, auch das Anhören des Evangeliums sei nicht von
Nöthen. Laymann aber ist noch liberaler, indem er auch das Credo in den
Kauf giebt.

Gewiß mag es Manchem recht beschwerlich sein, eine ganze Messe in einem
Zuge zu hören, und so haben die Jesuiten, stets darauf bedacht, es den Leuten
bequem zu machen mit den Geboten, eine Methode ersonnen, in möglichst
kurzer Zeit die Sache abzuthun, eine Methode, welche nichtkatholischen
Lesern possirlich, jfrommen Katholiken aber recht skandalös vorkommen
wird.

Natürlich ist es für jemand, der in die Messe kommt, wenn sie schon halb
beendigt ist, eine Last, hinterdrein noch einer ganzen beizuwohnen, denn er
büßt damit wenigstens eine Viertelstunde Zeit ein. Die frommen Väter
empfanden diesen Verlust im Geiste mit und waren bemüht, ihn auf ihre Art
den Leuten zu ersparen. Escobar scheint das Mittel zuerst entdeckt zu
haben: er resolvirt, man „könne einen Theil der Messe bei diesem, den andern
bei jenem Priester hören", eine Ansicht, die Busenbaum, auf Navarra, Bo-
narscius, Solus, Henriquez, Diana und Hurtado gestützt, richtig findet. „Kann
man aber", so fährt Escobar fort, „die Messe von zwei Priestern, von jedem


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[0194] Lessius macht mit dem Meineide noch weniger Umstände. Er sagt: „Es ist keine Todsünde, ohne schwören zu wollen, falsch zu schwören, wenn man mit Unrecht zum Eide getrieben wird und das Falsche des Schwurs ver¬ borgen ist. Denn man hat weder die Absicht, Gott zum Zeugen anzurufen, sondern stellt sich nur so. noch kann man vernünftigerweise für meineidig ge¬ halten werden, weil das Falsche daran gänzlich verborgen ist, und weil man eine gerechte Ursache hat, im Geiste anders zu schwören." Daß die Jesuiten die Pflichten, welche das dritte Gebot auferlegt, ebenfalls stark beschnitten haben, wird man vermuthen. Escobar läßt die ganze Verpflichtung zur Heiligung des Sonntags darin bestehen, daß man schuldig sei, eine Messe zu hören und keine körperliche Arbeit zu verrichten, und darin geben ihm alle Casuisten Recht, nur erlauben sie noch das Jagen und Fischen, das Anstreichen und Malen, das Destillirer, das Treiben von Lastthieren und das Fahren von Getreide nach der Mühle, und Escobar ist überzeugt, daß nichtchristliche Sklaven von ihren Herren gezwungen werden können, auch am Sonntag alle Arbeit zu thun, die sie sonst verrichten. Das sonntägliche Messehören, welches die Kirche fordert, ist nach den immer milden Jesuitenvätern nicht so tragisch zu nehmen. Nach Angelus und Rosella schadet es nichts, wenn man ein paar Mal im Jahre die Messe schwärzt. Die Kirche gebietet ferner bei Vermeidung schwerer Sünde, eine ganze Messe zu hören. Escobar aber meint, der vierte Theil einer solchen, etwa bis zum Evangelium, läßt sich ohne Verletzung dieses Gebotes schwarzen, und Henri quez glaubt, auch das Anhören des Evangeliums sei nicht von Nöthen. Laymann aber ist noch liberaler, indem er auch das Credo in den Kauf giebt. Gewiß mag es Manchem recht beschwerlich sein, eine ganze Messe in einem Zuge zu hören, und so haben die Jesuiten, stets darauf bedacht, es den Leuten bequem zu machen mit den Geboten, eine Methode ersonnen, in möglichst kurzer Zeit die Sache abzuthun, eine Methode, welche nichtkatholischen Lesern possirlich, jfrommen Katholiken aber recht skandalös vorkommen wird. Natürlich ist es für jemand, der in die Messe kommt, wenn sie schon halb beendigt ist, eine Last, hinterdrein noch einer ganzen beizuwohnen, denn er büßt damit wenigstens eine Viertelstunde Zeit ein. Die frommen Väter empfanden diesen Verlust im Geiste mit und waren bemüht, ihn auf ihre Art den Leuten zu ersparen. Escobar scheint das Mittel zuerst entdeckt zu haben: er resolvirt, man „könne einen Theil der Messe bei diesem, den andern bei jenem Priester hören", eine Ansicht, die Busenbaum, auf Navarra, Bo- narscius, Solus, Henriquez, Diana und Hurtado gestützt, richtig findet. „Kann man aber", so fährt Escobar fort, „die Messe von zwei Priestern, von jedem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/194>, abgerufen am 24.08.2024.