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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Suarez: "Vor Allem sage ich. daß innerlich kein Uebel daraus entsteht,
wenn man sich der Doppelsinnigkeit bedient, sogar bei Leistung eines Eides;
denn hierdurch wird jeder Meineid aufgehoben." "Der Doppelsinn in der
Rede ist nicht immer eine Lüge." "Die Lüge ist etwas gegen den Gedanken
dessen selbst, der da spricht, Gesagtes; denn er soll seine Worte seiner Ansicht
gleichstellen, und es ist keineswegs gehalten, sich der Ansicht dessen anzubeque¬
men, der ihn hört. Außerdem kann man nicht sagen, wer sich in dem seiner
Ansicht entsprechenden Sinne zweideutiger Ausdrücke bedient, spreche gegen
seine Gedanken. Er lügt also nicht, und folglich ist auch das so Gesprochene
nicht sündhaft gegen ihn. Hiernach schließt man, daß dabei kein Meineid
eintrete, wenn man mit einem Eide bekräftigt, was man so gesprochen hat.
denn so nimmt man Gott nicht zum Zeugen einer Lüge, weil eine solche gar
nicht vorhanden ist."

Thomas Sanchez: "Hieraus folgt, daß derjenige, der einigen Besitz
verbergen darf, weil er ihn zum Leben bedarf, und weil er fürchtet, er möchte
ihm von seinen Gläubigern genommen und er an den Bettelstab gebracht
werden, daß ein solcher Mensch, sage ich, durch den Richter befragt, schwören
kann, er habe kein verborgenes Eigenthum; und auch die. welche davon wissen
können dasselbe beschwören, vorausgesetzt, daß er seinen Besitz zu jenem er¬
laubten Zwecke verborgen hat, während sie selbst bei sich denken, daß er keine
Güter verborgen, welche er dem Richter anzuzeigen verpflichtet sei." "Ich
glaube, dieselbe Antwort könnte ein Schuldner geben, der noch nicht verbunden
wäre. Zahlung zu leisten, weil der Termin noch nicht gekommen, oder den
Armuth für den Augenblick von der Zahlung befreit, weil der Richter ihn
blos verhört, um ihn zu sofortiger Zahlung zu zwingen. Er antwortet da¬
her mit Wahrheit, wenn er den Empfang der Summe leugnet, indem er sich
innerlich hinzudenkt, um sie auf der Stelle erstatten zu müssen, ganz im Sinne
des Richters."

Laymann ist ebensowenig scrupulös in Betreff des Schwörens. "Ein
amphibologischer Eid", so duftete er, "obwohl er kein Meineid, ja sogar ohne
Schuld ist, wenn ein rechter Grund zum Schwören vorliegt, um eine Wahr¬
scheinlichkeit zu verhüllen, ist doch unerlaubt und gewissermaßen ein Mein¬
eid, wenn er ohne gerechte Ursache abgelegt wird." Was aber eine solche
"gerechte Ursache" ist, lehrt uns Castro Palao, welcher sagt: "Eine anstän¬
dige Ursache zu solcher Verheimlichung der Wahrheit ist die Sorge für Dein
und der Deinigen Wohl, Ehre, Besitz oder die Ntchtberechtigung dessen, der
Dich fragt, zu solcher Befragung. Der klare Beweis hierfür liegt darin, daß
der Irrthum im Uebel, der auf einen solchen Eid hin entstehen konnte,
gegen die gegründete Ursache zurücktritt, die man hat. die Wahrheit zu ver¬
heimlichen."


Grenzboten I. 1873. 24

Suarez: „Vor Allem sage ich. daß innerlich kein Uebel daraus entsteht,
wenn man sich der Doppelsinnigkeit bedient, sogar bei Leistung eines Eides;
denn hierdurch wird jeder Meineid aufgehoben." „Der Doppelsinn in der
Rede ist nicht immer eine Lüge." „Die Lüge ist etwas gegen den Gedanken
dessen selbst, der da spricht, Gesagtes; denn er soll seine Worte seiner Ansicht
gleichstellen, und es ist keineswegs gehalten, sich der Ansicht dessen anzubeque¬
men, der ihn hört. Außerdem kann man nicht sagen, wer sich in dem seiner
Ansicht entsprechenden Sinne zweideutiger Ausdrücke bedient, spreche gegen
seine Gedanken. Er lügt also nicht, und folglich ist auch das so Gesprochene
nicht sündhaft gegen ihn. Hiernach schließt man, daß dabei kein Meineid
eintrete, wenn man mit einem Eide bekräftigt, was man so gesprochen hat.
denn so nimmt man Gott nicht zum Zeugen einer Lüge, weil eine solche gar
nicht vorhanden ist."

Thomas Sanchez: „Hieraus folgt, daß derjenige, der einigen Besitz
verbergen darf, weil er ihn zum Leben bedarf, und weil er fürchtet, er möchte
ihm von seinen Gläubigern genommen und er an den Bettelstab gebracht
werden, daß ein solcher Mensch, sage ich, durch den Richter befragt, schwören
kann, er habe kein verborgenes Eigenthum; und auch die. welche davon wissen
können dasselbe beschwören, vorausgesetzt, daß er seinen Besitz zu jenem er¬
laubten Zwecke verborgen hat, während sie selbst bei sich denken, daß er keine
Güter verborgen, welche er dem Richter anzuzeigen verpflichtet sei." „Ich
glaube, dieselbe Antwort könnte ein Schuldner geben, der noch nicht verbunden
wäre. Zahlung zu leisten, weil der Termin noch nicht gekommen, oder den
Armuth für den Augenblick von der Zahlung befreit, weil der Richter ihn
blos verhört, um ihn zu sofortiger Zahlung zu zwingen. Er antwortet da¬
her mit Wahrheit, wenn er den Empfang der Summe leugnet, indem er sich
innerlich hinzudenkt, um sie auf der Stelle erstatten zu müssen, ganz im Sinne
des Richters."

Laymann ist ebensowenig scrupulös in Betreff des Schwörens. „Ein
amphibologischer Eid", so duftete er, „obwohl er kein Meineid, ja sogar ohne
Schuld ist, wenn ein rechter Grund zum Schwören vorliegt, um eine Wahr¬
scheinlichkeit zu verhüllen, ist doch unerlaubt und gewissermaßen ein Mein¬
eid, wenn er ohne gerechte Ursache abgelegt wird." Was aber eine solche
„gerechte Ursache" ist, lehrt uns Castro Palao, welcher sagt: „Eine anstän¬
dige Ursache zu solcher Verheimlichung der Wahrheit ist die Sorge für Dein
und der Deinigen Wohl, Ehre, Besitz oder die Ntchtberechtigung dessen, der
Dich fragt, zu solcher Befragung. Der klare Beweis hierfür liegt darin, daß
der Irrthum im Uebel, der auf einen solchen Eid hin entstehen konnte,
gegen die gegründete Ursache zurücktritt, die man hat. die Wahrheit zu ver¬
heimlichen."


Grenzboten I. 1873. 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/193>, abgerufen am 24.08.2024.