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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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wenn Jsaak von Bruyn sagt: "Wodurch willst Du mir beweisen, daß
Gott den Menschen nicht auch einen positiven Irrthum eingeben kann? Eine
zweideutige Sprache streitet nicht gegen die Wahrhaftigkeit Gottes, und da er
die Richtschnur der menschlichen Handlungen ist. so folgt, daß der Mensch
nicht gegen die Wahrhaftigkeit sündigt, welcher sich solcher zweideutigen Reden
bedient."

In das Kapitel des zweiten Gebotes fällt die Heilighaltung des
Eides und des Gelübdes sowie das Verbot der Lüge. Wir haben schon oben
angedeutet, wie die Jesuiten über den Meineid hinwegzukommen gelehrt haben.
Hier wollen wir einiges hierher Gehörige nachholen.

Busenbaum sagt: "Wer nur äußerlich geschworen hat. ohne die Ab¬
sicht zu schwören, braucht den Eid nicht zu halten, da er ja nicht geschworen,
sondern nur mit dem Eide gespielt hat" -- ein Ausspruch, mit dem auch heute
noch Manchem geholfen wäre, wenn unsre Criminalrichter die Sache nicht an¬
ders zu nehmen gewohnt wären.

Escobar fragt: "Darf ich jemand zu einem falschen Eidschwur ver¬
leiten, den er aus Unwissenheit für einen wahren hält? Antwort: Azor sagt:
nein, weil ich einen Frevel auch bei einem Andern verhüten muß. Aber Hur-
tado erlaubt es, weil es weder formell noch materiell böse sei." Azor ist ein
äoetor gravis, Hurtado desgleichen, also haben beider Meinungen gleiche
Wahrscheinlichkeit für sich, und so, zweifelnde Seele, wähle, welche für dich am
vortheilhaftesten ist.

Escobar fragt ferner: "Ich bekräftige ein Versprechen, welches ich nicht,
zu halten gesonnen bin, mit meinem Eide, muß ich es nun halten? Antwort:
Lessius sagt, ja, Andere stellen es in Abrede." Also kann ich machen, was
ich will, denn für beides stehen äoetores gi-a-pes ein. daß es in der Ordnung sei.

Jemand hat gelobt, einen Rosenkranz zu beten und zweifelt, ob er ihn
ganz zu beten gelobt habe. Was ist ihm zu rathen? Antwort: Er ist nur
zum dritten Theil verbunden; denn der heißt auch Rosenkranz." (Escobar.)

Jemand hat sich durch ein Gelübde zu täglichem Hersagen der sieben Bu߬
psalmen verpflichtet, er hat aber zufällig kein Buch und weiß nur einen
einzigen auswendig. Muß er diesen nun sieben Mal beten? Durchaus nicht,
namentlich wenn es ein langer ist. Daher behaupte ich, er ist zu nichts ver¬
bunden." (Sanchez.)

Emanuel Sa lehrt: "Es ist keine schwere Sünde, wenn man schwört,
etwas nicht thun zu wollen, was zweckmäßiger gethan wird, und ebenso wenig
ist es eine, wenn man mit Worten falsch schwört, falls der Eid nur in Betreff
dessen wahr ist, was der Befragte meint. Nach diesen Lehren kannst du vor
Gericht schwören, du habest etwas nicht gethan, indem du dabei denkst: nicht
auf die Weise, wie es der Richter meint."


wenn Jsaak von Bruyn sagt: „Wodurch willst Du mir beweisen, daß
Gott den Menschen nicht auch einen positiven Irrthum eingeben kann? Eine
zweideutige Sprache streitet nicht gegen die Wahrhaftigkeit Gottes, und da er
die Richtschnur der menschlichen Handlungen ist. so folgt, daß der Mensch
nicht gegen die Wahrhaftigkeit sündigt, welcher sich solcher zweideutigen Reden
bedient."

In das Kapitel des zweiten Gebotes fällt die Heilighaltung des
Eides und des Gelübdes sowie das Verbot der Lüge. Wir haben schon oben
angedeutet, wie die Jesuiten über den Meineid hinwegzukommen gelehrt haben.
Hier wollen wir einiges hierher Gehörige nachholen.

Busenbaum sagt: „Wer nur äußerlich geschworen hat. ohne die Ab¬
sicht zu schwören, braucht den Eid nicht zu halten, da er ja nicht geschworen,
sondern nur mit dem Eide gespielt hat" — ein Ausspruch, mit dem auch heute
noch Manchem geholfen wäre, wenn unsre Criminalrichter die Sache nicht an¬
ders zu nehmen gewohnt wären.

Escobar fragt: „Darf ich jemand zu einem falschen Eidschwur ver¬
leiten, den er aus Unwissenheit für einen wahren hält? Antwort: Azor sagt:
nein, weil ich einen Frevel auch bei einem Andern verhüten muß. Aber Hur-
tado erlaubt es, weil es weder formell noch materiell böse sei." Azor ist ein
äoetor gravis, Hurtado desgleichen, also haben beider Meinungen gleiche
Wahrscheinlichkeit für sich, und so, zweifelnde Seele, wähle, welche für dich am
vortheilhaftesten ist.

Escobar fragt ferner: „Ich bekräftige ein Versprechen, welches ich nicht,
zu halten gesonnen bin, mit meinem Eide, muß ich es nun halten? Antwort:
Lessius sagt, ja, Andere stellen es in Abrede." Also kann ich machen, was
ich will, denn für beides stehen äoetores gi-a-pes ein. daß es in der Ordnung sei.

Jemand hat gelobt, einen Rosenkranz zu beten und zweifelt, ob er ihn
ganz zu beten gelobt habe. Was ist ihm zu rathen? Antwort: Er ist nur
zum dritten Theil verbunden; denn der heißt auch Rosenkranz." (Escobar.)

Jemand hat sich durch ein Gelübde zu täglichem Hersagen der sieben Bu߬
psalmen verpflichtet, er hat aber zufällig kein Buch und weiß nur einen
einzigen auswendig. Muß er diesen nun sieben Mal beten? Durchaus nicht,
namentlich wenn es ein langer ist. Daher behaupte ich, er ist zu nichts ver¬
bunden." (Sanchez.)

Emanuel Sa lehrt: „Es ist keine schwere Sünde, wenn man schwört,
etwas nicht thun zu wollen, was zweckmäßiger gethan wird, und ebenso wenig
ist es eine, wenn man mit Worten falsch schwört, falls der Eid nur in Betreff
dessen wahr ist, was der Befragte meint. Nach diesen Lehren kannst du vor
Gericht schwören, du habest etwas nicht gethan, indem du dabei denkst: nicht
auf die Weise, wie es der Richter meint."


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[0192] wenn Jsaak von Bruyn sagt: „Wodurch willst Du mir beweisen, daß Gott den Menschen nicht auch einen positiven Irrthum eingeben kann? Eine zweideutige Sprache streitet nicht gegen die Wahrhaftigkeit Gottes, und da er die Richtschnur der menschlichen Handlungen ist. so folgt, daß der Mensch nicht gegen die Wahrhaftigkeit sündigt, welcher sich solcher zweideutigen Reden bedient." In das Kapitel des zweiten Gebotes fällt die Heilighaltung des Eides und des Gelübdes sowie das Verbot der Lüge. Wir haben schon oben angedeutet, wie die Jesuiten über den Meineid hinwegzukommen gelehrt haben. Hier wollen wir einiges hierher Gehörige nachholen. Busenbaum sagt: „Wer nur äußerlich geschworen hat. ohne die Ab¬ sicht zu schwören, braucht den Eid nicht zu halten, da er ja nicht geschworen, sondern nur mit dem Eide gespielt hat" — ein Ausspruch, mit dem auch heute noch Manchem geholfen wäre, wenn unsre Criminalrichter die Sache nicht an¬ ders zu nehmen gewohnt wären. Escobar fragt: „Darf ich jemand zu einem falschen Eidschwur ver¬ leiten, den er aus Unwissenheit für einen wahren hält? Antwort: Azor sagt: nein, weil ich einen Frevel auch bei einem Andern verhüten muß. Aber Hur- tado erlaubt es, weil es weder formell noch materiell böse sei." Azor ist ein äoetor gravis, Hurtado desgleichen, also haben beider Meinungen gleiche Wahrscheinlichkeit für sich, und so, zweifelnde Seele, wähle, welche für dich am vortheilhaftesten ist. Escobar fragt ferner: „Ich bekräftige ein Versprechen, welches ich nicht, zu halten gesonnen bin, mit meinem Eide, muß ich es nun halten? Antwort: Lessius sagt, ja, Andere stellen es in Abrede." Also kann ich machen, was ich will, denn für beides stehen äoetores gi-a-pes ein. daß es in der Ordnung sei. Jemand hat gelobt, einen Rosenkranz zu beten und zweifelt, ob er ihn ganz zu beten gelobt habe. Was ist ihm zu rathen? Antwort: Er ist nur zum dritten Theil verbunden; denn der heißt auch Rosenkranz." (Escobar.) Jemand hat sich durch ein Gelübde zu täglichem Hersagen der sieben Bu߬ psalmen verpflichtet, er hat aber zufällig kein Buch und weiß nur einen einzigen auswendig. Muß er diesen nun sieben Mal beten? Durchaus nicht, namentlich wenn es ein langer ist. Daher behaupte ich, er ist zu nichts ver¬ bunden." (Sanchez.) Emanuel Sa lehrt: „Es ist keine schwere Sünde, wenn man schwört, etwas nicht thun zu wollen, was zweckmäßiger gethan wird, und ebenso wenig ist es eine, wenn man mit Worten falsch schwört, falls der Eid nur in Betreff dessen wahr ist, was der Befragte meint. Nach diesen Lehren kannst du vor Gericht schwören, du habest etwas nicht gethan, indem du dabei denkst: nicht auf die Weise, wie es der Richter meint."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/192>, abgerufen am 24.08.2024.