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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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über ein Jahr verschieben dürfen. So Commes. Hurtado behauptet, man sei
alle Jahre einmal Gott zu lieben gehalten. Commes meint, man müsse es
nur nicht bis in's dritte oder vierte Jahr vertagen. Henriquez will,
daß wir außer der Todesstunde und dem Anfang des Vernunftgebrauches
in der Zwischenzeit alle fünf Jahre Gott zu lieben verpflichtet sind. Filliuccius
hingegen findet es wahrscheinlich, daß man nicht einmal alle fünf Jahre streng
dazu verbunden sei. sondern sich nach den Entscheidungen der Weisen richten
müsse."

Die Weisen sind natürlich die jesuitischen Casuisten, und da jeder äoetor
Mavis, jedes Meinung also probabel und in xraxi tuta ist, so kann man sich
füglich an die bequeme Lehre des Vasquez halten, nach der es, wie wir sahen,
genügt, Gott in der Todesstunde zu lieben.

Noch weiter geht Sirmond, der in seiner "DekLnse dö In, Vertu" zu¬
nächst gar nicht weiß, zu welcher Zeit man Gott lieben muß, und weiterhin
sogar meint, man brauche ihn gar nicht zu lieben, wenn man nur die übrigen
Gebote halte. Er sagt: "Indem Gott befohlen hat, ihn zu lieben, ist er schon
zufrieden, wenn wir seine übrigen Gebote halten. Hätte er gesagt: Du sollst
ewig verdammt werden, wenn du zwar meine Gebote erfüllst, mich aber nicht
liebst, wäre da dieser Beweggrund, ihn zu lieben, dem Endzweck angemessen
gewesen, den Gott haben mußte? Wir sind also angewiesen, Gott zu lieben,
d. h. seinem Willen zu gehorchen, wie wenn wir ihn in der That liebten, wie wenn
wahre Liebe zu ihm uns beseelte. Ist dieß der Fall, schon, um so besser, ist
es nicht der Fall, so werden wir den Befehl, Gott zu lieben, hinreichend er¬
füllen, wenn wir nur seine übrigen Gebote nicht übertreten. Gott hat also
nach seiner wunderbaren Güte gegen die Menschen nicht so sehr geboten, ihn
zu lieben, als verboten, ihn zu hassen."

Als diese Lehre von frommen Leuten heftig angefochten wurde, erhoben
sich die Jesuiten Annal, Lamoineund Pintereau zu ihrer Vertheidigung,
und der Letztgenannte ließ u. A. vernehmen: "Es war billig und gerecht, daß
Gott in dem Gesetz der Gnade und des neuen Testaments jenes harte und
schwere Gobot, zur Erlangung der Rechtfertigung eine vollkommne Reue, das
Hißt den Act der Liebe zu erwecken, aufhob; billig, fo sage ich, war es, daß
er Sacramente einsetzte, die den Mangel der Liebe ausgleichen und nicht eine
so schwierige Gemüthsstimmung wie diese erfordern. Denn sonst würden ja
die Christen, die doch Gottes Kinder sind, die Gewogenheit ihres himmlischen
Vaters nicht leichter erlangen, als die Juden, die nur Knechte Gottes waren."

Daß der Jesuit Xaver Fegeli Flüche, gegen Gott ausgestoßen, mit
Unwissenheit und Achtlosigkeit, daß sein Ordensgenosse Stolz sie durch plötz¬
liche Gemüthsstimmung und eingewurzelte Gewohnheit entschuldigt, kann nach
dem Gesagten nicht mehr auffallen. Auch wird es nun nicht sehr befremden,


über ein Jahr verschieben dürfen. So Commes. Hurtado behauptet, man sei
alle Jahre einmal Gott zu lieben gehalten. Commes meint, man müsse es
nur nicht bis in's dritte oder vierte Jahr vertagen. Henriquez will,
daß wir außer der Todesstunde und dem Anfang des Vernunftgebrauches
in der Zwischenzeit alle fünf Jahre Gott zu lieben verpflichtet sind. Filliuccius
hingegen findet es wahrscheinlich, daß man nicht einmal alle fünf Jahre streng
dazu verbunden sei. sondern sich nach den Entscheidungen der Weisen richten
müsse."

Die Weisen sind natürlich die jesuitischen Casuisten, und da jeder äoetor
Mavis, jedes Meinung also probabel und in xraxi tuta ist, so kann man sich
füglich an die bequeme Lehre des Vasquez halten, nach der es, wie wir sahen,
genügt, Gott in der Todesstunde zu lieben.

Noch weiter geht Sirmond, der in seiner „DekLnse dö In, Vertu" zu¬
nächst gar nicht weiß, zu welcher Zeit man Gott lieben muß, und weiterhin
sogar meint, man brauche ihn gar nicht zu lieben, wenn man nur die übrigen
Gebote halte. Er sagt: „Indem Gott befohlen hat, ihn zu lieben, ist er schon
zufrieden, wenn wir seine übrigen Gebote halten. Hätte er gesagt: Du sollst
ewig verdammt werden, wenn du zwar meine Gebote erfüllst, mich aber nicht
liebst, wäre da dieser Beweggrund, ihn zu lieben, dem Endzweck angemessen
gewesen, den Gott haben mußte? Wir sind also angewiesen, Gott zu lieben,
d. h. seinem Willen zu gehorchen, wie wenn wir ihn in der That liebten, wie wenn
wahre Liebe zu ihm uns beseelte. Ist dieß der Fall, schon, um so besser, ist
es nicht der Fall, so werden wir den Befehl, Gott zu lieben, hinreichend er¬
füllen, wenn wir nur seine übrigen Gebote nicht übertreten. Gott hat also
nach seiner wunderbaren Güte gegen die Menschen nicht so sehr geboten, ihn
zu lieben, als verboten, ihn zu hassen."

Als diese Lehre von frommen Leuten heftig angefochten wurde, erhoben
sich die Jesuiten Annal, Lamoineund Pintereau zu ihrer Vertheidigung,
und der Letztgenannte ließ u. A. vernehmen: „Es war billig und gerecht, daß
Gott in dem Gesetz der Gnade und des neuen Testaments jenes harte und
schwere Gobot, zur Erlangung der Rechtfertigung eine vollkommne Reue, das
Hißt den Act der Liebe zu erwecken, aufhob; billig, fo sage ich, war es, daß
er Sacramente einsetzte, die den Mangel der Liebe ausgleichen und nicht eine
so schwierige Gemüthsstimmung wie diese erfordern. Denn sonst würden ja
die Christen, die doch Gottes Kinder sind, die Gewogenheit ihres himmlischen
Vaters nicht leichter erlangen, als die Juden, die nur Knechte Gottes waren."

Daß der Jesuit Xaver Fegeli Flüche, gegen Gott ausgestoßen, mit
Unwissenheit und Achtlosigkeit, daß sein Ordensgenosse Stolz sie durch plötz¬
liche Gemüthsstimmung und eingewurzelte Gewohnheit entschuldigt, kann nach
dem Gesagten nicht mehr auffallen. Auch wird es nun nicht sehr befremden,


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[0191] über ein Jahr verschieben dürfen. So Commes. Hurtado behauptet, man sei alle Jahre einmal Gott zu lieben gehalten. Commes meint, man müsse es nur nicht bis in's dritte oder vierte Jahr vertagen. Henriquez will, daß wir außer der Todesstunde und dem Anfang des Vernunftgebrauches in der Zwischenzeit alle fünf Jahre Gott zu lieben verpflichtet sind. Filliuccius hingegen findet es wahrscheinlich, daß man nicht einmal alle fünf Jahre streng dazu verbunden sei. sondern sich nach den Entscheidungen der Weisen richten müsse." Die Weisen sind natürlich die jesuitischen Casuisten, und da jeder äoetor Mavis, jedes Meinung also probabel und in xraxi tuta ist, so kann man sich füglich an die bequeme Lehre des Vasquez halten, nach der es, wie wir sahen, genügt, Gott in der Todesstunde zu lieben. Noch weiter geht Sirmond, der in seiner „DekLnse dö In, Vertu" zu¬ nächst gar nicht weiß, zu welcher Zeit man Gott lieben muß, und weiterhin sogar meint, man brauche ihn gar nicht zu lieben, wenn man nur die übrigen Gebote halte. Er sagt: „Indem Gott befohlen hat, ihn zu lieben, ist er schon zufrieden, wenn wir seine übrigen Gebote halten. Hätte er gesagt: Du sollst ewig verdammt werden, wenn du zwar meine Gebote erfüllst, mich aber nicht liebst, wäre da dieser Beweggrund, ihn zu lieben, dem Endzweck angemessen gewesen, den Gott haben mußte? Wir sind also angewiesen, Gott zu lieben, d. h. seinem Willen zu gehorchen, wie wenn wir ihn in der That liebten, wie wenn wahre Liebe zu ihm uns beseelte. Ist dieß der Fall, schon, um so besser, ist es nicht der Fall, so werden wir den Befehl, Gott zu lieben, hinreichend er¬ füllen, wenn wir nur seine übrigen Gebote nicht übertreten. Gott hat also nach seiner wunderbaren Güte gegen die Menschen nicht so sehr geboten, ihn zu lieben, als verboten, ihn zu hassen." Als diese Lehre von frommen Leuten heftig angefochten wurde, erhoben sich die Jesuiten Annal, Lamoineund Pintereau zu ihrer Vertheidigung, und der Letztgenannte ließ u. A. vernehmen: „Es war billig und gerecht, daß Gott in dem Gesetz der Gnade und des neuen Testaments jenes harte und schwere Gobot, zur Erlangung der Rechtfertigung eine vollkommne Reue, das Hißt den Act der Liebe zu erwecken, aufhob; billig, fo sage ich, war es, daß er Sacramente einsetzte, die den Mangel der Liebe ausgleichen und nicht eine so schwierige Gemüthsstimmung wie diese erfordern. Denn sonst würden ja die Christen, die doch Gottes Kinder sind, die Gewogenheit ihres himmlischen Vaters nicht leichter erlangen, als die Juden, die nur Knechte Gottes waren." Daß der Jesuit Xaver Fegeli Flüche, gegen Gott ausgestoßen, mit Unwissenheit und Achtlosigkeit, daß sein Ordensgenosse Stolz sie durch plötz¬ liche Gemüthsstimmung und eingewurzelte Gewohnheit entschuldigt, kann nach dem Gesagten nicht mehr auffallen. Auch wird es nun nicht sehr befremden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/191>, abgerufen am 24.08.2024.