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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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sagt: "Sie können auch ohne Liebe erfüllt werden, wenn sie diese nicht in
ihrer Wesenheit einschließen, z. B. das Gebot. Gott zu lieben. Der Grund
ist, weil durch das Gebot nur die Wesenheit der in demselben eingeschlossenen
Handlung gefordert wird. So z. B. genügt von dem vierten Gebote, wenn
man seine Eltern ehrt, ohne sie zu lieben; denn es wird ja nicht der Zweck
oder die Art und Weise, auf die man das Gebot erfüllen soll, vorgeschrieben.

Der Jesuit geht aber noch weiter. Man kann nach ihm ein Gebot er¬
füllen, auch wenn man damit einen sündhaften Zweck verfolgt. "Wenn je¬
mand", so heißt es bei Busenbaum nach Sanchez, Laymann und Lugo, "einer
Messe beiwohnt aus eitler Nuhmbegier oder um während derselben einen
Diebstahl zu begehen, so kann er nichtsdestoweniger das Gebot erfüllen, auch
durch eine den Umständen nach sündige Handlung, da er das Wesentliche des
Gebots erfüllt." Daran noch nicht genug, ist demselben Schriftsteller zufolge
zur Erfüllung eines Gebotes die Absicht, demselben gerecht zu werden, gar
nicht vonnöthen, die bloße Handlung reicht aus. Ja er behauptet sogar und
kann sich dabei auf Suarez. Vasquez, Valencia und Lessius berufen, daß das
Gebot selbst dann erfüllt wird, wenn man bei der vorgeschriebenen Handlung
geradezu die Absicht habe, es nicht zu erfüllen/)

Das erste Gebot verlangt, daß man Gott liebe. Die Jesuiten, die das
ganz oberflächlich auffassen, und denen diese Liebe ein vorübergehender, ge¬
legentlich aus dem Stegreif zu besorgender Act ist, fragen: Wie oft und wann
sind wir verpflichtet, Gott zu lieben. "Vasquez meint", so antwortet hier¬
auf Escobar, "es genüge, wenn wir ihn am Ende unsres Lebens lieben.
Andere bezeichnen andere Zeitmomente, bei Empfang der Taufe, wenn man
durch das Gebot der Reue dazu verpflichtet wird, wenn man Lästerern wider¬
stehen muß, die entweder Gottes Ehre oder seinen Namen verachten, wenn
wir den Nächsten zu lieben schuldig sind, an jedem Festtage. Ich aber, indem
ich mich an meine Doctoren halte, behaupte zunächst, daß wir Gott in der
Todesstunde lieben müssen, weil wir nach dem Gesetze der Selbstliebe ver¬
bunden sind, jede Gefahr des Verdammtwerdens zu meiden und unser voriges
Heil möglichst sicher zu stellen. Dann sollen wir Gott lieben kurz nachdem
wir zum Gebrauch unsrer Vernunft gelangt sind, wenn wir schon aufmerken
und die Gründe, Gott zu lieben, schon erwägen können, indem wir über seine
Liebe und Güte nachdenken. Jedoch sind wir dazu nicht verpflichtet, daß es
gleich eine Sünde wäre, wenn wir es nicht thun. Denn das wäre doch arg.
Es soll nur so viel heißen, daß wir mit Ausschluß aller Unwissenheit und
Unachtsamkeit die Liebe zu Gott ohne schwere Sünde nicht lange, d. h. nicht



') HlLcwIIü 'l'Iieologittv Um-alis, 15dit. 1654. p. 35: "^n satiswoit pi'aeLSpto <i>" saviizmi
opus exprvWv mteuÄit por UIuÄ non sutisktvvro?" Resp. Lg.dis iKoit.

sagt: „Sie können auch ohne Liebe erfüllt werden, wenn sie diese nicht in
ihrer Wesenheit einschließen, z. B. das Gebot. Gott zu lieben. Der Grund
ist, weil durch das Gebot nur die Wesenheit der in demselben eingeschlossenen
Handlung gefordert wird. So z. B. genügt von dem vierten Gebote, wenn
man seine Eltern ehrt, ohne sie zu lieben; denn es wird ja nicht der Zweck
oder die Art und Weise, auf die man das Gebot erfüllen soll, vorgeschrieben.

Der Jesuit geht aber noch weiter. Man kann nach ihm ein Gebot er¬
füllen, auch wenn man damit einen sündhaften Zweck verfolgt. „Wenn je¬
mand", so heißt es bei Busenbaum nach Sanchez, Laymann und Lugo, „einer
Messe beiwohnt aus eitler Nuhmbegier oder um während derselben einen
Diebstahl zu begehen, so kann er nichtsdestoweniger das Gebot erfüllen, auch
durch eine den Umständen nach sündige Handlung, da er das Wesentliche des
Gebots erfüllt." Daran noch nicht genug, ist demselben Schriftsteller zufolge
zur Erfüllung eines Gebotes die Absicht, demselben gerecht zu werden, gar
nicht vonnöthen, die bloße Handlung reicht aus. Ja er behauptet sogar und
kann sich dabei auf Suarez. Vasquez, Valencia und Lessius berufen, daß das
Gebot selbst dann erfüllt wird, wenn man bei der vorgeschriebenen Handlung
geradezu die Absicht habe, es nicht zu erfüllen/)

Das erste Gebot verlangt, daß man Gott liebe. Die Jesuiten, die das
ganz oberflächlich auffassen, und denen diese Liebe ein vorübergehender, ge¬
legentlich aus dem Stegreif zu besorgender Act ist, fragen: Wie oft und wann
sind wir verpflichtet, Gott zu lieben. „Vasquez meint", so antwortet hier¬
auf Escobar, „es genüge, wenn wir ihn am Ende unsres Lebens lieben.
Andere bezeichnen andere Zeitmomente, bei Empfang der Taufe, wenn man
durch das Gebot der Reue dazu verpflichtet wird, wenn man Lästerern wider¬
stehen muß, die entweder Gottes Ehre oder seinen Namen verachten, wenn
wir den Nächsten zu lieben schuldig sind, an jedem Festtage. Ich aber, indem
ich mich an meine Doctoren halte, behaupte zunächst, daß wir Gott in der
Todesstunde lieben müssen, weil wir nach dem Gesetze der Selbstliebe ver¬
bunden sind, jede Gefahr des Verdammtwerdens zu meiden und unser voriges
Heil möglichst sicher zu stellen. Dann sollen wir Gott lieben kurz nachdem
wir zum Gebrauch unsrer Vernunft gelangt sind, wenn wir schon aufmerken
und die Gründe, Gott zu lieben, schon erwägen können, indem wir über seine
Liebe und Güte nachdenken. Jedoch sind wir dazu nicht verpflichtet, daß es
gleich eine Sünde wäre, wenn wir es nicht thun. Denn das wäre doch arg.
Es soll nur so viel heißen, daß wir mit Ausschluß aller Unwissenheit und
Unachtsamkeit die Liebe zu Gott ohne schwere Sünde nicht lange, d. h. nicht



') HlLcwIIü 'l'Iieologittv Um-alis, 15dit. 1654. p. 35: „^n satiswoit pi'aeLSpto <i>" saviizmi
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[0190] sagt: „Sie können auch ohne Liebe erfüllt werden, wenn sie diese nicht in ihrer Wesenheit einschließen, z. B. das Gebot. Gott zu lieben. Der Grund ist, weil durch das Gebot nur die Wesenheit der in demselben eingeschlossenen Handlung gefordert wird. So z. B. genügt von dem vierten Gebote, wenn man seine Eltern ehrt, ohne sie zu lieben; denn es wird ja nicht der Zweck oder die Art und Weise, auf die man das Gebot erfüllen soll, vorgeschrieben. Der Jesuit geht aber noch weiter. Man kann nach ihm ein Gebot er¬ füllen, auch wenn man damit einen sündhaften Zweck verfolgt. „Wenn je¬ mand", so heißt es bei Busenbaum nach Sanchez, Laymann und Lugo, „einer Messe beiwohnt aus eitler Nuhmbegier oder um während derselben einen Diebstahl zu begehen, so kann er nichtsdestoweniger das Gebot erfüllen, auch durch eine den Umständen nach sündige Handlung, da er das Wesentliche des Gebots erfüllt." Daran noch nicht genug, ist demselben Schriftsteller zufolge zur Erfüllung eines Gebotes die Absicht, demselben gerecht zu werden, gar nicht vonnöthen, die bloße Handlung reicht aus. Ja er behauptet sogar und kann sich dabei auf Suarez. Vasquez, Valencia und Lessius berufen, daß das Gebot selbst dann erfüllt wird, wenn man bei der vorgeschriebenen Handlung geradezu die Absicht habe, es nicht zu erfüllen/) Das erste Gebot verlangt, daß man Gott liebe. Die Jesuiten, die das ganz oberflächlich auffassen, und denen diese Liebe ein vorübergehender, ge¬ legentlich aus dem Stegreif zu besorgender Act ist, fragen: Wie oft und wann sind wir verpflichtet, Gott zu lieben. „Vasquez meint", so antwortet hier¬ auf Escobar, „es genüge, wenn wir ihn am Ende unsres Lebens lieben. Andere bezeichnen andere Zeitmomente, bei Empfang der Taufe, wenn man durch das Gebot der Reue dazu verpflichtet wird, wenn man Lästerern wider¬ stehen muß, die entweder Gottes Ehre oder seinen Namen verachten, wenn wir den Nächsten zu lieben schuldig sind, an jedem Festtage. Ich aber, indem ich mich an meine Doctoren halte, behaupte zunächst, daß wir Gott in der Todesstunde lieben müssen, weil wir nach dem Gesetze der Selbstliebe ver¬ bunden sind, jede Gefahr des Verdammtwerdens zu meiden und unser voriges Heil möglichst sicher zu stellen. Dann sollen wir Gott lieben kurz nachdem wir zum Gebrauch unsrer Vernunft gelangt sind, wenn wir schon aufmerken und die Gründe, Gott zu lieben, schon erwägen können, indem wir über seine Liebe und Güte nachdenken. Jedoch sind wir dazu nicht verpflichtet, daß es gleich eine Sünde wäre, wenn wir es nicht thun. Denn das wäre doch arg. Es soll nur so viel heißen, daß wir mit Ausschluß aller Unwissenheit und Unachtsamkeit die Liebe zu Gott ohne schwere Sünde nicht lange, d. h. nicht ') HlLcwIIü 'l'Iieologittv Um-alis, 15dit. 1654. p. 35: „^n satiswoit pi'aeLSpto <i>" saviizmi opus exprvWv mteuÄit por UIuÄ non sutisktvvro?" Resp. Lg.dis iKoit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/190>, abgerufen am 24.08.2024.