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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Hasses, der Rache und des Uebermaßes von Rauferei und Mord, die zum
Schaden des Staates daraus entstehen würde. Aber", so fährt Escobar fort,
"Andere, Henriquez z. B., behaupten, daß der Mord in dem genannten Falle
auch in der Praxis probabel und sicher sei, wenn man nur jene Gefahren
meidet. So lange nämlich der zugefügte Schade unausgeglichen bleibt, habe
ich die Erlaubniß, mich zu vertheidigen, wie es sich offenbar mit dem verhält,
der einen Dieb verfolgt, um ihm das Gestohlene zu entreißen. Denn obschon
der, welcher mich geohrfeigt, meine Ehre nicht hat wie der Dieb das Gestoh¬
lene, so kann diese doch immer wie eine gestohlene Sache angesehen und zurück¬
genommen werden, indem man seinen Hochsinn beweist (durch Ermordung
dessen, der einem die, Ohrfeige gab) und um die Hochachtung der Menschen
buhlt. Oder gilt nicht der Geohrfeigte so lange für ehrlos, bis er den er¬
mordet hat, der ihn schlug?"

Interessant ist, wie die Jesuiten den Consens der Kirche zu ihrem Pro-
babilismus, der ihnen natürlich nicht fehlen durfte, sich construirten. Der
fromme Vater Bauny, ein äoetor Zr-Tviszimus, sagt: "Was Lehrer in ge¬
druckten Büchern sagen, das hat nach allgemeiner Ansicht (d. h. nach Ansicht aller
jesuitischen Casuisten) auch die Beistimmung und Genehmigung der Kirche,
wofern sie es nicht für ungültig erklärt, wie sie doch müßte." Damit sind
wieder jene Casuisten zu Aposteln und Kirchenvätern proclamirt, und ist wieder
ein neues Evangelium geschaffen, welches im eigentlichsten Sinne die Welt
entsündigt. Da es, wie wir weiter unten zeigen werden, fast keine Handlung
giebt, die nicht nach der Meinung eines äoetor gravis erlaubt wäre, so
brauchten die Bibelgesellschaften nur sämmtliche Casuisten der Jesuiten zu
drucken und sie statt der Bibel an die Welt zu vertheilen, und man könnte
mit Fug von den Jesuiten sagen: Neoo <M tollunt xeeeiM aurai! Aber
freilich, das würde eine Sittenlehre geben, die der evangelischen ungefähr so
gliche, wie Satan dem Engel Michael.

Wir kommen nun zu der MLtlwäus äiriMlläg.e intentionis, einer der
seltsamsten Ausgeburten grübelnden Scharfsinnes, welche durch einen ganz
einfachen Gedankenmechanismus die schwärzesten Verbrechen in reines unschul¬
diges Thun verwandelt. Nach dieser Lehre kann man jede Sünde begehen,
wenn man dabei seine Absicht nur nicht auf dieselbe lenkt, sondern an etwas
Erlaubtes denkt. Mit andern Worten: nur wer aus Gefallen am Bösen,
um des Bösen selbst willen sündigt, ist straffällig, wer dabei einen harmlosen
Zweck vor Augen hat, nicht. Ein paar Beispiele werden das klarer stellen.

Der ehrwürdige Vater Bauny lehrt: "Diener, welche ihre Herren bei
Tage oder Nacht zur Wohnung von deren Buhlerin begleiten, Botschaften
und Liebesbriefe zwischen beiden bestellen und von beiden Seiten die Verab¬
redung über Zeit und Ort der sündhaften Zusammenkünfte überbringen oder


Hasses, der Rache und des Uebermaßes von Rauferei und Mord, die zum
Schaden des Staates daraus entstehen würde. Aber", so fährt Escobar fort,
„Andere, Henriquez z. B., behaupten, daß der Mord in dem genannten Falle
auch in der Praxis probabel und sicher sei, wenn man nur jene Gefahren
meidet. So lange nämlich der zugefügte Schade unausgeglichen bleibt, habe
ich die Erlaubniß, mich zu vertheidigen, wie es sich offenbar mit dem verhält,
der einen Dieb verfolgt, um ihm das Gestohlene zu entreißen. Denn obschon
der, welcher mich geohrfeigt, meine Ehre nicht hat wie der Dieb das Gestoh¬
lene, so kann diese doch immer wie eine gestohlene Sache angesehen und zurück¬
genommen werden, indem man seinen Hochsinn beweist (durch Ermordung
dessen, der einem die, Ohrfeige gab) und um die Hochachtung der Menschen
buhlt. Oder gilt nicht der Geohrfeigte so lange für ehrlos, bis er den er¬
mordet hat, der ihn schlug?"

Interessant ist, wie die Jesuiten den Consens der Kirche zu ihrem Pro-
babilismus, der ihnen natürlich nicht fehlen durfte, sich construirten. Der
fromme Vater Bauny, ein äoetor Zr-Tviszimus, sagt: „Was Lehrer in ge¬
druckten Büchern sagen, das hat nach allgemeiner Ansicht (d. h. nach Ansicht aller
jesuitischen Casuisten) auch die Beistimmung und Genehmigung der Kirche,
wofern sie es nicht für ungültig erklärt, wie sie doch müßte." Damit sind
wieder jene Casuisten zu Aposteln und Kirchenvätern proclamirt, und ist wieder
ein neues Evangelium geschaffen, welches im eigentlichsten Sinne die Welt
entsündigt. Da es, wie wir weiter unten zeigen werden, fast keine Handlung
giebt, die nicht nach der Meinung eines äoetor gravis erlaubt wäre, so
brauchten die Bibelgesellschaften nur sämmtliche Casuisten der Jesuiten zu
drucken und sie statt der Bibel an die Welt zu vertheilen, und man könnte
mit Fug von den Jesuiten sagen: Neoo <M tollunt xeeeiM aurai! Aber
freilich, das würde eine Sittenlehre geben, die der evangelischen ungefähr so
gliche, wie Satan dem Engel Michael.

Wir kommen nun zu der MLtlwäus äiriMlläg.e intentionis, einer der
seltsamsten Ausgeburten grübelnden Scharfsinnes, welche durch einen ganz
einfachen Gedankenmechanismus die schwärzesten Verbrechen in reines unschul¬
diges Thun verwandelt. Nach dieser Lehre kann man jede Sünde begehen,
wenn man dabei seine Absicht nur nicht auf dieselbe lenkt, sondern an etwas
Erlaubtes denkt. Mit andern Worten: nur wer aus Gefallen am Bösen,
um des Bösen selbst willen sündigt, ist straffällig, wer dabei einen harmlosen
Zweck vor Augen hat, nicht. Ein paar Beispiele werden das klarer stellen.

Der ehrwürdige Vater Bauny lehrt: „Diener, welche ihre Herren bei
Tage oder Nacht zur Wohnung von deren Buhlerin begleiten, Botschaften
und Liebesbriefe zwischen beiden bestellen und von beiden Seiten die Verab¬
redung über Zeit und Ort der sündhaften Zusammenkünfte überbringen oder


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[0187] Hasses, der Rache und des Uebermaßes von Rauferei und Mord, die zum Schaden des Staates daraus entstehen würde. Aber", so fährt Escobar fort, „Andere, Henriquez z. B., behaupten, daß der Mord in dem genannten Falle auch in der Praxis probabel und sicher sei, wenn man nur jene Gefahren meidet. So lange nämlich der zugefügte Schade unausgeglichen bleibt, habe ich die Erlaubniß, mich zu vertheidigen, wie es sich offenbar mit dem verhält, der einen Dieb verfolgt, um ihm das Gestohlene zu entreißen. Denn obschon der, welcher mich geohrfeigt, meine Ehre nicht hat wie der Dieb das Gestoh¬ lene, so kann diese doch immer wie eine gestohlene Sache angesehen und zurück¬ genommen werden, indem man seinen Hochsinn beweist (durch Ermordung dessen, der einem die, Ohrfeige gab) und um die Hochachtung der Menschen buhlt. Oder gilt nicht der Geohrfeigte so lange für ehrlos, bis er den er¬ mordet hat, der ihn schlug?" Interessant ist, wie die Jesuiten den Consens der Kirche zu ihrem Pro- babilismus, der ihnen natürlich nicht fehlen durfte, sich construirten. Der fromme Vater Bauny, ein äoetor Zr-Tviszimus, sagt: „Was Lehrer in ge¬ druckten Büchern sagen, das hat nach allgemeiner Ansicht (d. h. nach Ansicht aller jesuitischen Casuisten) auch die Beistimmung und Genehmigung der Kirche, wofern sie es nicht für ungültig erklärt, wie sie doch müßte." Damit sind wieder jene Casuisten zu Aposteln und Kirchenvätern proclamirt, und ist wieder ein neues Evangelium geschaffen, welches im eigentlichsten Sinne die Welt entsündigt. Da es, wie wir weiter unten zeigen werden, fast keine Handlung giebt, die nicht nach der Meinung eines äoetor gravis erlaubt wäre, so brauchten die Bibelgesellschaften nur sämmtliche Casuisten der Jesuiten zu drucken und sie statt der Bibel an die Welt zu vertheilen, und man könnte mit Fug von den Jesuiten sagen: Neoo <M tollunt xeeeiM aurai! Aber freilich, das würde eine Sittenlehre geben, die der evangelischen ungefähr so gliche, wie Satan dem Engel Michael. Wir kommen nun zu der MLtlwäus äiriMlläg.e intentionis, einer der seltsamsten Ausgeburten grübelnden Scharfsinnes, welche durch einen ganz einfachen Gedankenmechanismus die schwärzesten Verbrechen in reines unschul¬ diges Thun verwandelt. Nach dieser Lehre kann man jede Sünde begehen, wenn man dabei seine Absicht nur nicht auf dieselbe lenkt, sondern an etwas Erlaubtes denkt. Mit andern Worten: nur wer aus Gefallen am Bösen, um des Bösen selbst willen sündigt, ist straffällig, wer dabei einen harmlosen Zweck vor Augen hat, nicht. Ein paar Beispiele werden das klarer stellen. Der ehrwürdige Vater Bauny lehrt: „Diener, welche ihre Herren bei Tage oder Nacht zur Wohnung von deren Buhlerin begleiten, Botschaften und Liebesbriefe zwischen beiden bestellen und von beiden Seiten die Verab¬ redung über Zeit und Ort der sündhaften Zusammenkünfte überbringen oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/187>, abgerufen am 24.08.2024.