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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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heit, sondern der Schwäche des Denkens. Die Aufrichtigkeit seines Idealismus
bezweifeln wir daher um so weniger. Aber diese edelste Kraft, gehemmt durch
äußerste Schwäche der Einsicht, macht einen traurigen Eindruck. Wollte der
Redner doch etwas aus den Reden seines Fractionscollegen Löwe lernen, von
der Reife und Denkkraft desselben. Herrn Dunker's Medicin ist, man soll
die Kirchen gehen lassen und sie nur nicht von Staatswegen schützen und
unterstützen. Er hält es für unmöglich, daß auf diesem Wege der Staat sich
eines Morgens unterjocht finden muß, nachdem er schon lange, ohne es zu
achten, gelähmt worden. Herr Dunker meint, es sei Sache jeder Kirche, ob
sie ungebildete Diener haben wolle, es sei nicht Sache des Staates, den
Kirchendienern Bildung aufzudringen. O weiser Mann! wenn die Kirche
nur daraus ausginge, sich Dummköpfe zu erziehen, so entstände immer noch
die Frage, ob ein solches Unrecht gegen Individuen zu gestatten ist. Es
handelt sich aber darum, die Gefahr zu mindern, daß nicht durch eine künst¬
liche Umneblung des Geistes gefährliche Fanatiker vielleicht von theilweise
großer aber einseitiger und durchaus fremdartiger Bildung erzogen werden.

Dem Auftreten des Herrn Dunker gegenüber war es doppelt erfreulich,
daß der Abgeordnete Virchow mit Entschiedenheit für die Vorlage eintrat.
Dieselbe wird, dies war das vorläufige Resultat der Debatte, zur weiteren
Borberathung an eine Commission von 21 Mitgliedern verwiesen. --

Nun noch ein Wort über unsere Ministerkrisis. Der Artikel der
"Kölnischen Zeitung" über dieselbe, den ich vor acht Tagen erwähnt, nach¬
dem er eben hier eingetroffen, hat das allgemeinste Aufsehen erregt, aber er
hat nicht, wenigstens zunächst nicht, die erwarteten Folgen gehabt. Die aus
dem Ministerium des Innern inspirirter Correspondenten erklärten den Artikel
für ein Machwerk aus zweiter Hand voll absichtlicher Entstellungen. Die
"Nordd. Allg. Zeitung", diesmal offenbar im Namen des Fürsten Bismarck
sprechend, unterzog den Artikel nur einigen weniger wesentlichen Berichtigungen
solcher Angaben, die sich auf den Fürsten bezogen. Die Richtigkeit der an¬
deren Angaben erklärte die "Nordd. Allg. Ztg." nicht beurtheilen zu können.
Das klang freilich wie eine indirecte Bestätigung, aber es war auch die Er¬
klärung, daß der Fürst sich nicht in den Streit mischen wolle und sich keine
der zum Vorschein gekommenen Veröffentlichungen aneigne. Damit verloren
die letzteren zwar nicht ihre Wahrscheinlichkeit, aber ihre Bedeutung als Waffen
in einem ministeriellen Kampfe. Nur einen Punkt hob die "Nordd. Allg.
Ztg." als einen solchen heraus, den der Fürst Bismarck persönlich vertrete:
die Nothwendigkeit der Reform des Herrenhauses. Demnach scheint es, daß
der Fürst an dieser Stelle den Hebel ansetzen wird, um seine Stellung, die so
wie sie augenblicklich ist, ihn nicht befriedigen kann, zu ändern und zu klären.


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heit, sondern der Schwäche des Denkens. Die Aufrichtigkeit seines Idealismus
bezweifeln wir daher um so weniger. Aber diese edelste Kraft, gehemmt durch
äußerste Schwäche der Einsicht, macht einen traurigen Eindruck. Wollte der
Redner doch etwas aus den Reden seines Fractionscollegen Löwe lernen, von
der Reife und Denkkraft desselben. Herrn Dunker's Medicin ist, man soll
die Kirchen gehen lassen und sie nur nicht von Staatswegen schützen und
unterstützen. Er hält es für unmöglich, daß auf diesem Wege der Staat sich
eines Morgens unterjocht finden muß, nachdem er schon lange, ohne es zu
achten, gelähmt worden. Herr Dunker meint, es sei Sache jeder Kirche, ob
sie ungebildete Diener haben wolle, es sei nicht Sache des Staates, den
Kirchendienern Bildung aufzudringen. O weiser Mann! wenn die Kirche
nur daraus ausginge, sich Dummköpfe zu erziehen, so entstände immer noch
die Frage, ob ein solches Unrecht gegen Individuen zu gestatten ist. Es
handelt sich aber darum, die Gefahr zu mindern, daß nicht durch eine künst¬
liche Umneblung des Geistes gefährliche Fanatiker vielleicht von theilweise
großer aber einseitiger und durchaus fremdartiger Bildung erzogen werden.

Dem Auftreten des Herrn Dunker gegenüber war es doppelt erfreulich,
daß der Abgeordnete Virchow mit Entschiedenheit für die Vorlage eintrat.
Dieselbe wird, dies war das vorläufige Resultat der Debatte, zur weiteren
Borberathung an eine Commission von 21 Mitgliedern verwiesen. —

Nun noch ein Wort über unsere Ministerkrisis. Der Artikel der
„Kölnischen Zeitung" über dieselbe, den ich vor acht Tagen erwähnt, nach¬
dem er eben hier eingetroffen, hat das allgemeinste Aufsehen erregt, aber er
hat nicht, wenigstens zunächst nicht, die erwarteten Folgen gehabt. Die aus
dem Ministerium des Innern inspirirter Correspondenten erklärten den Artikel
für ein Machwerk aus zweiter Hand voll absichtlicher Entstellungen. Die
„Nordd. Allg. Zeitung", diesmal offenbar im Namen des Fürsten Bismarck
sprechend, unterzog den Artikel nur einigen weniger wesentlichen Berichtigungen
solcher Angaben, die sich auf den Fürsten bezogen. Die Richtigkeit der an¬
deren Angaben erklärte die „Nordd. Allg. Ztg." nicht beurtheilen zu können.
Das klang freilich wie eine indirecte Bestätigung, aber es war auch die Er¬
klärung, daß der Fürst sich nicht in den Streit mischen wolle und sich keine
der zum Vorschein gekommenen Veröffentlichungen aneigne. Damit verloren
die letzteren zwar nicht ihre Wahrscheinlichkeit, aber ihre Bedeutung als Waffen
in einem ministeriellen Kampfe. Nur einen Punkt hob die „Nordd. Allg.
Ztg." als einen solchen heraus, den der Fürst Bismarck persönlich vertrete:
die Nothwendigkeit der Reform des Herrenhauses. Demnach scheint es, daß
der Fürst an dieser Stelle den Hebel ansetzen wird, um seine Stellung, die so
wie sie augenblicklich ist, ihn nicht befriedigen kann, zu ändern und zu klären.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/165>, abgerufen am 24.08.2024.